Süddeutsche Zeitung

Schalke 04:Königsblauer Geisterspieler

Schalke, Norwich, Bergen, Schalke: Torwart Ralf Fährmann kehrt zurück.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Ralf Fährmanns überraschende Rückkehr auf den Schalker Rasen geschah in jener beklemmenden Stille, die in diesen Tagen auf Fußballplätzen üblich ist. Kein Fan empfing ihn am Ostermontag beim Training, niemand verlangte vom populären Torwart ein Foto fürs Poesiealbum, und auch die hinreichend bekannten Medienvertreter stellten keine Fragen, weil Medienvertreter zurzeit keinen Zutritt haben am Ernst-Kuzorra-Weg. Nur ein paar Betreuer, die Kollegen und der Trainer David Wagner hießen Fährmann auf dem abgesperrten Gelände willkommen.

Der 31-Jährige hat sich dem Training auf Schalke als Gastspieler angeschlossen, man könnte ihn auch als königsblauen Geisterspieler bezeichnen. Die aktuellen Koordinaten seines Status als Fußballprofi sind einigermaßen verwirrend, vermutlich durchschaut er sie selbst nicht mehr so ganz. Mit Schalke unterhält er einen Vertrag bis 2023, bezahlt wird er zurzeit aber von seinem Dienstherrn, dem norwegischen Klub Brann Bergen, sowie - zum wohl größeren Teil - vom Premier-League-Verein Norwich City. Nach Norwich wird er nicht mehr zurückkehren, ob er noch mal in Bergen vorstellig wird, ist unklar.

Der Start in Norwegens Liga wurde wegen der Epidemie bereits zweimal verschoben, keiner weiß, ob und wann es wieder losgeht. "Wir wollen Ralf in die beste physische Verfassung bringen, sollte er bis zum 30. Juni in Norwegen noch mal zum Einsatz kommen können", sagt David Wagner.

Fährmann hatte sich alles ganz anders vorgestellt, als er im vorigen Sommer das Angebot des Aufsteigers Norwich annahm, leihweise für ein Jahr auf die Insel zu gehen. Die ideale Variante seiner Erwartungen war folgende: Er würde eine Saison lang in England den sportlichen und sonstigen Horizont erweitern und nach 38 Premier-League-Spielen gestärkt zu seinem ewigen Lieblingsklub Schalke zurückkehren. Dort würde er dann wieder den alten Posten als Stammtorwart einnehmen, den er an den leider hochbegabten Kollegen Alexander Nübel hatte abtreten müssen. Nübel würde sich seinerseits in München, Madrid oder Manchester verdingen.

Die Vision mit Nübel und München erfüllte sich, der Rest nicht. Auch in Norwich versperrte ihm ein anderer das Tor: Tim Krul, 32, hatte dem Klub in Zweitligazeiten beigestanden und bewährte sich nun auch in der Oberklasse. Einst war der Niederländer Krul weltbekannt geworden, als ihn Louis van Gaal während der K.o.-Runde der WM 2014 zum Elfmeterschießen einwechselte. Gegen Costa Rica wehrte er zwei scharfe Schüsse ab - und blieb trotzdem umstritten, weil er die Schützen mit Psychotricks traktiert hatte. Dass sich Krul auf den Nahkampf versteht, das musste auch Fährmann erfahren: Die beiden wurden keine Freunde. Am siebten Spieltag aber schien die Chance des Neulings gekommen zu sein. Seinem Berater teilte Fährmann mit, er habe zwei Neuigkeiten: Am Samstag werde er endlich im Tor stehen, der Kollege sei verletzt. Allerdings lautete Fährmanns andere Nachricht, dass er's selbst an der Leiste habe. Gegen Crystal Palace spielte er zwar - aber nur 22 Minuten, dann schmerzte die Leiste zu stark. Die Situation in Norwich wurde nicht besser, aber einen fluchtartigen Wechsel im Winter lehnte Fährmann ab.

Als er dann doch zum Wechsel bereit war, waren überall in Europa die Transferfenster geschlossen, nur in Skandinavien nicht. Brann Bergen stellte für die im April startende Saison bis zu 14 Einsätze in Aussicht, bevor Fährmann im Sommer wieder nach Schalke heimkehren würde. Hörte sich gut an, Fährmann sagte zu. Dann kam die Corona-Krise, der Saisonstart wurde vertagt. Fährmann reiste heim nach Recklinghausen, um zwei Tage später aus Norwegen zu erfahren: "Komm schnell zurück, das Training beginnt bald, du musst aber vorher noch 14 Tage in Quarantäne."

So fuhr der Torwart mit seinem Geländewagen samt Hantelbank und anderem Fitness-Equipment die 1500 Kilometer nach Norden und bezog für die nächsten Wochen ein Apartment mit Meeresblick. Bis ihn Bergen mit Rücksicht auf die Familie wieder nach Hause schickte.

Auf Schalke zeigte sich David Wagner jetzt erfreut, dass er Fährmann aus der Nähe kennenlernen durfte, "er ist ein Top-Charakter, der uns sportlich und menschlich gut tun wird". Eigentlich hatte der Klub geplant, im Sommer in einen neuen Torwart zu investieren. Man traute der Lage nicht: Nübel in München, Fährmann ohne Spielpraxis, über den jungen Markus Schubert gehen die Meinungen auseinander. Aber dann kam die Corona-Krise, und nun hat Schalke kein Geld für einen neuen Torwart. Womöglich gibt es für Ralf Fährmann doch noch ein Happy End auf seinem alten Posten.

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SZ vom 15.04.2020
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