Jan Nepomnjaschtschi:Das ist der Herausforderer von Magnus Carlsen

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Herausforderer Jan Nepomnjaschtschi. (Foto: Saikat Paul /Imago)

Jan Nepomnjaschtschi qualifiziert sich für das Duell gegen den Schach-Weltmeister. Der Russe gilt schon länger als großes Talent - doch er musste lernen, sich auf seinen Beruf zu konzentrieren.

Von Johannes Aumüller, Jekaterinburg/Frankfurt

Der Mann mit der auffälligen Dutt-Frisur und einem der auffälligsten Nachnamen der Schachwelt hatte durchaus schon Erfahrung mit erfolgreich bewältigten Kandidatenturnieren. Als sich 2016 acht der weltbesten Großmeister in Moskau versammelten, um den nächsten Herausforderer von Weltmeister Magnus Carlsen zu ermitteln, war der Russe Jan Nepomnjaschtschi, 30, bereits dabei - aber nicht nicht als Teilnehmer, sondern als Live-Kommentator, der den Turniersieg seines Landsmannes Sergej Karjakin begleitete.

Es gehört durchaus zu den Vorzügen der Schachwelt, dass die Besten der Zunft sich nicht verkriechen, wenn ihre Konkurrenten spielen. Viele von ihnen setzen sich dann selbst vor einen Monitor, um dem Publikum über Stunden in ungemeiner Detailtiefe zu erklären, warum sich was tut auf den 64 Feldern; ganz so, als würde Thomas Müller im TV 90 Minuten lang erläutern, warum bei Paris versus ManCity das Anlaufen im Pressing eine Sekunde zu spät begonnen habe. Nepomnjaschtschi aber glaubt, dass er selbst in dieser Rolle auch etwas gelernt habe: Er habe dabei verstanden, wie wichtig es sei, nie den Kopf zu verlieren und im Zweifel halt ein langweiliges Unentschieden zu produzieren, sagte er nun.

Ganz offenkundig war das für Nepomnjaschtschi - dessen Name auf der Silbe Pom betont wird und in der Übersetzung so viel wie "derjenige, der sich nicht erinnert" bedeutet - ein erfolgreicher Ansatz. Am Dienstag endete in Jekaterinburg das aktuelle Kandidatenturnier, und schon vor der letzten Runde war klar, dass er den Wettkampf auf Platz eins abschließt und sich so für den WM-Kampf gegen Magnus Carlsen im November in Dubai qualifiziert. "Das ist natürlich ein riesiger Meilenstein in meinem Leben", sagte Nepomnjaschtschi nach einem Turnier mit ungewöhnlichen Rahmenbedingungen.

Seine Karriere ist nicht gerade geradlinig verlaufen

In der Schach-Geschichte kam es schon öfter vor, dass sich Wettkämpfe sehr in die Länge zogen. 1984/85 kämpften Garry Kasparow und Anatolij Karpow mal fünf Monate und 48 Partien um den Weltmeistertitel und brachen das Duell dann ergebnislos ab. Aber das aktuelle Kandidatenturnier ragt ebenfalls heraus. Im März 2020 war es gestartet und nach sieben von 14 Runden wegen der Corona-Folgen ausgesetzt worden, ehe in den vergangenen Tagen die zweite Hälfte stattfand. Nepomnjaschtschi war durchaus ein Profiteur dieser Konstruktion: Er hatte zwar schon zur Pause vorne gelegen, aber damals noch punktgleich mit dem Franzosen Maxime Vachier-Lagrave. Doch der schwächelte im zweiten Teil, für den nun stark aufspielenden Niederländer Anish Giri erwies sich der Rückstand als zu groß - und so war der Weg frei für Nepomnjaschtschi.

Dessen Karriere war davor nicht gerade geradlinig verlaufen. Zwar zählte er schon früh neben Carlsen und Karjakin zu den herausragenden Talenten seiner Generation und gewann diverse wichtige Turniere. Aber irgendwann begann seine Entwicklung zu stagnieren, und Nepomnjaschtschi bekannte zuletzt freimütig, woran das lag: Er habe sich zwar schon wie ein Schachprofi gefühlt, aber nicht wie ein Schachprofi verhalten. Er habe sich zu wenig auf den Sport fokussiert und stattdessen lieber mal Computerspiele gezockt. Auch galt er vielen Beobachtern als ein Spieler, dem in entscheidenden Momenten mal ein Lapsus unterlaufe.

Aber das habe sich geändert, sagt Nepomnjaschtschi, und in der Tat: In der Weltrangliste schob er sich so vor auf den vierten Platz, und im Kandidatenturnier unterlief ihm auch kein großer Fehler - sondern begnügte er sich im Zweifel lieber mit einem Remis.

Nepomnjaschtschi wird der dritte Gegner von Magus Carlsen, seitdem dieser 2013 den WM-Titel eroberte, und es könnte ein sehr ausgeglichenes Duell werden. Er sei einer derjenigen, "die mich überspielen können", erklärte Carlsen kürzlich. Diese Erfahrung machte er schon vor 20 Jahren, als der Russe in der U12-Altersklasse die WM knapp vor Carlsen gewann. Insgesamt ist Nepomnjaschtschi einer der wenigen Spieler, gegen die Carlsen in den Partien mit klassischer langer Bedenkzeit eine negative Bilanz hat (ein Sieg, sechs Remis, vier Niederlagen), auch wenn diese schon ein bisschen länger zurückliegen.

Nepomnjaschtschi könnte Carlsen auch im Blitzschach gewachsen sein

Dazu kommt, dass Nepomnjaschtschi auch als ein Spieler gilt, der sehr schnell kombinieren und ziehen kann. Der WM-Modus sieht vor, dass bei einem Gleichstand nach zwölf regulären Partien die Entscheidung im Schnell- oder notfalls sogar Blitzschach-Modus fällt, bei dem die Spieler nur wenige Minuten Bedenkzeit haben. Die beiden vergangenen WM-Kämpfe entschied Carlsen auf diese Weise für sich, aber anders als Karjakin 2016 oder Fabiano Caruana 2018 könnte Nepomnjaschtschi ihm auch in dieser Disziplin gewachsen sein.

In jedem Fall besitzt er wie der Weltmeister auch die Fähigkeit zur knappen Antwort. "Warum haben Sie eine positive Bilanz gegen Carlsen?", wurde Nepomnjaschtschi am Montag gefragt. "Weil ich mehr Spiele gewonnen als verloren habe", lautete die Replik. Als Kommentator wäre dieser Satz nicht zu gut gekommen, als WM-Herausforderer klang er gar nicht schlecht.

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