Schach:"Schön ist, was wir nicht wissen"

Schachweltmeister Viswanathan Anand aus Indien über seinen gewonnenen Titelkampf gegen den Rivalen Kramnik.

Martin Breutigam

SZ: Herr Anand, haben Sie bei der WM Wladimir Kramnik besiegt, weil Sie mit Ihrem Team besser vorbereitet waren, oder haben Sie einfach besser gespielt?

Schach: Titel verteidigt: Anand besiegte Wladimir Kramnik

Titel verteidigt: Anand besiegte Wladimir Kramnik

(Foto: Foto: dpa)

Anand: Das kann man nicht trennen, das gehört zusammen. Wir haben etwas gefunden, womit wir ihn unter Druck setzen konnten, und das hat funktioniert.

SZ: Wie kam es zum Schlüsselzug Läufer b7 in der Meraner Variante, mit dem Sie die Partien drei und fünf gewannen?

Anand: Ich hatte ihn selber entdeckt. Dann erzählte ich Rustam davon ..

SZ:...Großmeister Rustam Kasimdschanow, einem Ihrer Sekundanten ...

Anand: Ich sagte ihm, ich habe da etwas Interessantes gefunden. Okay, zeig' her, sagte er. Also schickte ich ihm meine Analysen, und erstaunlicherweise schickte er mir seine gleich zurück. Denn zufällig hatte er dieselbe Idee schon vor einem Jahr vorbereitet. Ich sah, dass seine Analysen ungefähr zehnmal so umfangreich waren wie meine. Also, prinzipiell war es Rustams Idee, er hat sie entwickelt.

SZ: Diese Idee führte zu verwickelten, rechenintensiven Stellungen. Offenbar hatten Sie solche vorher als eine kleine Schwäche Kramniks ausgemacht.

Anand: Es war nicht so wie zu Botwinniks Zeiten (Michail Botwinnik war, mit Unterbrechungen, Weltmeister zwischen 1948 und 1963/Red.). Ich habe nicht gesagt, dass ich diese oder jene Schwäche entdeckt habe und folgende Mittel dagegen einsetze. Es stimmt aber, ich mag diese Art zu spielen. Es war wichtig, solche Stellungen aufs Brett zu bekommen.

SZ: Geholfen haben Ihnen die Großmeister Kasimdschanow, Nielsen, Wojtaszek und Ganguly, vier Sekundanten aus vier verschiedenen Nationen.

Anand: Die Atmosphäre war sehr gut. Manchmal dauert es Monate, um sich aneinander zu gewöhnen, aber hier hat es gleich funktioniert. Sie haben zu viert zusammen gesessen oder die Themen mit auf ihr Zimmer genommen. Normalerweise haben sie bis sieben oder acht Uhr morgens gearbeitet, also die ganze Nacht durch. Ich nehme an, dass sie ein bisschen Pause gemacht haben, wenn ich gegen Kramnik gespielt habe.

"Schön ist, was wir nicht wissen"

SZ: Zur Hälfte des Kampfes führten Sie schon mit drei Punkten Vorsprung - gegen Kramnik, der nur selten verliert.

Anand: Die Siege in der dritten, fünften und sechsten Partie waren natürlich sehr wichtig. Aber dann musste ich es noch nach Hause bringen. Er hat mich stark unter Druck gesetzt in den letzten Partien.

SZ: Für Liebhaber gab es in Bonn viele reizvolle Momente, Laien verschließt sich aber der Reiz dieses uralten Spiels. Was bedeutet für Sie Schönheit im Schach?

Anand: Für mich ist das, was wir nicht wissen, schön. Wir wissen zum Beispiel, dass die Dame stärker ist als ein Turm. Aber es gibt auch Ausnahmen, wo es umgekehrt ist. Das Unerwartete, das Überraschende, das ist schön. Oder auch hier (Anand zeigt in seinem Hotelzimmer aufs Schachbrett, auf dem die Stellung der fünften Partie gegen Kramnik aufgebaut ist/Red.), normalerweise weiß man, diese Bauernstruktur ist schwach und der König hat nichts in der Mitte zu suchen, aber hier war beides sehr stark. Ein neues Konzept oder eine überraschende Idee - die Schönheit im Schach liegt im Gegenteil des Erwartbaren.

SZ: Ist die Suche nach Schönheit der eigentliche Antrieb für Sie?

Anand: Es wäre schwer, Schach zu spielen, ohne dass man genießt, was man tut. Die Schönheit spielt eine große Rolle.

SZ: Der norwegische Wunderjunge Magnus Carlsen hat Sie auch unterstützt.

Anand: Er hatte mich nach meinem Turnier in Bilbao zu Hause in Madrid besucht. Wir haben einige Tage zusammen gearbeitet. Ich habe höchsten Respekt vor seinen Fähigkeiten. Außerdem ist er ein netter Kerl. Wir sind gute Freunde.

SZ: Carlsen ist auch Ihr Teamkollege beim OSG Baden-Baden. Und trotz seiner 17 Jahre ist er wohl schon Ihr schärfster Rivale. Spielen die Weltmeister von morgen anderes Schach als Ihre Generation?

Anand: Die moderne Generation spielt sehr dynamisch, sie wählen viele verschiedenen Eröffnungen und haben ein sehr breites Repertoire. Mit den starken Computerprogrammen hat man plötzlich angefangen, vieles in Frage zu stellen. Eine Variante wie diese hier mit Läufer b7 ist ein Kind des 21. Jahrhunderts. Man muss alles sehr präzise ausanalysieren.

SZ: Die Computer sind aber auch zu einer Gefahr fürs Schach geworden. Bei Weltmeisterschaften gibt es seit kurzem Maßnahmen, um heimliche Computerhilfe von außen zu verhindern. Aber in fast allen Topturnieren fehlen jegliche Gegenmaßnahmen. Das klingt inkonsequent.

Anand: Ich glaube, zum Beispiel in Linares (das Turnier in Spanien ist Anands nächstes im März 2009/Red.) brauchen wir das nicht, da kann man so etwas nicht machen. Aber wenn sie dort sagen, jetzt führen wir Maßnahmen ein, fände ich das auch in Ordnung.

SZ: Allein die Vorstellung, es könnte irgendwo betrogen werden, sei schädlich für die Konzentration, haben Sie gesagt.

Anand: Genau, aber wir brauchen auch Vertrauen. Sonst wächst die Paranoia, und Sie führen 50 Gegenmaßnahmen durch und sind trotzdem nicht sicher, ob es noch eine 51. gibt.

SZ: Sie sind nach der klassischen Linie, die 1886 mit Wilhelm Steinitz begann, der 15. Weltmeister der Schachgeschichte. Im vergangenen Jahr haben Sie in Mexiko das WM-Turnier gewonnen, diesmal einen traditionellen Wettkampf. Welches Format werden Sie unterstützen?

Anand: Wenn es eine hart umkämpfte Weltmeisterschaft gibt, ist es egal, ob es ein Match oder ein Turnier ist. Ich habe gerne in Bonn gespielt, aber auch in Mexiko. Ich bin auf beides gleich stolz.

SZ: Die bevorstehende Schacholympiade in Dresden spielen Sie nicht mit?

Anand: Ich nehme mir eine Pause. Meine Frau Aruna und ich fliegen kurz nach Spanien und dann für längere Zeit nach Indien. Wir fliehen vor dem Winter.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: