Schachspieler Vincent Keymer:Carlsen gratuliert

Schachspieler Vincent Keymer: "Die ganze Welt schaut zu": Vincent Keymer (rechts) im Spiel gegen Magnus Carlsen.

"Die ganze Welt schaut zu": Vincent Keymer (rechts) im Spiel gegen Magnus Carlsen.

(Foto: David Llada/dpa)

Vincent Keymer wird bei der Schnellschach-Weltmeisterschaft Zweiter hinter dem dominierenden Norweger Magnus Carlsen. Der Deutsche begeistert mit seinem Spiel auch die neutralen Zuschauer.

Von David Kulessa

Zum Schluss sah auch Magnus Carlsen ganz genau hin. Wie die meisten im Saal war der Norweger am Mittwochabend zu dem Brett gewandert, an dem Vincent Keymer gerade alles daran setzte, seinem ohnehin schon größten Erfolg der bisherigen Karriere die Krone aufzusetzen. Deutschlands bester Schachspieler benötigte einen Sieg gegen den französischen Großmeister Maxime Vachier-Lagrave, um nach Punkten mit Tabellenführer Carlsen gleichzuziehen und somit einen Stichkampf um den WM-Titel im Schnellschach zu erzwingen. "Die ganze Welt schaut zu", sagte Peter Leko, während sein Schüler versuchte, das Endspiel zu gewinnen.

Leko, der Keymer schon trainierte, als dieser 13 Jahre alt war, kommentiert im Internet die Schnell- und Blitzschach-WM aus Almaty, Kasachstan, und gibt sich wenig Mühe, Unparteilichkeit vorzugaukeln, wenn Keymer am Brett sitzt. Wozu auch, schließlich begeistert der 18-Jährige selbst neutrale Zuschauer.

Denn auch wenn er seinen französischen Gegner letztlich nicht besiegen konnte und sich die beiden nach je 65 Zügen einer aufregenden Partie auf Remis einigten, die Leistungen Vincent Keymers auf dem Weg zum zweiten Platz bei der WM im Schnellschach waren herausragend. Dabei hatte Keymer vor dem Turnier selbst betont, der Wettbewerb stelle für ihn in erster Linie eine Übung auf hohem Niveau dar, schließlich fühle er sich beim klassischen Schach mit langer Bedenkzeit eigentlich wohler. Und doch erspielte er sich gleich bei seiner ersten Schnellschach-WM beinahe eine Entscheidungspartie gegen den besten Spieler der Welt.

Vom zweiten Tag an agiert Keymer wie ein absoluter Weltklassespieler

Dass Magnus Carlsen (zumindest mit den weißen Steinen) wohl noch immer eine Nummer zu groß ist, zeigte das Auftaktspiel des dritten Turniertages, bei dem der Weltmeister den Deutschen für anfängliche Passivität bestrafte und ihn schließlich zur Aufgabe zwang. Es blieb die einzige Niederlage des Tages für Keymer, der anschließend Jan Nepomnjaschtschi, den WM-Finalisten von 2021 und 2023, und den Inder Santosh Vidit schlug. Beide waren vor dem Turnier deutlich stärker eingeschätzt worden als der Deutsche, gerade Nepomnjaschtschi ist Teil jener Spitzenklasse, zu der Keymer bislang noch nicht gehört. Aber mehr denn je liegt die Betonung aktuell auf: noch.

Keymer steigerte sich im Verlaufe seiner 13 WM-Partien stetig. Holte er aus den ersten fünf Spielen noch standesgemäß 3,5 Punkte, agierte er vom zweiten Tag an wie ein absoluter Weltklassespieler. Gleich zum Auftakt schlug er den US-amerikanischen Spitzenspieler Fabiano Caruana in einer hochklassigen Partie, es folgten zwei weitere Siege gegen Supergroßmeister sowie ein hart erkämpftes Schwarzremis gegen Vladimir Fedoseev aus Russland. Mit den weißen Steinen gewann Keymer ohnehin jede Partie. "Meinen Glückwunsch zu einem großartigen Turnier", sagte Magnus Carlsen bei der abschließenden Pressekonferenz in Richtung Vincent Keymer.

Für Carlsen ist der vierte WM-Triumph im Schnellschach die Sicherheit, dass er bald nicht ohne Weltmeistertitel im Briefkopf auskommen muss; den Verzicht auf seine Titelverteidigung im klassischen Schach hat er bereits vor Monaten angekündigt. Damit möchte er Druck auf den Weltverband Fide ausüben, das WM-Match zu reformieren und unter anderem die kurzweiligeren Varianten wie Schnell- und Blitzschach stärker in den Kampf um den wichtigsten Titel des Sports zu integrieren. Zumindest was den Unterhaltungswert angeht, geben Carlsen die Tage in Almaty bisher Recht. Denn sie zeigen einerseits, welch hohes Niveau in der Weltspitze inzwischen auch dann herrscht, wenn die Spieler nicht bloß gegeneinander, sondern zusätzlich gegen die tickende Uhr spielen.

Eine Niederlage von Carlsen kurz vor Ende des Wettbewerbs sorgt für Spannung bis zur letzten Partie

Andererseits lebt das Spiel der Könige in Zeiten von Internet-Livestreams auch von Fehlern. Zuschauer möchten keine ständigen Remis sehen, Kurzweil tut den Wettbewerben gut. Ein falscher Zug wie in seinem Spiel gegen den Russen Vladislav Artemiev in der elften Runde wäre Magnus Carlsen im klassischen Schach wohl niemals passiert. So sorgte die Niederlage des Favoriten kurz vor Ende des Wettbewerbs für Spannung bis zur letzten Partie. Noch schneller als Schnell- ist Blitzschach. Statt je 15 Minuten plus zehn Sekunden pro Zug gilt hier die Zeitvorgabe 3+2, also drei Minuten pro Spieler und zwei Sekunden Gutschrift für jeden Zug.

Die Ermittlung des Weltmeisters in dieser mitunter wilden Disziplin bildet den Abschluss der Woche in Kasachstan, die für Vincent Keymer schon jetzt die erfolgreichste seiner Karriere ist - nicht zuletzt wegen des hohen Preisgeldes von umgerechnet rund 47 000 Euro, das er als WM-Zweiter erhält. Seit seinem Abitur im März ist Keymer Vollprofi, etwa 60 000 Euro benötigt er dafür laut eigener Aussage jährlich.

"Das Turnier ist fantastisch gelaufen für mich", sagte Deutschlands bester Schachspieler nach dem abschließenden Remis gegen Vachier-Lagrave in die Kamera von Chess24: "Ich bin zufrieden mit dem Ergebnis." Wie immer wirkte Keymer auch nach dem größten Erfolg seiner Karriere sehr aufgeräumt und souverän, große Gefühlsausbrüche sind von ihm nicht zu erwarten. Umso schöner ist daher, dass sein großer Förderer und Trainer die Partien live im Netz kommentiert. Mehr als einmal bemerkten Zuschauer des Livestreams: "Peter Leko wirkt wie ein stolzer Papa."

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