Süddeutsche Zeitung

FC Schalke 04:Phasenweise wie zerrüttet

Im Duell der Krisenteams erweist sich Bremen als die klar bessere Mannschaft. Die Zukunft von Trainer David Wagner ist ungewiss, Abwehrspieler Ozan Kabak macht sich des Anspuckens verdächtig.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Den Kampf gegen den bekanntermaßen starken Gegner Corona schien Schalke schon gewonnen zu haben. Am vorigen Wochenende lag der sogenannte Inzidenzwert in Gelsenkirchen noch so hoch, dass es unmöglich zu sein schien, beim Heimspiel gegen Werder Bremen die dringend ersehnten Fans ins Stadion einlassen zu dürfen. Aber dann fiel der Wert jeden Tag ein bisschen mehr, zwischenzeitlich stieg er nochmal, am Freitag sank er unter die kritische Marke, die Tickets gingen raus und die Stadiontore schienen sich zu öffnen. Aber am Samstagmorgen um sieben hatte Corona doch wieder gewonnen, die Stadt erlaubte kein Publikum. Damit nicht genug: Mittelfeldspieler Amine Harit musste sich wegen eines positiven Covid-19-Tests in Quarantäne begeben.

Je länger aber die Partie dauerte, umso weniger Anlass gab es, die Abwesenheit der Fans zu bedauern. Schalke hätte keine Blumen erwarten dürfen, nur deftige Enttäuschung und Pfiffe. Was in München mit dem 0:8 katastrophal begonnen hatte, das setzte sich nun im Duell der Krisenklubs fort, wobei die Bremer sich nach diesem Abend eine solche Bezeichnung verbitten würden. Sie gingen als verdiente Sieger vom Platz, führten bereits nach einer Stunde 3:0 und hatten mit der klaren Führung im Rücken keine Not, den Sieg sicher nach Hause zu bringen. Das Abschlusstor zum 1:3 durch Mark Uth fiel zum letztmöglichen Zeitpunkt - unmittelbar vor dem Schlusspfiff. Werder war den übernervösen und phasenweise wie zerrüttet wirkenden Schalkern spielerisch überlegen und als Mannschaft in allen Belangen besser. Den besseren Mittelstürmer hatten sie auch auf ihrer Seite: Niclas Füllkrug erzielte sämtliche Tore. Die Schalker hatten es ihm allerdings leicht gemacht: Beim 1:0 wie beim 2:0 erfreute sich Füllkrug im Anschluss an einen Freistoß und einen Eckball wunderbarer Freiheiten.

Chefcoach David Wagner hatte angekündigt, mit dem Heimspiel gegen Bremen der unselig begonnenen Saison einen Neustart zu verpassen, doch es deutet nach diesem erneut heftigen Wirkungstreffer einiges darauf hin, dass für ihn die Saison sehr bald vorbei sein könnte. "Klar ist es enttäuschend. Aber am Ende ist jedes neue Spiel eine Möglichkeit. Ich lasse auf den Charakter der Mannschaft nichts kommen, aber sie konnten es nicht umsetzen", meinte Wagner nach dem Spiel.

Der Trainer hatte bereits nach der schlimmen Rückrunde der Vorsaison erhebliche Zweifel geweckt und verdankte den Erhalt seiner Anstellung außer der erstaunlich geduldigen Fürsprache von Sportvorstand Jochen Schneider der Tatsache, dass der Verein kein Geld hat, um Unterhaltsleistungen für einen teuren Angestellten mit einem Arbeitsvertrag bis 2022 zu zahlen. Es wird nun schwer für Schneider, weitere Argumente für das Festhalten an Wagner zu finden, zumal er mit dem Werder-Spiel klare Ansagen verbunden hatte, die einem Ultimatum an den Trainer teuflisch ähnlich sahen. "Ich bin überzeugt, dass ich Teil der Lösung sein kann", sagte Wagner selbst nach dem Spiel.

Lediglich in den ersten Minuten nach der Pause spielte Schalke wie eine Mannschaft, die ein Heimspiel hat und etwas gutmachen möchte. Die Einwechslung von Vedad Ibisevic und Salif Sané beendete vorübergehend das konfuse Treiben, das die Königsblauen während der ersten Hälfte geboten hatten. Ein ungewohntes Bild ergab sich: Schalke machte Druck, gewann Zweikämpfe und wurde dem Gegner ernsthaft gefährlich, Ibisevic und Nassim Boujellab vergaben drei erstklassige Gelegenheiten zum Anschlusstor, es schien tatsächlich noch mal eng zu werden für Werder. Doch dann griff Ozan Kabak ins Geschehen ein, bisher der einzige Lichtblick in diesem schrecklich missratenen Kalenderjahr, in dem Schalke von 21 Spielen, Pokal inbegriffen, nur zwei hat gewinnen können.

Hat Kabak Augustinsson absichtlich angespuckt?

Bei einem schnellen Konter der Bremer über den effektiv spielenden Schweden Ludwig Augustinsson wusste sich der 20 Jahre alte Verteidiger nicht anders zu helfen, als seinen Gegenspieler Füllkrug auf ebenso plumpe wie offensichtliche Weise umzustoßen. Der fällige Elfmeter, von Füllkrug cool verwertet, beendete die Schalker Offensive abrupt. Kabak aber setzte seinen missglückten Auftritt konsequent fort. Schon in der ersten Hälfte war er durch falschen Eifer und einige Unbeherrschtheiten aufgefallen, unter anderem machte er sich eines Versuch des Anspuckens verdächtig, und es hat dann auch niemanden überrascht, dass er sich ein paar Minuten vor Schluss nach der gelben Karte für das Elfmeterfoul noch eine weitere Verwarnung und folgerichtig den Platzverweis einhandelte. Augustinsson, neben dem Kabaks Auswurf landete, sagte nach Ansicht der Bilder: "Das ist nicht Fairplay." Trainer Wagner nahm seinen Spieler dagegen in Schutz. Er wisse, dass Kabak sowas niemals mit Absicht machen würde. Möglich, dass der DFB sich die Szene nochmal anschaut.

Vorne fehlt es an Elementarem, hinten passieren einfache Fehler

Von der Leistungssteigerung, die Schalkes Sportvorstand Jochen Schneider inklusive eines angemessen besseren Resultats eingefordert hatte, war vor allem in der ersten Halbzeit nichts zu sehen. Die Hausherren waren nicht in der Lage, ein eigenes Spiel aufzuziehen und schafften es nur in ausgewählten Momenten, in die Nähe des Bremer Strafraums zu gelangen. Dort mühte sich Goncalo Paciencia zwar technisch ansprechend, aber auf verlorenem Posten. Die Rückkehrer Mark Uth und Nabil Bentaleb schafften es nicht, das Offensivspiel anzukurbeln. Einzelkritik erübrigte sich allerdings: Im kompletten Kollektiv mangelte es an Bewegung und Freilaufen, an einstudierten Kombinationen und Tempo, an Spielfreude und Ideen, schlechthin an allem, womit man in der Bundesliga ein Tor schießt.

Dazu kamen krasse Abwehrfehler, nicht nur bei den Standardsituationen, die zu den Gegentreffern führten. Benjamin Stambouli bildete im Abwehrzentrum einen menschlichen Krisenherd, Bastian Oczipka und Sebastian Rudy auf den Außenpositionen waren mehr mit Hinterherlaufen beschäftigt als mit sinnerfülltem Ballbesitz. Die zweite Halbzeit war besser - aber bei weitem nicht gut genug für eine Wende. Eben diese aber brauchen die Schalker, um dem Sog in den Abgrund zu entkommen.

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