Schach:"Es liegt auf der Hand, dass das Remis abgesprochen ist"

Schach FFB

Nicht so beruhigend, wie es scheint: Schach.

(Foto: Günther Reger)

Weil Schalke gegen Dortmund Fußball spielt, einigen sich zwei Schach-Teams auf Remis. Ein drittes steigt deswegen ab und klagt. Doch Konsequenzen bleiben aus.

Von Christoph Leischwitz

Es ist gut möglich, dass der Schachverein Post SV Memmingen nur deshalb aus der Regionalliga Süd-West abgestiegen ist, weil am letzten Spieltag gleichzeitig das Revierderby stattfand - jenes im Fußball, wohlgemerkt. Folgendes trug sich damals zu: Am Sonntagvormittag des 10. April empfing die zweite Mannschaft des Münchner Schachklubs MSA Zugzwang 82 den SC Türkheim/Bad Wörishofen am üblichen Wettkampfort, im Bürgerheim in der Westendstraße. Das Bürgerheim ist zugleich auch ein beliebter Treff für Schalke-Fans in München, und diese erschienen wegen des Nachmittags-Derbys gegen Borussia Dortmund besonders zahlreich.

Der Spielleiter gibt dem Einspruch des Post SV zunächst Recht, dann folgt ein Gegenprotest

Deshalb wurde die Partie laut MSA Zugzwang ausnahmsweise sogar im Nebenraum übertragen, in dem die Schachspieler spielten. Um Platz zu schaffen für die Fußballfans sei der Schachwettbewerb nach eineinhalb Stunden ungewöhnlich früh beendet worden, zudem mit einem überraschenden Ergebnis von 4:4, nachdem sich die Spieler in mehreren Partien auf ein Unentschieden geeinigt hatten - der MSA Zugzwang galt im Vorfeld als klar favorisiert. Alles regelkonform? In Artikel 5.2 des Weltverbandes Fide heißt es: "Die Partie ist remis durch eine von den beiden Spielern während der Partie getroffene Übereinkunft. Damit ist die Partie sofort beendet." Türkheim gelang mit diesem Ergebnis der Klassenverbleib in der Regionalliga, stattdessen stieg Memmingen ab.

Es folgte ein monatelanger Verbandsrechtstreit - in Memmingen war man überzeugt, dass eine verbotene Remisabsprache vorlag. Der Spielleiter gab dem Einspruch des Post SV zunächst Recht, dann folgte ein Gegenprotest. Im Oktober schließlich erließ das Verbandsgericht des Bayerischen Schachbunds ein endgültiges Urteil: Das 4:4 gilt. Der Beweis der Remisabsprache könne nicht erbracht werden.

"Es liegt auf der Hand, dass das Remis abgesprochen ist"

Der in diesem Fall zuständige Verbandsrichter wiederholt auf Anfrage recht deutlich, was im Urteil zwischen den Zeilen bereits zu lesen ist: "Es liegt auf der Hand, dass das Remis abgesprochen ist", sagt Norbert Simmon. Laut Einschätzung des für diesen Fall eingeschalteten Bundesrechtsberaters Rainer Oechslein sei mindestens an Brett sechs der Remisschluss überraschend, weil Weiß - also der MSA - klar besser stehe. Doch als gelernter Jurist will Simmon darauf hinweisen, dass die Frage nach erlaubt oder verboten im Regelwerk gar nicht ausreichend geklärt ist; die Grenze sei fließend.

Im Zusammenhang mit der Partie zwischen Zugzwang und Türkheim spricht Simmon auch von einer "sinnlosen Ermittlungslawine", die schon allein deshalb nicht erfolgreich sein konnte, weil Verfahrensfehler begangen worden seien. So wurden die beteiligten Personen lediglich über den Protest informiert, aber gar nicht rechtzeitig befragt. Der Vorsitzende des MSA Zugzwang, Herbert Gstalter, ärgert sich. Er fürchtet zum einen, der Vorfall könne dem Image des Schachsports schaden. Und wirft sich vor, in der Gaststätte nicht nachgefragt zu haben, ob an diesem Tag ein großes Fußball-Event ansteht. Dass man es nicht getan hatte, habe vor allem damit zu tun, "dass es für uns um nichts mehr ging", so Gstalter.

Artikel 5.2, Regelwerk des Weltverbands Fide

"Die Partie ist remis durch eine von den beiden Spielern (...) getroffene Übereinkunft."

In den allermeisten Sportarten werden Regeln oder Modus schnell und pragmatisch geändert, wenn der Fall eintritt, dass Dritte benachteiligt werden. Ein berühmtes Beispiel ist die so genannte Schande von Gijon während der Fußball-WM 1982. Das 1:0 Deutschlands gegen Österreich ermöglichte beiden Teams den Einzug in die zweite Runde des Turniers, was beide Teams auch schon vor dem Anpfiff wussten - und so schob man sich nach dem Tor nur noch den Ball in den eigenen Reihen zu, Algerien schied daraufhin aus. Seitdem werden bei großen Fußballturnieren die Partien des letzten Vorrunden-Spieltags gleichzeitig ausgetragen.

Zuschauer, also neutrale Beobachter, gibt es oft nicht

Doch im Schach ist eben vieles vertrackter. Satzungslücken lassen sich nicht so leicht aus der Welt schaffen, vor allem im Amateurbereich. Bei manchem Wettkampf fungiert wegen des Mangels an ehrenamtlichem Personal auch mal ein Vereinsmitglied als Schiedsrichter; Zuschauer, also neutrale Beobachter, gibt es oft nicht. So sind anschließende Kontrollen, und sei es nur für eine beweiskräftige Entlastung von Vorwürfen, im Nachhinein nur schwer möglich.

Das größte Problem steckt aber im Regelwerk, und das paradoxerweise gerade deshalb, weil es pragmatisch sein will - in jenem Artikel 5.2 der Regeln des Weltverbands Fide. Verbandsrichter Simmon sieht "keine Möglichkeit", diese Regelung zu ändern. Würde man eine bestimmte Zugzahl fordern, die vor einem Remis überschritten sein muss, so könnte man zuvor getroffene, also regelwidrige Absprachen damit auch nicht verhindern.

"Wenn wir gewusst hätten, was da alles folgt, wären wir gar nicht angetreten und hätten 0:8 verloren", sagt Zugzwang-Vorstand Gstalter. Ein Sieg Türkheims hätte Memmingen freilich auch nicht geholfen.

Das Revierderby im Fußball endete damals übrigens, vermutlich ganz ohne Absprache, 2:2.

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