Schalke 04: Raúl:Im Heulkrampf vereint

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Unter Tränen hat Raúl sich von Real Madrid verabschiedet. Wenn er demnächst bei Schalke blau-weiß weint, ist er in Gesellschaft hochkarätiger Heulsusen.

Philipp Selldorf

In seinen großen Zeiten verfügte Günter Siebert über spezielle Fähigkeiten. 1951, damals war er 21 Jahre alt, hat er bei einem Ausflug seiner Mannschaft ins Allgäu in einem Bach vier Forellen gefangen - mit der Hand. Seitdem trug er den Spitznamen "die Forelle", was gut zu dem flinken Stürmer passte, der für Schalke04 in der Oberliga West spielte und 1958 half, den siebten Meistertitel für den Klub zu gewinnen. Da aber Titel Nummer acht seitdem auf sich warten lässt, ist das Andenken ans Jahr 1958 belastet, zumal da es Männer wie Hans-Joachim Watzke von Borussia Dortmund oder Karl-Heinz Rummenigge vom FC Bayern regelmäßig boshaft in Erinnerung rufen.

Nach 18 Jahren und 228 Toren in 550 Ligaspielen hat sich Raul von Real Madrid verabschiedet - unter Tränen. (Foto: AFP)

Günter Siebert wurde später Präsident des Vereins, zwischen 1964 und 1988 hat er mehrere, mit Skandalen reich gefüllte Amtszeiten bestritten, und dabei kam ihm eine weitere Begabung zugute: Angeblich konnte er auf Kommando Tränen vergießen, ein Talent, von dem er besonders bei den damals häufigen Gerichtsverhandlungen sowie auf den stets stürmischen Jahreshauptversammlungen Gebrauch machte.

Tränen des Kummers, der Rührung und der Trauer haben ihren Platz im Zirkus Schalke 04 wie das stilisierte G im Vereinsemblem, selbst harte Männer wie Huub Stevens, Rudi Assauer und sogar Tomasz "Holzfuß" Hajto haben im königsblauen Dienst geheult, weshalb es die Freunde des Klubs gern gesehen haben, dass ihr mutmaßlicher neuer Mittelstürmer Raúl González Blanco am Montag geweint hat, als er sich von seinem Vater-und-Mutter-Verein Real Madrid verabschiedete. Weinende Fußballer sind zwar mittlerweile keine Seltenheit mehr, aber es kommt schon noch auf die Angemessenheit der Umstände an.

Als kürzlich bei der WM der brasilianische Glatzkopf Maicon über sein Tor zum 1:0 gegen Nordkorea Tränen vergossen hat, schien er doch etwas zu übertreiben. Wohingegen die in einen Heulkrampf mündende Verzweiflung des Japaners Yuichi Kamono nach seinem Lattenschuss im Elfmeterschießen gegen Paraguay kulturell begründet war. Früher pflegten Japaner in solchen Lebenslagen das grausige Ritual des Seppuku anzuwenden.

Auch Raúls Ergriffenheit hat ihre Berechtigung, es geht immerhin um Real Madrid. Doch wenn er als Schalker künftig von Männern wie Watzke und Rummenigge aus wieder mal gegebenem Anlass an das Jahr 1958 erinnert wird, dann muss er sich umstellen. Denn dann gelten auch für Raúl die Verse des seligen Ruhrpottsängers Ährwin Weiss: "Wenn ein Schalker Junge weint/sind seine Tränen blau und weiß".

© SZ vom 27.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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