Auftaktpartie der Schach-WM:Von Zug eins an ein scharfes Spiel

2018 World Chess Championship - Magnus Carlsen v Fabiano Caruana

Magnus Carlsen vergibt gegen Fabiano Caruana einen Sieg im Eröffnungsspiel der Schach-WM.

(Foto: REUTERS)
  • Bei der Schach-WM liefern sich Weltmeister Magnus Carlsen und Fabiano Caruana eine erschöpfende Auftaktpartie.
  • Nach sieben Stunden und 115 Zügen endet das Duell unentschieden.
  • Es ist in vielerlei Hinsicht eine bemerkenswerte Partie, die Hoffnung auf ein denkwürdiges Turnier macht.

Von Johannes Aumüller, London

Recht erschöpft saßen der Weltmeister Magnus Carlsen und sein Herausforderer Fabiano Caruana da, aber ansonsten unterschieden sich ihre Gemütszustände schon ein wenig. Es gibt zwar Spötter, die sagen, dass Caruanas Gesicht immer genau gleich aussehe und er sich nie etwas anmerken lasse, aber diesmal musste man kein geübter Caruanaologe sein, um etwas Freude und Erleichterung in seinem Gesicht ablesen zu können. Und bei seinem Opponenten Carlsen wiederum ließ sich leicht nachvollziehen, dass er nicht ganz zufrieden sein konnte mit diesem Ergebnis dieses langen Abends im Holborn College zu London. "Gemischte Gefühle", so beschrieb Carlsen seine Stimmungslage.

Sieben Stunden und 115 Züge hatten sich die beiden in einer bemerkenswerten Auftaktpartie der Schach-WM 2018 gegenüber gesessen, dann einigten sie sich auf ein Remis. Und auch wenn für ihn selbst zwischendurch viel mehr möglich gewesen war, so sei es aus schachlicher Sicht doch ein "exzellenter Start" gewesen, fand Carlsen.

Carlsen versus Caruana, das ist ja ein Duell, von dem sich die Schachwelt eine Menge erwartet. Viele Beobachter prognostizieren den besten WM-Kampf seit fast drei Jahrzehnten, als die beiden Russen Anatolij Karpow und Garry Kasparow gegeneinander antraten. Und wenn das, was sich am ersten Tag im Holborn College abspielte, der Maßstab wird für die weiteren elf Partien in den nächsten zweieinhalb Wochen, dann dürfte das in der Tat ein denkwürdiger Wettstreit werden.

Dass der Eröffnungstag gleich so aufregend verlief, lag auch an einem Vorgang am Vorabend. Da hatte der Weltverband zu seiner sogenannten Eröffnungszeremonie geladen, und das viele russische Sponsorengeld für die Föderation reichte aus, um dazu ins Victoria and Albert Museum zu Gast zu bitten. Für ungefähr viereinhalb Minuten kamen da auch Carlsen und Caruana auf die Bühne, jeder sagte ungefähr viereinhalb Sätzchen, und dann griff Carlsen in einen Beutel, in dem eine weiße und eine schwarze Dame steckten. Das ist die Art, die Farben für die erste Partie auszulosen, Carlsen zog schwarz. Und als dann 18 Stunden später Caruana mit dem weißen e-Bauern die Partei eröffnet, da antwortet ihm Carlsen mit dem Doppelschritt des schwarzen c-Bauern.

Carlsen ist seine Energie anzumerken

Der Doppelschritt des schwarzen c-Bauern, das bedeutet: sizilianische Eröffnung. Und die sizilianische Eröffnung wiederum, das bedeutet von Zug eins an: Es wird ein scharfes Spiel werden, denn bei dieser sizilianischen Eröffnungen entstehen oft zweischneidige und offene Stellungen. Und das ist dann doch ein bisschen überraschend, denn bei solchen auf zwölf Partien ausgelegten WM-Kämpfen kommt es nicht selten vor, dass sich die Spieler erst einmal ein bisschen abtasten wollen, die Atmosphäre aufnehmen und eher harmlose Varianten präsentieren. Aber mit abtasten und Atmosphäre kennenlernen ist diesmal nicht viel.

