Schach-WM:Die Schach-WM ist wie ein Blick ins Aquarium

World Chess Championships Round 5

Gipfel der Coolness: In einer der gerade angesagten Locations von New York schieben Magnus Carlsen (links) und Sergei Karjakin ihre Figuren übers Brett.

(Foto: Justin Lane/dpa)
  • Ein Brettspiel als Zuschauer-Ereignis - so hatten die Macher der Schach-WM das Duell zwischen Magnus Carlsen und Herausforderer Karjakin angekündigt.
  • Doch die Realität sieht anders aus.
  • Hier gibt's alles zur Schach-WM.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Louis van Gaal, von dem es heißt, er verwechsle den Fußballsport oft mit einem Brettspiel, ist in New York noch nicht gesichtet worden. Vermutlich ist das auch gut so, denn ein Besuch der Schach-WM könnte Erinnerungen wachrufen, die dem niederländischen Kabinengeneral gehörig die Laune verderben dürften.

Seit einer Woche liefern sich die Großmeister Magnus Carlsen und Sergei Karjakin vor der Kulisse der Brooklyn Bridge eine Nervenschlacht um den WM-Titel, und je länger der Kampf dauert, desto mehr erinnert er an jenes vermaledeite Champions-League-Finale des Jahres 2010: Auch damals dominierte einer der Kontrahenten das Geschehen - van Gaals FC Bayern. Sieger aber waren am Ende die anderen, die taktisch brillanten Verteidiger von Inter Mailand.

Noch ist völlig offen, ob die Geschichte in New York genauso ausgehen wird wie weiland in Madrid. Tatsache aber ist, dass aus dem mancherorts erwarteten Durchmarsch des Titelträgers Carlsen aus Norwegen bisher nichts geworden ist. Im Gegenteil: Carlsen, bald 26, ein furchtloser, fintenreicher Angreifer, hat es in den ersten sechs Partien nicht geschafft, dem sieben Monate älteren Abwehrgott Karjakin aus Russland mehr als ein Remis abzutrotzen.

"Sergei ist ein ungemein harter Verteidiger, der auch in bedrängten Situationen eine Lösung findet", hatte der amtierende Weltmeister schon vor Beginn des Titelkampfs geunkt. Vor allem das dritte Spiel am Montag, ein beinahe epischer Sieben-Stunden-Thriller, sollte ihm Recht geben.

Wie so oft in der Geschichte des Schachspiels ist das WM-Finale weit mehr als nur ein sportlicher Wettkampf. Das gilt für das einst gehänselte Wunderkind Carlsen, der mal so lieb guckt wie ein Dreijähriger, mal so zerknautscht wie Matt Damon nach einer Wirtshausprügelei, und der nun beweisen muss, dass er auch als Popstar sportliche Erfolge feiern kann.

Das gilt für Karjakin, der - auf der Krim geboren - nach der Annexion seiner Heimat durch Russland mit einem Wladimir-Putin-T-Shirt posierte und seitdem im Kreml als eine Art propagandistischer Hauptgewinn gilt. Und das gilt auch für Ilja Merenzow, den Chef der kleinen russischen Event-Agentur Agon, die im Auftrag des Schach-Weltverbandes FIDE den Titelkampf ausrichtet.

Merenzow hatte die WM mit viel Tamtam und großen Worten angekündigt. Von ganz neuen Möglichkeiten für Sponsoren sprach er und davon, dass man Schach zu einem "echten Zuschauersport" machen werde. Davon ist nicht allzu viel zu sehen in New York. Zwar lässt der Agon-Chef unter Journalisten eine Virtual-Reality-Brille herumreichen, mit der Fans weltweit die Spiele verfolgen können - gegen Bezahlung, versteht sich. Ob das Konzept aufgehen wird, ist aber fraglich, denn manch Interessierter könnte rasch auf den Gedanken kommen, dass eine Rundumsicht in einem hermetisch abgeschlossenen Schachturnierzimmer ähnlich notwendig ist wie eine Pelzmütze beim Beach-Volleyball.

Der seltsame, fünfeckige Raum, in dem sich Carlsen und Karjakin seit Freitag vor einer Woche duellieren, liegt im Obergeschoss des ehemaligen Fischmarkts von Manhattan. Es ist eine der ganz wenigen Ecken New Yorks, wo noch kurze Straßenstücke gepflastert sind und so etwas wie Altstadt-Flair herrscht. Das dreistöckige Backsteingebäude wird gerade umgebaut, wahrscheinlich war es deshalb vergleichsweise preiswert zu haben. Dass der Etat des Veranstalters nämlich nicht der dickste ist, davon zeugt nicht zuletzt das ungewöhnlich niedrige Preisgeld von gerade einmal 660 000 Dollar für den Sieger.

Schalldicht, hermetisch, abgeriegelt

Merenzow verkauft das natürlich anders. Für ihn ist die leer stehende Etage mit ihren Wänden aus grau-groben Hohlblocksteinen, den weiß gestrichenen Stahlträgern und offenen Lüftungsschächten der Gipfel der Coolness. Tatsächlich sind alte Fabrik- oder Markthallen als Veranstaltungsorte in New York gerade sehr, sehr angesagt. Das Spielzimmer, das mit schwarz gestrichenen Pressspanwänden und zwei dicken, von innen verspiegelten Glasscheiben schalldicht vom Foyer sowie den Zuschauer-, VIP- und Pressebereichen abgetrennt ist, liegt mittendrin. Auf drei der fünf Wände prangen die Logos der Hauptsponsoren, eines mittelmäßig bekannten US-Vermögensverwalters und eines russischen Düngemittelherstellers.

Zuschauer, Offizielle und Journalisten können aus einem stockdunklen Stehzimmer heraus einen, wegen der getönten Scheiben sehr lila-stichigen, Blick in das Aquarium werfen. Es ist die einzige Möglichkeit, die Kontrahenten tatsächlich live zu sehen. Die meisten der vielleicht 70, 80 echten Fans sitzen jedoch lieber auf Pressspanbänken im Foyer und schauen fern.

Schach-WM: Norwegen gegen Russland. Im Schach heißt das Magnus "The Champion" Carlsen, 25, gegen den Sergej "The Challenger" Karjakin, 26.

Norwegen gegen Russland. Im Schach heißt das Magnus "The Champion" Carlsen, 25, gegen den Sergej "The Challenger" Karjakin, 26.

(Foto: Eduardo Munoz Alvarez/AFP)

Mal nascht Karjakin am Büfett, mal liegt Carlsen auf der Couch

An den Spieltagen, so auch am dritten, nehmen Carlsen und Karjakin auf zwei mächtigen Leder-Chefsesseln Platz, die so gar nicht zum schlichten, kleinen Schreibtisch mit dem Schachbrett passen wollen. Auf einem Beistelltisch stehen große Wasserflaschen, für jeden genau elf Stück. Zehn, zwanzig Minuten sitzen sich beide nach den ersten schnellen Zügen gegenüber und starren aufs Brett, den Kopf in die Hände gelegt.

Dann steht Karjakin auf, hängt das Jackett ordentlich über die Sessellehne, geht in den kleinen fensterlosen Raum nebenan und lässt sich auf ein graues Möbelhaussofa sinken. Als er zurückkehrt, ist Carlsen gerade im Aufbruch begriffen, doch selbst im Moment, da sie sich beinahe gegenseitig umlaufen, würdigen sich die Kontrahenten keines Blickes.

Stundenlang geht das so. Mal sieht man Karjakin, wie er vor dem Sofa auf und ab tigert und am Buffet nascht, mal liegt Carlsen auf der Couch und starrt an die Decke. Einmal ist das Turnierzimmer gar völlig verwaist, es sieht aus, als hätten die Kombattanten das dicke Spielbrett mit seinen tennisballgroßen Figuren nach einer Gewitterwarnung einfach stehen lassen. Und dann geht plötzlich alles ganz schnell: Beide sitzen wieder am Tisch, zehn, zwölf rasche Züge. Wieder unentschieden.

"Ich hoffe, die WM wird eine große Show", hatte Carlsen unmittelbar vor Beginn der ersten Partie erklärt - und angefügt: "Wenn nicht, dann tut es mir leid."

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