Schach-WM:Beethoven und Rachmaninow

In Bonn kämpfen Wladimir Kramnik und Viswanathan Anand um die Schach-Krone. Über eine gute Gage können sie sich dabei unabhängig vom Ausgang freuen.

Martin Breutigam

Für den Meisterspieler Dr. Siegbert Tarrasch hatte Schach "wie die Liebe, wie die Musik die Fähigkeit, den Menschen glücklich zu machen". Vor hundert Jahren muss Tarrasch aber gerade ziemlich unglücklich gewesen sein, er hatte nämlich eine schmerzhafte Niederlage gegen Weltmeister Emanuel Lasker erlitten. Es war das einzige Mal, dass zwei Deutsche um den Weltmeistertitel kämpften. Die Rivalen vertraten gegensätzliche Spielauffassungen - und sie konnten sich nicht leiden. Ein schachhistorisches Spektakel, das 30000 Zuschauer in Düsseldorf und München verfolgten.

Schach-WM: Will gegen Anand den Titel gewinnen: Der russische Großmeister Wladimir Kramnik.

Will gegen Anand den Titel gewinnen: Der russische Großmeister Wladimir Kramnik.

(Foto: Foto: AP)

Vom 14. Oktober an findet nach langer Zeit wieder einmal ein bedeutender Weltmeisterschaftskampf in Deutschland statt: Viswanathan Anand, 38, der Titelinhaber, trifft in der Bonner Kunsthalle auf Wladimir Kramnik, 33, den Champion von 2000 bis 2007. Der Inder gegen den Russen, der brillante Taktiker gegen den tiefen Strategen. Zwölf Partien.

Beide verkörpern grundverschiedene Stilrichtungen, aber im Gegensatz zu früheren, mitunter verfeindeten Koryphäen respektieren sich Anand und Kramnik. Fußtritte unterm Tisch wird es bei ihnen bestimmt nicht geben, auch keine Parapsychologen in der ersten Zuschauerreihe. "Wir haben eine normale, anständige Beziehung", sagt Kramnik, "der Kampf wird allein am Brett entschieden. Ich erwarte keine Skandale, sondern hochklassiges Schach." Seit 1989 saßen sich die beiden in mehr als 120 Partien gegenüber. Mehr als 50 Mal haben sie mit langer Bedenkzeit gespielt, dabei hält Kramnik mit "plus 2" eine leicht positive Bilanz. Auch in Bonn wird sogenanntes klassisches Schach gespielt, die Partien können bis zu sieben Stunden dauern.

Ein halbes Jahr lang haben die beiden sich vorbereitet. Sie haben die Stärken und Schwächen des Gegners bis ins Detail analysiert, Computer und Sekundanten nach Eröffnungsfeinheiten forschen lassen und ihre Körper trainiert. Obwohl Kramnik nach eigenen Worten kaum etwas mehr verabscheut als das Schwimmen, ist er auf Empfehlung seines Arztes Tag für Tag anderthalb Kilometer gekrault. "Insgesamt war das vielleicht eine Distanz wie von Moskau nach Bonn", sagt der Russe. Schon vor ein paar Tagen ist er in Bonn eingetroffen. "Ich versuche mich zu entspannen, zu genießen und emotional in Stimmung zu bringen." Es mache keinen Sinn, jetzt noch zu arbeiten. Dafür sei schließlich das Team da.

Bis zuletzt war auf beiden Seiten versucht worden, die Namen der Helfer geheim zu halten. Damit der Gegner im Hinblick auf vorbereitete Eröffnungen keine Schlüsse ziehen konnte. Inzwischen sind alle Sekundanten bekannt. Dass Topgroßmeister Peter Leko zum Kramnik-Team gehört, ist auf den ersten Blick die größte Überraschung. Im WM-Finale 2004 hatte Kramnik seinen Titel gegen den Ungarn nur mit einem 7:7 verteidigen können.

Beethoven und Rachmaninow

Die Wahl ist auch interessant, weil Leko und Anand seit langem freundschaftliche Kontakte pflegen. Das Gleiche gilt allerdings auch für Leko und Kramnik, die beide vom Dortmunder Carsten Hensel gemanagt werden. "Peter und ich haben großen Respekt voreinander. Als Schachspieler und auch als Menschen", sagt Kramnik: "Ich bin sehr glücklich, dass er in meinem Team ist. Einige Eröffnungsprobleme werde ich nur dank seiner Anwesenheit lösen können."

Kramnik, der Garry Kasparow im Jahr 2000 entthronte, und Anand, der das WM-Turnier in Mexiko-City 2007 gewann, stehen als 14. und 15. Weltmeister bereits in einer Linie mit klangvollen Namen wie Steinitz und Lasker, Capablanca und Aljechin. Mit den Beethovens und Rachmaninows des Schachs sozusagen. In seiner Jugend hat Kramnik die Partien der alten Meister ehrfürchtig studiert. Auch die von Lasker und Tarrasch.

"Ich bin ein großer Fan von Lasker", sagt Kramnik. Für ihn ist der promovierte Mathematiker einer der größten Spieler der Geschichte, nicht nur weil Lasker 27Jahre lang Weltmeister blieb. "Dieser Rekord wird sowieso niemals gebrochen werden, das waren andere Zeiten. Lasker war auch ein enorm kraftvoller Spieler, der als einer der Ersten die Psychologie für sich genutzt hat und Schach als komplexes Spiel begriff."

Auch als Verhandlungspartner war Lasker gefürchtet und seiner Zeit voraus. Vor 100 Jahren erhielt er ein für damalige Verhältnisse enormes Antrittsgeld von 7500 Mark und eine Siegprämie von 4000 Mark. Tarrasch, der gutsituierte Arzt, hatte auf ein Antrittsgeld verzichtet und vorab sogar die Preissumme des Verlierers, 2500 Mark, garantiert.

Immerhin, einen Trost gab es für ihn am Ende: Weil die WM 1908 ein Publikumserfolg wurde, musste Tarrasch für seinen zweiten Preis nicht selbst aufkommen. Wie viele Zuschauer zur WM nach Bonn pilgern und 35 Euro Eintritt pro Partie zahlen, braucht Anand und Kramnik nicht zu kümmern. Ihnen ist vorab die gleiche Summe garantiert: Unabhängig vom Ergebnis erhält jeder 750000 Euro.

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