Carlsen ist seine Energie richtig anzumerken. Schon innerhalb der ersten acht Züge erhebt er sich drei Mal aus seinem Stuhl, um eine kleine Runde zu drehen. Zwischendurch zieht er sich sogar noch einen Anorak über das Jackett. Und wenn er trinkt, dann benutzt er nicht wie sein Gegenüber eine Wasserflasche, die sich aufdrehen lässt. Sondern er greift zu einem Modell, bei dem man ein bisschen am Deckel saugen und in der Mitte drücken muss, er trinkt da eher wie ein angestrengter Radfahrer. Schon früh verlässt er die theoretischen Pfade, er verzichtet auf die kurze Rochade, sondern macht die lange, auch das ein Zeichen für ein scharfes Spiel, und er schiebt seine Figuren so, dass sich seine Stellung Stück um Stück verbessert.

Die heikelste Phase des Spiels

Und Caruana? Der macht, was er oft macht, er kalkuliert und denkt lange, und zwar so lange, dass er bisweilen die Uhr vergessen zu scheint. Die Nachdenkzeit ist auch beim Denksport Schach nicht unendlich. Für die ersten 40 Züge hat jeder Spieler 100 Minuten Zeit, zudem gibt es pro Zug einen Aufschlag von 30 Sekunden. Doch bei Caruana schwindet dieses Reservoir früh. Nach 18 Zügen hat er nur noch 20:32 Minuten übrig, nach 25 Zügen noch 6:40 und nach 32 Zügen noch 2:14. Den 34. Zug absolviert Caruana, als er gerade noch sechs Sekunden Bedenkzeit hat, und noch dazu ist seine Position deutlich schlechter.

Es ist die heikelste Phase des Spiels, und Carlsen muss sich hinterher ärgern, dass er in diesem Abschnitt nicht den einen oder anderen besseren Zug findet. Nicht nur einmal gibt es für ihn die Chance forciert zu gewinnen, wie das im Schachdeutsch so schön heißt, aber er kann das nicht nutzen. Insbesondere bei seinem 34. Zug, als er die Dame auf e5 spielen müsste - aber sich stattdessen dafür entscheidet, den Bauern nach h5 zu bewegen.

"Leider hatte ich heute keinen so guten Tag", sagt Caruana hinterher, aber irgendwie rettet sich der Amerikaner durch diese Phase. Als er endlich den 40. Zug erreicht, bekommt er wieder einen Nachdenkaufschlag von einer Stunde. Und wenige Züge später ist eine Endspiel-Position erreicht. Carlsen hat noch einen Turm und drei Bauern, Caruana einen Turm und zwei Bauern. Es ist eine Stellung, die ziemlich nach Remis aussieht, aber es ist auch eine Stellung, wie sie Carlsen liebt, weil er wie kein anderer in der Lage ist, solche Positionen doch noch zu gewinnen.

Also versucht er es weiter, den Turm hierhin, den Turm dorthin, den Turm wieder hierhin, alles in der Hoffnung, irgendwie einen kleinen Bonus zu erreichen. Zehn Züge vergehen so, 20, 30, 40, 50. Irgendwann geht es auf die siebte Spielstunde zu, aber Caruana kontert alles perfekt, und kurz bevor Carlsen den Rekord bricht (124 Züge), willigt er dann doch ins Remis ein.

Ob es jetzt noch mehr solche langen Spiele geben würde, will jemand auf der Pressekonferenz wissen. Da muss dann auch der nicht ganz so gut gelaunte Carlsen lachen. "Wir werden sehen."

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:So lief die Auftakt-Partie

Titelverteidiger Magnus Carlsen und Herausforderer Fabiano Caruana lieferten sich eine umkämpfte erste Partie bei der Schach-WM. Lesen Sie hier unseren Ticker nach.

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