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Schachspieler Magnus Carlsen:Der Königsbauer führt zum WM-Titel

Magnus Carlsen ist Schach-Weltmeister - und hunderte Millionen auf der Welt schauten ihm dabei zu. Das Duell zwischen dem 22-jährigen Norweger und Viswanathan Anand hat gezeigt: Figurenrücken ist alles andere als eine Randsportart.

Von Lisa Sonnabend

Magnus Carlsen eröffnet die Partie mit dem Königsbauern. 62 Züge und vier Stunden und 45 Minuten später ist er neuer Weltmeister. Dem 22-jährigen Norweger genügt bei der zehnten Partie der Schach-WM in Chennai ein Remis. Er hat nun 6,5 Punkte gesammelt - und ist nicht mehr aufzuholen von Titelverteidiger Viswanathan Anand

Auch an diesem Freitag übertrugen das norwegische und das indische Fernsehen live, auch diesmal dürfte der Marktanteil wieder bei über 40 Prozent gelegen haben. Bis zu 300 Euro zahlten Besucher für ein Ticket, um im Hyatt Regency Hotel in Chennai dabei zu sein. In Deutschland verfolgten Millionen die Partie über Streams und Liveticker im Internet, auch an diesem Freitag dürfte also nicht in jeder Firma des Landes das anvisierte Arbeitspensum geschafft worden sein.

Die offizielle Turnierseite musste zusätzliche Server bereitstellen, um dem Besucheransturm gerecht zu werden. Das Duell zwischen Carlsen und Anand hat so viele Menschen in den Bann gezogen wie keine Schach-Partie zuvor.

Das lag zum einen an der Konstellation. Auf der einen Seite des Brettes saß der erfahrene Lokalmatador Anand, der "unbesiegte König", der seit 2007 dreimal seinen WM-Titel verteidigte. Auf der anderen Seite der erst 22-jährige Herausforderer Carlsen, die Nummer eins der Welt, der nebenbei als Model für eine Jeansfirma arbeitet.

Doch es war nicht nur das Duell, das die Zuschauer reizte. Auch die Sportart fasziniert. Schach gilt als der zweitpopulärste Sport der Welt - so hieß es vor einiger Zeit in einer Studie des Internationalen Olympischen Komitees. Auch heute noch lernen viele Kinder die Regeln. Begriffe wie spanische Eröffnung oder Nimzowitsch-Indische Verteidigung dürften allerdings natürlich nur den wenigsten etwas sagen. Doch vielleicht ist es genau das Geheimnisvolle, das viele Menschen dazu treibt, live zu verfolgen, wenn es wie zu Beginn der entscheidenden Partie am Freitagmorgen heißt: "Carlsen eröffnet mit 1.e4." Und dann: "Wie sehen zum ersten Mal Sizilianisch. Der Inder antwortet mit 1.c5."

Carlsen begann im Alter von acht Jahren mit dem Schach spielen. Es dauerte nicht lange, da erkannte sein Vater, ein Vereinsspieler, sein Talent. Denn der kleine Junge bezwang ihn - und das nicht nur einmal. Carlsen wurde die Nummer eins in Norwegen, die Nummer eins der Welt, ein Idol, ein Popstar. Der WM-Titel hebt ihn nun noch eine Stufe höher.

Die WM ist nun bereits nach der zehnten Partie entschieden. Von den zehn Partien hat Carlsen drei gewonnen, die anderen endeten unentschieden. Für einen Sieg gibt es einen, für ein Unentschieden einen halben Punkt. Der Endstand nun: 6,5 zu 3,5 Punkte.

Die letzte Partie, die Carlsen mit Weiß spielte, blieb lange ausgeglichen. Die beiden Kontrahenten begannen schnell. Einen Fehler von Anand hätte Carlsen nach zwei Stunden nutzen können, doch er vergab die Chance. Je länger das Spiel dauerte, desto länger überlegten die beiden. Nach vier Stunden und 45 Minuten tauschten die Kontrahenten die Figuren, ein Matt war nicht mehr möglich.

Carlsen hat den Titel zweifellos verdient. Er war in den Tagen von Chennai stets der wachere, der risikofreudigere und der konstantere Spieler. Immer wieder gelang es ihm, Anand zu überlisten. Anand dagegen wirkte oft müde, er leistete sich viele Fehler. In der neunten Partie beispielsweise hatte Anand im 28. Zug regelrecht einen Blackout und machte einen ungeschickten Springerzug. Der 43-Jährige gab die Partie sofort danach auf.

In einem Interview vor dem Turnier hatte Anand gesagt: "Wenn du verlierst, meinst du, du selbst wirst auseinandergerissen, nicht deine Figuren. Weil dich derselbe Kerl immer wieder und wieder angreift. Du bist so auf ihn fokussiert, dass du die Attacken viel persönlicher nimmst." Er muss gelitten haben in den Tagen von Chennai. Carlsen dagegen ist nun um 1,5 Millionen Euro reicher.

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