Süddeutsche Zeitung

Schalke besiegt Ingolstadt:Der Kapitän und sein Karate Kid

Beim lange Zeit zähen 3:0 gegen den Tabellenletzten Ingolstadt stellt Simon Terodde mit seinem 153. Treffer in der zweiten Liga den Rekord von Dieter Schatzschneider ein. Zum neuen Tabellenführer St. Pauli fehlt Schalke 04 aber noch einiges.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Der 3. Oktober findet nicht nur als Nationalfeiertag, sondern auch als Geburtstag Gerald Asamoahs landesweit Beachtung. Schalkes Volksheld und Teammanager wurde am Sonntag 43 Jahre alt und empfing Glückwünsche aus allen Richtungen: Unter anderem gratulierten der Stadionsprecher und das Maskottchen Erwin sowie eine jugendliche Anhängerin, die während der Halbzeitpause auf dem Videowürfel ein rührendes Ständchen sang.

Zudem stand noch ein weiterer Anlass im imaginären Programmheft, der dem Datum Denkwürdigkeit verleihen sollte. Der 3. Oktober sollte als der Tag in die deutsche Geschichte eingehen, an dem sich Simon Terodde als Rekordschütze der zweiten Liga verewigen würde. 77 Minuten vergingen im Spiel zwischen Schalke 04 und dem FC Ingolstadt, dann war es soweit. Der Mittelstürmer stand wieder einmal dort, wo ein Mann von seiner Berufung zu stehen hat, lässig nahm er das Zuspiel von Dominik Drexler entgegen und schob den Ball ins weitgehend verwaiste Tor. Sein 3:0 markierte seinen elften Saisontreffer und zugleich das Schlussresultat in der Partie zwischen dem Absteiger und dem Aufsteiger, vor allem aber: Es war Teroddes 153. Treffer insgesamt in der zweiten Liga. Dieter Schatzschneider bleibt der Trost, dass er den Spitzenplatz zumindest noch zwei weitere Wochen mit seinem Rekord-Kollegen teilen darf. S04-Trainer Dimitrios Grammozis sprach feierlich von einem "speziellen Moment: Nicht nur für Simon und Schalke 04, sondern für die gesamte Fußballbranche."

Die spontane Feier von Teroddes Treffer nach dem Abpfiff bildete sowohl den Schluss- wie auch den heimlichen Höhepunkt der Veranstaltung. Die Mitspieler bildeten ein Spalier, durch das Terodde der jubelnden Fankurve entgegenmarschierte, anschließend warfen sie ihn mit vereinten Kräften in die Luft, was sichtlich Mühen bereitete, allzu hoch flog der 1,92 Meter große Angreifer nicht. Der neue Ingolstädter Trainer André Schubert befand sich zu diesem Zeitpunkt längst in der Kabine, wo er mutmaßlich nachdenklich in sich ging. Davon ließ er sich später aber nichts anmerken: Schalke sei "sehr effektiv" gewesen, aber er sei jenseits des Resultats trotzdem "zufrieden" mit dem Auftritt seiner Elf. "Es wird ein langer Weg, aber ich habe ein gutes Gefühl, dass wir ihn zum Erfolg führen werden", sagte Schubert was ein Mann in seiner Situation sagen muss.

Dass er mit einer Niederlage in seine Aufgabe starten könnte, das dürfte der aus zwei Jahren Arbeitslosigkeit erlöste Trainer insgeheim einkalkuliert haben. Dass die Betreuung des Tabellenletzten eine anspruchsvolle Aufgabe darstellt, dürfte er aber nicht übersehen haben. Unter anderem wurde das auch dadurch ersichtlich, dass der Gegner seinem Prominentenstatus nicht durch einen entsprechenden Auftritt gerecht wurde. Schalke gewann hochverdient gegen den an seiner Harmlosigkeit verzweifelnden Gegner aus Bayern, sorgte aber selten für gehobene Fußballkunst, stellenweise ging es auf dem Rasen ähnlich zäh zu wie auf der nahen A 2 zur Feierabendzeit. Dennoch herrschte am Ende Zufriedenheit unter den Zuschauern, die Mannschaft hatte relativ souverän ein Stück Zweitliga-Alltag gemeistert. In vorigen Heimspielen hatte es auch schon bessere Auftritte mit weniger Ertrag gegeben, das 1:1 gegen Aue und das 1:2 gegen Karlsruhe hat jene Punkte gekostet, die den Klub von der Tabellenspitze trennen. Diese hat am Sonntag der FC St. Pauli übernommen, mit einem 3:0-Heimsieg gegen Dynamo Dresden.

Der Anspruch, dorthin zu kommen, wo St. Pauli jetzt schon ist, wird zumindest von den Schalker Spielern erhoben: "Wir sind Schalke 04, wir wollen ganz nach vorn", bekannte Mehmet Can Aydin, Außenverteidiger aus der hauseigenen Nachwuchsschule und Schütze des spektakulären 2:0.

Auf dem Feld herrscht lange Zeit sonntagnachmittägliche Lehnstuhl-Atmosphäre

Bis zu 54 000 Besucher waren gemäß den neuesten Bestimmungen in der Arena zugelassen, 26 546 waren tatsächlich erschienen. Die Fans, die ferngeblieben waren, mussten kein Riesenversäumnis beklagen. Auf dem Feld herrschte lange Zeit sonntagnachmittägliche Lehnstuhl-Atmosphäre, Schalke kontrollierte das Geschehen, befand sich dabei aber oft in Gegenden, wo ein Torschuss nicht gelingen kann. Mangels Bewegung in den offensiven Zonen kreiselte der Ball meistens unter den Verteidigern in der eigenen Hälfte, die nicht wussten, wohin mit der Kugel. Der Torjäger Terodde hatte zwar nach zwei Minuten eine halbe Chance gehabt, nahm dann aber als Angriffsspitze notgedrungen die Position eines Mannes ein, der an der Haltestelle vergeblich auf den Bus wartet. Das 1:0 erzielte eher plötzlich Sturmkollege Marius Bülter (23.) mit einem Fernschuss. Der diszipliniert verteidigende FCI fiel noch seltener durch Torgefahr auf, erst in der 44. Minute gab es eine erwähnenswerte Szene, doch Denis Linsmayer verfehlte das Ziel.

In der zweiten Halbzeit hatten die Ingolstädter zunächst mehr Dynamik zu bieten als der träge in die Gänge kommende Gegner, doch ihr Problem blieb das gleiche wie vorher. Nicht einen einzigen Schuss musste Martin Fraisl halten, der sich anstelle von Ralf Fährmann im Schalker Tor etabliert hat. Aydins artistisches 2:0 per Scherenschlag ließ dann nicht mehr viel Spannung über den Ausgang der Partie übrig (65.). Es war ein Treffer, der aus dem Kampfsportstudio zu stammen schien: "Diesen Kick habe ich bei Karate Kid gesehen, dann habe ich das einfach mal gemacht", verriet der Schütze. Teroddes Schieber zum 3:0 war zwar weniger sehenswert, aber dafür rollte er im Rang eines historischen Vorfalls über die Linie.

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