Schach:Schach-Spielerinnen wollen WM in Iran wegen Kopftuchzwang boykottieren

April 12 2015 St Louis Missouri U S IM NAZI PAIKIDZE prepares for her match at the 2015 U S; Schach WM Frauen

"Ich kann dort sofort inhaftiert werden", sagt die amerikanische Schachspielerin Nazi Paikidze-Barnes über den Iran, wo 2017 die Frauen-WM stattfindet.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Verschleiert antreten oder gar nicht hinfahren? Viele Sportlerinnen stehen vor der Schach-WM in Iran vor einem Dilemma. Der Fall zeigt, wie wenig sich Sport und Politik trennen lassen.

Von Christoph Dorner

Als sich der Weltschachbund (Fide) Mitte September in Baku zur Schacholympiade traf, wurden am Rande des Turniers ein paar wesentliche Dinge entschieden: Oman, Eritrea und Nauru werden Mitgliedsstaaten. Die Senioren-WM 2018 geht nach Radebeul bei Dresden. Und, Beschluss Nummer 31: Die Weltmeisterschaft der Frauen im Februar 2017 findet in Iran statt.

In dem islamischen Land ist Schach äußert beliebt. Zwischen 1981 und 1988 war das Brettspiel verboten, weil die Bevölkerung in Parks um Geld gespielt hatte, was der Islam verbietet. Im Verborgenen wurde Schach nur noch populärer. Einwände gegen die Entscheidung für Iran habe es in Baku nicht gegeben, erinnert sich Herbert Bastian, Präsident des Deutschen Schachbundes. Man habe ja über etwa 100 Tagesordnungspunkte abstimmen müssen, sagt der Lehrer aus dem Saarland.

Doch nun formiert sich bei den 64 Teilnehmerinnen Widerstand. Sie sollen bei dem Turnier in der Hauptstadt Teheran Kopftücher tragen, so wie alle iranischen Frauen im öffentlichen Leben. Die Kommission für Frauenschach im Weltverband hat die Spielerinnen dazu aufgerufen, die "kulturellen Differenzen zu respektieren".

Frauen in Iran müssen seit 1979 Kopftücher tragen

Stattdessen haben mittlerweile mehrere Großmeisterinnen angekündigt, die WM zu boykottieren. Sie werfen dem Weltschachbund vor, mit der Turniervergabe die Diskriminierung von Frauen zu billigen. "Keine Institution, keine Regierung und auch keine Weltmeisterschaft im Schach sollte Frauen zwingen, ein Kopftuch zu tragen", twittert Carla Heredia aus Ecuador. Die amerikanische Meisterin Nazi Paikidze-Barnes sagte der britischen Zeitung The Daily Telegraph: "Natürlich respektiere ich die Kultur des Iran. Wenn ich aber Auflagen dort nicht erfülle, kann ich sofort inhaftiert werden."

Das Tragen von Kopftüchern ist für Frauen seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 gesetzlich vorgeschrieben. Die deutsche Botschaft weist Reisende darauf hin, dass Frauen in der Öffentlichkeit immer ein Kopftuch und einen knielangen Mantel tragen sollten. Bei Männern reicht es, wenn sie keine kurzen Hosen anziehen.

Obwohl sich Iran in den vergangenen Jahren für westliche Touristen und Unternehmen geöffnet hat, wird die Einhaltung einer islamischen Kleiderordnung von der Justiz und der Religionspolizei weiterhin streng überwacht. Frauen ohne Kopftuch droht eine Geld- oder Haftstrafe. Allein 2014 wurden 3,6 Millionen Iranerinnen belangt, weil Haare und Nacken nicht ausreichend mit dem Hidschab bedeckt waren.

Die Vergabe der WM in den Iran stürzt Spielerinnen in ein Dilemma

Der Weltschachbund, der auch vom Internationalen Olympischen Komitee anerkannt ist, lehnt in seinen Statuten jegliche Form der Diskriminierung explizit ab. Auch der Deutsche Schachbund verweist in seiner Satzung auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Insofern ist es erstaunlich, dass die Entscheidung, die Frauen-WM in Iran stattfinden zu lassen, derart geräuschlos fiel.

Dass die iranischen Sittenwächter aber eine öffentliche Veranstaltung nicht akzeptieren, bei der ausländische Sportlerinnen ohne Kopftuch auftreten, hätte dem Weltverband klar sein müssen. Er stürzt einige der Spielerinnen in ein Dilemma: Sollen sie zähneknirschend ein religiöses und ein politisches Symbol tragen, nur um ihren Sport ausüben zu dürfen?

Fide hatte schon im Frühjahr ein Frauenturnier in Teheran veranstaltet, bei dem sich einige Spielerinnen ärgerten, weil ihnen vorab niemand gesagt hatte, dass sie ein Kopftuch tragen müssen. Susan Polgar von der Kommission für Frauenschach versuchte die Diskussion um das Kopftuch diese Woche einzufangen: "Ich bin in 60 Länder gereist. Wenn ich fremde Kulturen besuche, zeige ich meinen Respekt, indem ich mich in der Tradition des Landes anziehe. Niemand zwingt mich dazu." Als Diskriminierung scheint die Amerikanerin das Tragen von Kopftüchern ohnehin nicht zu verstehen: "Ich glaube, die Organisatoren haben den Spielerinnen bei dem Turnier eine schöne Auswahl zur Verfügung gestellt."

Der Weltschachbund tut sich schwer, Sport und Politik zu trennen

Dem Präsident des Deutschen Schachbundes ist die Aufregung um das Turnier unangenehm. "Es ist letztlich eine persönliche Entscheidung jeder Teilnehmerin, ob sie sich diesen Regelungen unterwirft", sagt Bastian, der dann diplomatisch wird: "Der Schachsport will den Dialog der Kulturen fördern. Deshalb müssen Veranstaltungen auch in Ländern stattfinden können, die für die westliche Welt mitunter fremde kulturelle Gewohnheiten vertreten." Seine private Meinung ist eine andere, sie will Bastian aber nicht öffentlich äußern.

Wie schwer sich der Weltschachbund tut, Sport und Politik zu trennen, sieht man auch an anderer Stelle. Gegen den Verbandspräsidenten, den russischen Unternehmer Kirsan Iljumschinow, wurde bei der Vollversammlung in Baku ein Abwahlverfahren nicht zugelassen. Er soll mit Syriens Diktator Bashar al-Assad Geschäfte gemacht haben. Armenische Sportler spielten bei der Schacholympiade in der Hauptstadt Aserbeidschans erst gar nicht mit, nachdem der Grenzkonflikt zwischen den beiden Ländern im Frühjahr wieder aufgebrochen war.

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