Schach-Herausforderer Fabiano Caruana:Noch bleicher als Magnus Carlsen

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Nächster Herausforderer für Carlsen? Fabiano Caruana (Foto: imago sportfotodienst)

Wer ist der junge Italiener, der Schach-Weltmeister Magnus Carlsen herausfordern soll? Fabiano Caruana, 22, arbeitet ähnlich professionell - und ist ähnlich glatt. Das letzte Duell empfand Carlsen als "deprimierend".

Von Birgit Schönau, Rom

Als Giulio Cesare Polerio 1575 nach Madrid zog, war er 27 Jahre alt und auf der Höhe seines Ruhms. Die Schachwelt nannte ihn den "Abruzzesen", weil er aus einer kleinen Stadt am Rande der Abruzzen stammte, einem Gebirgszug, der damals noch von Wölfen und Bären beherrscht war. In Madrid gewann Polerio, der nach dem großen Feldherrn Julius Cäsar benannt war, eine Partie nach der anderen. Nebenbei schrieb er Bücher über das Schachspiel - auf ihn geht angeblich die Einführung der Rochade zurück, eines raffinierten Doppelspielzugs.

Nicht nur im Schach waren Italiener bekanntlich Meister der eleganten Verteidigung und des klugen Konters. Auf dass nachfolgende Generationen von Polerio lernen können, werden seine Schachzüge heute in der Biblioteca Apostolica des Vatikans aufbewahrt. Wer weiß, ob Fabiano Luigi Caruana da auch mal hinkommt.

Caruana, 22, gilt als bester italienischer Schachspieler seit Polerio. In der Weltrangliste ist er die Nummer zwei hinter Magnus Carlsen, in der ELO-Bestenliste Nummer drei hinter Carlsen und Garri Kasparow. Auch Caruana lebt in Madrid, angeblich des Klimas wegen, da hören die Gemeinsamkeiten mit dem Abruzzesen Polerio aber schon auf.

Denn erstens ist Caruana nicht hinter den sieben Bergen aufgewachsen, sondern in Miami und New York, mit einem italo-amerikanischen Vater und einer italienischen Mamma. Zweitens schreibt er keine Bücher, nach eigenem Bekunden liest er sogar wenige, weil er dafür kaum Zeit übrig hat. Dabei gibt es jetzt eins über ihn, "Fabulous Fabiano", verfasst von zwei italienischen Schach-Journalisten.

Täglich verbringt Caruana vier Stunden am Computer, zum Schachtraining. Wer heute Großmeister werden will, zum erlauchten Kreis der ELO-Besten gehören will und deshalb den reichlich tautologischen Beinamen "Super-Großmeister" erhält, wer am Ende gar den Weltmeistertitel holen möchte - für den gibt's nicht mehr viel außer Schach. "Ich habe wenige Freunde", hat Caruana kürzlich dem Corriere della Sera gestanden, und eine Liebesbeziehung habe er auch nicht, "dafür würde ich aber wahrscheinlich doch die Zeit finden."

Der Schach in den Zeiten des Spätkapitalismus ist eine knallharte Angelegenheit. Und seitdem es nicht mehr um den Wettkampf der Systeme geht, ist der Stoff für Legenden begrenzt, es geht ja nur noch um Perfektion und Geld. Russland gegen den Rest der Welt, das hatte noch was, und das crazy horse Bobby Fischer war als Figur noch interessanter als die Puppen auf dem Brett. Die Twittereinträge des blassen Norwegers Carlsen und des noch bleicheren Italo-Amerikaners Caruana sind an Banalität kaum zu übertreffen. Bei Carlsen ist wenigstens so etwas wie Ironie zu ahnen, Caruana twittert humorfrei nur über Schach.

Nostalgie kennt er nur in der Musik, am liebsten hört der schmale Italo-Amerikaner mit dem Chorknabengesicht die Oldies von Led Zeppelin. Im übrigen formuliert Caruana gern Elementarsätze Wittgenstein'scher Prägung: "Alle Sportler haben Schwächen. Ich fühle jedoch, dass meine in letzter Zeit weniger werden." Oder: "Früher kreisten alle meine Träume um Schach. Heute habe ich keine Träume, sondern Ziele."

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Bald wird Caruana Carlsen herausfordern. Früher wäre das ein klassisches Nord-Süd-Duell geworden, man hätte irgendetwas Historisch-Kulturelles drumherum dichten können. Heute ist es Jahrgang 1990 gegen 1992, ELO-Bestmarke 2882 gegen 2844. Schach ist vollkommen globalisiert und superprofessionell, die Großmeister haben fast austauschbare Biografien, die wie losgelöst sind aus Zeit und Raum, weil sich in ihnen seit frühester Kindheit alles um das Spiel dreht, selbstredend unter Aufsicht fürsorglicher Eltern und ehrgeiziger Trainer. Als Fabiano Caruana elf Jahre alt war, gab seine Familie schon 50 000 Dollar jährlich für seine Schachreisen aus, die Investition hat sich gelohnt.

Neben der Unterstützung der Familie brauchen die Talente vor allem eines: Besessenheit. Die Obsession war immer schon ein Merkmal großer Schachspieler, inzwischen gehört sie zur Profi-Ausrüstung, und wer sich von ihr nicht beherrschen lässt, der ist draußen. In der Welt der jugendlichen Schach-Computer haben Veteranen wie Viswanathan Anand, 44, der soeben den WM-Titelkampf gegen Carlsen verlor, nichts mehr zu bestellen.

Anand, der "Tiger von Madras", gewann Titel für sein Heimatland Indien, es war die alte Geschichte vom Glanz des intellektuellen Kampfsports für ein wirtschaftlich noch armes Land. Carlsen ließ sich herbei, gegen Bill Gates und Mark Zuckerberg zu gewinnen, weil das sehr große, sehr prominente Unternehmer sind und dem Schach ein wenig Show gut tut. Die Show gegen Gates und Zuckerberg dauerte jeweils eine gute Minute, dann hatte Carlsen gesiegt, effizient wie immer.

Im September trat der Norweger gegen Caruana an, im Sinquefield-Cup in St. Louis. Es sei "deprimierend" gewesen, sagte Carlsen hinterher. Caruana gewann nacheinander sieben Partien des nominell stärksten Turniers der Schachgeschichte, holte 8,5 von 10 Punkten: ein monströses Ergebnis, ein Triumph der Perfektion. Seine letzt Partie gegen Carlsen endete Unentschieden. Zuvor hatte Fabulous Fabiano sich für eine Rochade entschieden.

© SZ vom 28.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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