FC Schalke 04:Ernüchtert in den Novemberregen

v.re., Trainer Dimitrios Grammozis (FC Schalke 04), Simon Terodde (FC Schalke 04), Darko Churlinov (FC Schalke 04) nach

Dimitrios Grammozis, Simon Terodde und Darko Churlinov (von rechts) nach der Niederlage gegen Darmstadt.

(Foto: Maik Hölter/imago)

Auch Darmstadt ist zu stark: Schalke 04 verliert in der zweiten Liga zu Hause mit 2:4 und kommt endgültig in der harten Realität des Unterhauses an. Trainer Grammozis muss hoffen, dass seine Vorgesetzten nicht nervös werden.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Vor dem nächsten Gegner Darmstadt 98 waren Dimitrios Grammozis und seine Schalker gleich doppelt gewarnt. Durch die Bilanz der Lilien aus den vergangenen vier Spielen - zehn Punkte mit 12:2 Toren - und durch den Bericht eines Trainingsspions, den Darmstadts Coach Torsten Lieberknecht zwar höchstpersönlich enttarnte, aber trotzdem zum Bleiben einlud - mit der Auflage, schöne Grüße nach Gelsenkirchen zu entrichten.

Was auch immer der Agent berichtete - es hat nichts Hilfreiches beigetragen. Die 51 327 erwartungsfrohen Zuschauer erlebten zwar eine alles andere als langweilige Partie, aber eben auch ein Darmstadt 98, das den Schalkern ein unlösbares Rätsel blieb. Nach dem 2:4 gegen den Gast aus Hessen ging das treue königsblaue Volk ernüchtert in den verregneten Novembersonntag. Seine Mannschaft hatte alle Anstrengungen unternommen, um das Schicksal zu wenden, aber sie konnte nicht verhindern, dass am Ende die bessere Elf als Sieger den Platz verließ. Der ekstatische Jubel der jederzeit hoch motivierten Darmstädter nach dem alles entscheidenden Tor zum 4:2 (89. Minute) glich dem ekstatischen Jubel hochmotivierter Karlsruher und hochmotivierter Auer, nachdem sie in der berühmten Arena Punkte erobert hatten - Prominenz ist nicht unbedingt ein Vorteil in der zweiten Liga.

Letzteres hat Dimitrios Grammozis nicht zu verantworten, die spielerisch enttäuschenden Auftritte seiner Mannschaft und die jüngste Abwärtsentwicklung hingegen schon. Für den immer schon irgendwie beargwöhnten Schalker Trainer dürfte es nun ungemütlich werden, er muss hoffen, dass seine Vorgesetzten nicht nervös werden. Zumal zurzeit auch die Tore von Simon Terodde fehlen, die Schalke eine halbwegs erträgliche Eingewöhnung in die neue Welt erst ermöglicht hatten.

Die Erzählungen der unberechenbaren Liga entsprechen der Wahrheit

Vor einem Jahr, als der Abstieg noch eine Bedrohung war, hätte man in Gelsenkirchen die Vision einer Partie gegen Darmstadt 98 am Sonntag um halb zwei als Inbegriff des Schreckens betrachtet, nun erweist sich der Schrecken als Realität. Nach Vollendung des ersten Saisondrittels wissen die Schalker, dass alle Erzählungen von der unberechenbaren Liga, in der es in keinem Spiel einen Favoriten gibt, wahr sind. Lilien-Trainer Lieberknecht sagte, es sei "ein Privileg, hier spielen zu dürfen" und gab eine plausible Empfehlung ab: "Einfach so weitermachen." Mit dieser Strategie ist schon mancher vermeintlich kleine Klub in die erste Liga marschiert - während die namhaften Konkurrenten in der Unterklasse verbleiben mussten. Ein typisches Zweitliga-Thema, das die Schalker beunruhigen sollte.

Dabei hatte Lieberknechts Kollege Grammozis nach den beiden Niederlagen im Pokal bei 1860 München und in Heidenheim auf seine erfahrensten Kräfte gesetzt und dem jungen Uruguayer Rodrigo Zalazar den Routinier Dominick Drexler vorgezogen. Das war schon vor dem Anpfiff eine diskutable Entscheidung, und sie wurde mit jeder Spielminute fraglicher. Drexler forderte und erhielt oft den Ball, aber er führte ihn meistens zu lang und zu langsam, was einer der Gründe dafür war, warum Schalke trotz des frühen 1:0 nach einem Eigentor von Luca Pfeiffer (7.) nie zu einem stabilen eigenen Spiel fand. Das Mittelfeld mit Drexler, dem indisponierten Kapitän Danny Latza und Viktor Pálsson leistete nach vorn und nach hinten ungenügende Arbeit: Es öffnete nicht die Wege in die Spitze, und es ließ die Hintermannschaft immer wieder allein. Darmstadts doppelt erfolgreicher Torjäger Philipp Tietz hatte bei seinen Kontertoren (11., 63.) unverschämt viel Platz.

Schalke stand sich in wilder Hektik selbst im Weg

"Wir haben viel zu viele Fehler im Aufbauspiel gemacht und sind viel zu oft in Konter gelaufen", sagte Schalkes Einwechselstürmer Marvin Pieringer, der aus Betroffenheit sprach. Mit einer starken Einzelaktion hatte er das 2:3 geschossen, das Stadion tobte und war bereit für aufregende Schlussminuten - ehe im Gegenzug Benjamin Goller nach schlimmem Fehlpass von Pálsson alle Träume gleich wieder zunichte machte. Man habe "nicht zu lange in der Spieleröffnung bleiben wollen", erklärte Grammozis, aber eben dabei habe man "leider die entscheidenden Fehler gemacht".

Während der ersten Halbzeit sah es beinahe aus, als wollten die Lilien ihrem Gegner eine Lehrstunde erteilen. Sie waren aggressiver, energischer, laufstärker, raffinierter und spielerisch besser. Schalke kam nur nach Eckbällen und Freistößen des guten Linksverteidigers Thomas Ouwejan gefährlich vors gegnerische Tor, dies immerhin regelmäßig. Erst nach dem 3:1 verlegten sich die Darmstädter auf eine Strategie zur Schonung der Kräfte, sie zogen sich zurück und überließen den Schalkern den Ball. Angetrieben vom eingewechselten Zalazar nahmen die Hausherren die Gelegenheit wahr, im Strafraum wurde es für Terodde, der in Thomas Isherwood einen unerbittlich schmerzhaften Gegenspieler hatte, noch enger. Schalke rannte an, Schalke hatte Chancen, aber Schalke stand sich in wilder Hektik selbst im Weg. "Wir haben geackert und gemacht, wir waren ordentlich im Spiel, aber es waren einfach zu viele Ballverluste und Abspielfehler. Wir haben Darmstadt zum Toreschießen eingeladen", zog Kapitän Latza ein schuldbewusstes Fazit.

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Panorama - Blick ins Stadion rund eine Stunde vor Anpfiff. 02.10.2020, Fussball, GER, 3. Liga, Saison 2020/21, 3. Spielt; Grünwalder

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