Schach:"Ich sah, wie er litt"

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Weltmeister Wladimir Kramnik über schlaflose Nächte, seinen Gegner Peter Leko und den Weltschachbund.

Interview: Martin Breutigam

Schachweltmeister Wladimir Kramnik, 29, lebt in Moskau. In der vergangenen Woche hat er in Brissago/Schweiz dank eines 7:7-Remis gegen Herausforderer Peter Leko (Ungarn) seinen Titel verteidigt.

"Die Zeit ist reif für ein paar gute Züge." Schachweltmeister Wladimir Kramnik im Interview. (Foto: Foto: ap)

Im SZ-Interview schildert er die Strapazen der vierwöchigen Auseinandersetzung und erklärt den Triumph, den er erst in der abschließenden Partie sicher stellte.

SZ: Sie haben erst mit einem Sieg in der letzten Partie den 7:7-Ausgleich geschafft. Das war nicht unbedingt zu erwarten, mitunter sahen Sie erschöpft aus. Haben Sie sich schon erholt?

Kramnik: Im Moment bin ich eher noch müde als glücklich. Ich muss erst einmal die Dinge ordnen und mich ausruhen, um völlig zu verstehen, was passiert ist. Zurzeit fühle ich mich leer. Wenn du ein solches Match spielst, gibst du so viel - an Energien, an Gefühlen. Jetzt fasse ich zwei, drei Wochen lang keine Schachfigur an.

SZ: Leko hat von manch schlafloser Nacht gesprochen. Wie haben Sie in den vier Wochen geschlafen?

Kramnik: Immer gut. Mit einer Ausnahme - vor der letzten Partie schlief ich wirklich schlecht. Merkwürdigerweise habe ich danach meine beste Partie gespielt.

SZ: Nach Ihrem Sieg in der ersten Partie galten Sie erst recht als Favorit. Aber die Dinge änderten sich schnell. Was war geschehen?

Kramnik: Irgendwie hatte ich da das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Die Niederlage in der fünften Partie war überflüssig. Ich denke, ich zahlte den Preis für meine Gelassenheit. Es ist alles irgendwie miteinander verbunden. Wir haben beide psychologische Fehler begangen, aber das ist unvermeidbar. Selbst wenn du extrem erfahren bist, machst du immer noch Fehler. Erst als ich nach der achten Partie zurücklag, begann ich so zu spielen, wie ich spielen kann.

SZ: Sie hatten in der Mitte des Wettkampfs eine Erkältung bekommen und mussten Medikamente nehmen...

Kramnik: Ich hatte ein paar kleinere Probleme, aber das ist keine Entschuldigung. Das war mein Fehler. Ich weiß, ich sollte immer so spielen wie in den letzten Partien. Theoretisch könnte ich es, aber aus praktischer Sicht ist das schwierig. Wir sind Menschen, wir sind beeinflusst von Situation, vom Spielstand, von Psychologie.

SZ: In der achten Partie haben Sie ganz schnell gespielt, sich auf Ihre Vorbereitung verlassen. Leko hingegen überlegte fast zwei Stunden, drang dann mit seiner Dame in Ihre Stellung ein, und plötzlich war es aus für Sie. Hat das Computerprogramm "Fritz" diese Partie verloren? Es erkennt die Kraft des Damenzuges ja erst nach einigen Sekunden.

Kramnik: Nein, es bist immer du selbst, der verliert.

SZ: Aber diese Eröffnungsvariante war doch eine vorbereitete Analyse. Haben Sie oder Ihre Sekundanten den Computer vielleicht etwas zu früh abgestellt?

Kramnik: Okay, aber während der Partie hatte ich noch so viel Bedenkzeit, dass es kein Problem gewesen wäre, die Sache zu prüfen. Ich bin mir sicher, dass ich diese Kombination gefunden hätte. Aber Peter hatte nur noch wenig Zeit, er stand unter Druck, ich sah deutlich, wie er litt. Ich spielte schnell, um ihn noch mehr unter Druck zu setzen. Das war die falsche Entscheidung, ich habe ihn völlig falsch eingeschätzt. Er würde niemals wegen solcher Mätzchen zusammenbrechen.

SZ: In der letzten Partie schien Leko dem Druck jedoch nicht gewachsen.

Kramnik: Das war anders. Da kümmerte ich mich nicht darum, wie viel Bedenkzeit er noch hatte oder wie er sich fühlte. Ich spielte einfach die besten Züge.

SZ: Dieses Match erinnerte an frühere WM-Kämpfe. Nehmen wir das Duell zwischen Lasker und Schlechter von 1910. Damals lag Dr. Emanuel Lasker, der deutsche Weltmeister von 1894 bis 1921, vor der letzten Partie zurück und musste ebenfalls unbedingt gewinnen...

Kramnik: Moment, ich glaube, Leko ist viel stärker als Schlechter...

SZ: Und Kramnik ist viel stärker als Lasker.

Kramnik: Objektiv ja. Aber ich bin mir sehr sicher, dass Lasker viel talentierter und viel großartiger war als ich. Er war einfach ein Schachgenie.

SZ: Wie dem auch sei, in der letzten Partie trafen Sie eine bemerkenswerte Wahl. Während Lasker oder später auch die Weltmeister Botwinnik und Kasparow in ähnlichen Entscheidungspartien eine ruhige Eröffnung spielten, sprangen Sie Leko geradezu an. Warum?

Kramnik: Weil Schach und das Wissen darüber sich stark entwickelt haben. Leko weiß genau, wo er seine Figuren hinzustellen hat. Der einzige Weg zu gewinnen, bestand darin, ihm von Beginn an Probleme zu stellen. Ich war mir sicher, dass er in einer normalen, ruhigen Partie nicht kollabieren würde. Aber okay, das sagt sich hinterher leicht.

SZ: Normale, ruhige Partien gab es ja genug in Brissago. Kritiker zeigten sich enttäuscht von den Kurzremisen, sie sorgen sich um das Ansehens des Schachs.

Kramnik: Na ja, das ist, als ob einer beim Fußball enttäuscht ist, dass nicht alle fünf Minuten ein Tor fällt. Die Spieler würden es gerne machen, aber es geht nicht, die Verteidigung ist zu stark. Ich verstehe die Leute. Wir wollen das Gleiche, wir wollen aufregende Partien...

SZ: Die WM in Brissago fand nicht unter der Ägide des Weltschachbundes Fide statt. Die Fide steht unter anderem wegen des Führungsstils ihres Präsidenten, Kirsan Iljumschinow, in der Kritik.

Kramnik: Mit einigen Dingen bei der Fide bin ich nicht einverstanden. Und ich bin nicht allein, es ist die Position vieler Spieler. Ich möchte einfach eine normale, sportliche Ordnung in der Welt des Schachs etablieren. Die Fide sollte einen Schritt nach vorne machen.

SZ: Iljumschinow hat einen WM-Kampf zwischen Kasparow und Fide-Weltmeister Kasimdschanow für Januar angekündigt. Eine gute Nachricht?

Kramnik: Es ist schön, dass sie spielen. Aber wir brauchen noch eine Menge Gespräche, um die Wiedervereinigung der beiden WM-Titel hinzubekommen. Es steht wohl noch ein langer, nicht einfacher Prozess bevor. Die Fide ist am Zug, die Zeit ist reif für ein paar gute Züge.

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