Süddeutsche Zeitung

2:2 gegen Dortmund:Ein unerwarteter Derbyheld lässt Schalke jubeln

In einem denkwürdigen Duell trotzt der Gastgeber dem Erzrivalen aus Dortmund einen Punkt ab. Das 2:2 ist auch das Ergebnis eines starken Willens - denn der BVB schafft es nie, die Moral der Schalker zu brechen.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Seit Beginn der Rückrunde tragen Schalke 04 und Borussia Dortmund denselben zweiten Vornamen: Unbesiegt dürfen sich die ungleichen Rivalen ehrenhalber nennen, und daran hat sich auch nach dem Treffen der beiden natürlichen Erzfeinde nichts geändert. 2:2 lautete das Resultat nach 93 Minuten eines erinnerungswürdigen Derbys, das jede Menge Aufregung gebracht hatte. Der Gewinner im Unentschieden war aber eindeutig der Gastgeber, der euphorische Sound von den Rängen der Gelsenkirchener Arena brachte es zum Ausdruck. Für Schalke 04 ist der nicht nur mit harter Arbeit erwirtschaftete Punkt mehr wert als für den BVB, der unter seinen Möglichkeiten blieb. Während die Schalker im Abstiegskampf Anschluss an die Konkurrenz hielten, fallen die Dortmunder im Duell mit dem FC Bayern ein Stück zurück.

"Wir wussten, dass es knapp wird, wenn wir dem Gegner erlauben, das Spiel mit Leidenschaft zu führen. In der zweiten Halbzeit wurde es sehr emotional, eben das wollten wir nicht zulassen, und das ist sehr enttäuschend. Wir hätten mehr verdient gehabt als ein Unentschieden, so war es am Ende sehr frustrierend für uns", klagte BVB-Coach Edin Terzic. Schalkes Trainer Thomas Reis verzichtete darauf, Heldenlegenden zu erzählen. Der Punktgewinn sei ein wenig glücklich gewesen, räumte er ein, aber doch immerhin das Ergebnis eines starken Willens: "Wir haben uns das Unentschieden hart erarbeitet", sagte er. Er sei "ein bisschen euphorischer" als sein Kollege, schloss er mit einem Schmunzeln an.

Der Klassenunterschied zwischen den beiden Mannschaften blieb selten verborgen. Spielerisch war die Borussia erwartungsgemäß das deutlich überlegene Team, bis zur Pause hielt vor allem der hervorragend parierende Ralf Fährmann den Schaden für seine Elf in Grenzen. Dank starkem Stellungsspiel entschärfte er mehrere heikle Konfrontationen mit den gegnerischen Angreifern, Donyell Malen, Raphael Guerreiro und Marius Wolf hatten jeweils das Nachsehen. Lediglich ein trockener Fernschuss von Nico Schlotterbeck stellte Fährmann schließlich vor eine unlösbare Aufgabe (38. Minute). Die Schalker hatten dem immer wieder stürmischen Verteidiger zu viel Platz gelassen.

Die Vielzahl der Möglichkeiten sprach für den BVB, dennoch war die 1:0-Halbzeitführung für die Gäste diskutabel, nachdem Schalke beim Stand von 0:0 die beste Chance der Begegnung ausgelassen hatte: Rodrigo Zalazar stürmte im Alleingang auf BVB-Keeper Alexander Meyer zu - und schoss den Ball übereilt in den Abendhimmel. Die Vorlage zum Solo hatten ihm die Kollegen aus Dortmund serviert: Schlotterbeck spielte Mats Hummels dermaßen riskant an, dass einem das selten benutzte, aber hübsche Wort "Kollegenverstümmelung" in den Sinn kam. Hummels, ansonsten eine souveräne Instanz in der BVB-Deckung, bekam das Zuspiel nicht unter Kontrolle und verlor den Ball prompt an Zalazar.

"Wir haben dem Gegner die Tür geöffnet, die Partie wieder offener zu gestalten", sagte Terzic

Während der Pause hatten sich die Schalker offenbar gegenseitig Mut gemacht. Waren sie zuvor zu häufig in die Defensive zurückgewichen, so machten sie nun mehr Gebrauch von ihren überschaubaren, aber durchaus wirkungsvollen offensiven Mitteln. Die Belohnung erfolgte zügig, als Jude Bellingham im Mittelfeld an Alex Kral den Ball verlor und Marius Bülter den anschließenden Konter mit dem Ausgleich abschloss (50.).

Die Partie drohte zu kippen, Schalke drängte voran, der BVB verfiel in Passivität, erst Guerreiros 2:1 nach starkem Pass von Emre Can schien das Verhältnis zwischen Favorit und Außenseiter wieder geradezurücken (60.). Die Dortmunder waren jedoch nicht imstande, die Moral des Gegners zu traktieren, sie brachten kein dominantes Spiel zustande. "Wir haben dem Gegner die Tür geöffnet, die Partie wieder offener zu gestalten", sagte Terzic, "am Ende dürfen wir uns deshalb über das Resultat nicht beschweren."

Der Mann, der den entscheidenden Schlusspunkt setzte, betrat in der 74. Minute im Zuge einer verzweifelt anmutenden Großrochade den Rasen. Nicht viele Fans haben seinen Namen gerufen, als der Stadionsprecher die Einwechslung verkündete. Das Vertrauen in Kenan Karamans Sturmkraft ist nach 15 meist kurzen bis sehr kurzen Einsätzen ohne Torerfolg oder Torvorlage nicht das größte in der Schalker Anhängerschaft. Rouven Schröder hatte den Angreifer am letzten Tag des Sommertransferfensters aus der Türkei geholt, und seitdem stand vor allem eine Frage im Raum: Warum wurde der 29 Jahre alte Karaman mit einem Dreijahresvertrag ausgestattet?

Nun, diese unfreundliche Frage stellt auf Schalke erst mal niemand mehr, nachdem Karaman in der 79. Minute Marius Bülters Flanke per Kopf präzise im Eck versenkte. Ab sofort und für immer darf er sich somit in Gelsenkirchen als Derbyheld vorstellen, und das ist ein zweiter Vorname, der an diesem Ort niemals vergeht.

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