Schalke 04 vor dem Bundesliga-Start:Planspiele mit Raúls Leerstelle

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Nach dem Weggang von Raúl hat Schalke 04 einen ruhigen Sommer erlebt. Vor dem Auftaktspiel gegen Hannover bleibt die Frage, ob der junge Kader den Herausforderungen standhält - und wie viel Spielzeit jeder der drei herausragenden Torhüter bekommen wird. Sicher ist nur: Auch ohne Raúl wird es wohl nicht langweilig werden in Gelsenkirchen.

Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Seit er sich im Juni während der Saisonabschlusstour nach New York von seinen Mitspielern verabschiedete, hat man in Schalke nicht mehr viel von Raúl vernommen. Ende Juni empfing Julian Draxler eine SMS vom just 35 Jahre alt gewordenen Spanier, und ein paar Wochen darauf gab Raúl einer freien Mitarbeiterin des FC Schalke die Ehre, als er zur Eröffnung ihres spanischen Delikatessenladens in Heidelberg erschien. Ansonsten blieben von ihm nur noch die goldenen Erinnerungen. Die aber sind sehr gegenwärtig. Immer noch spalten sie das Meinungsbild beim Gelsenkirchener Bundesligaklub.

Ruhiger Sommer auf Schalke: Trainer Huub Stevens. (Foto: dapd)

Fasst man die Argumente der einen Partei zusammen, die man die Fortschrittspartei nennen könnte, dann ist Schalke ohne Raúl stärker. "Wir können jetzt variabler spielen und haben mehr Flexibilität. Das kann uns besonders gegen die Spitzenteams zugutekommen", sagt Manager Horst Heldt, der praktischerweise autorisiert ist, für beide Parteien zu sprechen.

Für die Raúl-Gedächtnispartei weist er dann darauf hin, dass Schalke künftig ohne die quasi garantierten 15 Saisontreffer des Angreifers auskommen muss, und dass dem Ensemble eine charismatische Persönlichkeit fehlt. "Er war eine tragende Figur im Team", sagt Heldt, um gleich wieder ins Lager der Fortschrittspartei zu wechseln: "Aber eine tragende Figur kann auch Probleme bereiten."

Vorübergehend gab es Überlegungen, den prominenten Verlust durch den Zukauf eines anderen Prominenten aufzufangen, Rafael van der Vaart stand zur Debatte. Schließlich setzten sich finanzielle Argumente - Schalke muss Schulden abbauen - und andere sportliche Erwägungen durch. Die Leerstelle, die der Spanier hinterlässt, soll aus dem bestehenden Kader heraus kompensiert werden, mit jungen Spielern wie Holtby und Draxler.

Nur die Mittelfeldspieler Neustädter und Barnetta kamen als Importe hinzu, beide ablösefrei. Selbst der extrem geizige VfB Stuttgart hat mehr Geld für Verstärkungen ausgegeben, als er 300.000 Euro Leihgebühr in den Schalker Abwehrspieler Hoogland investierte.

FC Bayern in der Einzelkritik
:Wirbler und Jäger hinter der Torlinie

Thomas Müller schießt erst ein Tor und wird dann zum Jäger der langen Bälle, Jérôme Boateng prügelt Diagonalbälle auf einen gewissen Horst Seehofer - und Arjen Robben trifft mit einem Pass. Die Bayern-Spieler beim 3:0 in Fürth in der Einzelkritik.

Christoph Leischwitz

So ganz scheinen die Schalker ihrer Personalpolitik aber nicht zu trauen. Vor dem Auswärtsspiel bei Hannover 96 machte Horst Heldt Andeutungen, dass er noch mal tätig werden könnte an der Spielerbörse. "Es wird traditionell noch mal hektisch werden vor dem 31. August", dem Schlusstag der Wechselperiode, erklärte der Manager allgemein, um fortzufahren, dass auch Schalke am Schlussverkauf teilnehmen könnte. "Darauf sind wir vorbereitet, denn Vorbereitung ist das halbe Leben", ließ er süffisant wissen.

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Erleichtert wurden die Planungen durch Gladbachs 1:3 gegen Dynamo Kiew, denn wenn es die Borussia nicht in die Champions League schafft, dann bleibt mehr Geld für die drei anderen deutschen Vertreter. Zusätzliche vier bis fünf Millionen Euro sind möglich.

Oberflächlich betrachtet herrscht in Schalke nach einem Sommer ohne Schlagzeilen ein Friede, wie es ihn zuletzt in den seligen Zeiten von Fritz Szepan und Ernst Kuzorra gab, aber dahinter lauert die Unsicherheit, ob man mit dem bestehenden Personal den Herausforderungen in Meisterschaft und Europacup standhalten und die Schlagzeilen fernhalten kann. Julian Draxler und Lewis Holtby, die in einer Arbeitsgemeinschaft Raúls Erbe übernehmen sollen, sind anerkannte Talente, aber auch erst 18 und 21 Jahre alt.

Bisher hat sich Heldt nicht rechtfertigen müssen für den sparsamen Kurs, "ich kann frei übers Gelände spazieren und muss keine Angst haben, beschimpft und beschmissen zu werden", berichtet er. Bisher ist aber auch noch kein Punktspiel ausgetragen worden. Schalke wäre nicht Schalke, wenn sich die Stimmungslage nicht binnen 90 Spielminuten dramatisch drehen könnte.

Trainer Huub Stevens musste neulich in einem Magazin lesen, er habe vor seinen Spielern eine "Wutrede" gehalten, darüber hat er sich sehr gewundert. "Das mache ich doch jeden Tag", sagte er, "ich weiß gar nicht, warum die darüber schreiben." Der Holländer, bereits als altersmilde abgestempelt, hat zuletzt wieder öfter seine alten Knurrer-Qualitäten nachgewiesen. Besonders brummig wurde er, wenn die Torwart-Debatte zur Sprache kam.

Nun setzte er sie durch nebulöse Bemerkungen selbst wieder in Gang - gerade nachdem er sich auf den Vorzug für Timo Hildebrand und die Stellvertreterrollen für Lars Unnerstall und Ralf Fährmann festgelegt zu haben schien. "Festlegen tue ich mich nicht", sagte er, "wir haben drei hervorragende Torhüter." Gibt es also eine Rotation im Tor? "Nein!", erwiderte Stevens knurrend und im gleichen Atemzug: "Natürlich kann das sein." Auch ohne Raúl wird es wohl nicht langweilig werden in Gelsenkirchen.

© SZ vom 25.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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