Schach:"Die Gelegenheiten zum Betrügen sind zu zahlreich"

Der britische Schach-Großmeister Nigel Short fordert im Fall Topalow eine unabhängige Untersuchung.

Martin Breutigam

Der Weltschachbund Fide hat während seiner Präsidiumssitzung in Antalya beschlossen, künftig bei allen bedeutenden Fide-Turnieren Spielmanipulationen mit Kontrollen und anderen Maßnahmen vorzubeugen.

Nigel Short

Nigel Short: "Für Gewissenlose sind die Gelegenheiten zum Betrügen zahlreich."

(Foto: Foto: Reuters)

Eine Expertenkommission soll nun über verschiedene Möglichkeiten beraten.

Laut Geoffrey Borg, Fide-Vizepräsident aus Malta, sind erste Tests bereits für die im Mai in Elista/Russland beginnenden WM-Kandidatenkämpfe geplant. Zur Diskussion steht unter anderem die Frage, ob die Partien nicht mehr live, sondern zeitverzögert im Internet übertragen werden sollen.

Ebenfalls im Gespräch sind Glasscheiben, die nur einseitig durchsichtig sind, um jegliche Zeichengabe zwischen Zuschauern und Spielern zu verhindern.

,,Es ist klar, dass dringend etwas erfolgen muss, auch um die Integrität der Spieler und der Organisatoren zu schützen'', begründete Borg den Beschluss.

Direkter Blickkontakt zu Topalow

Vorausgegangen war ein am 27.Januar in der Süddeutschen Zeitung erschienener Artikel, in dem Beobachtungen geschildert wurden, wonach zwischen dem Weltranglistenersten Wesselin Topalow und seinem Manager Silvio Danailow beim jüngsten Turnier in Wijk aan Zee/Niederlande eine heimliche Kommunikation stattgefunden haben könnte.

Während der zweiten und dritten Runde hatte Danailow die Spielhalle ungewöhnlich oft mit dem Handy in der Hand verlassen und wieder betreten; woraufhin er regelmäßig in eine Ecke des Zuschauerbereichs ging, in der ein direkter Blickkontakt zu Topalow möglich war.

In den folgenden Runden wiederholte sich dieses Ritual allerdings nicht. Die Frage, ob die Organisatoren in Wijk aan Zee nach der dritten Runde mit dem Bulgaren über die Beobachtungen gesprochen hätten, beantwortete Dolf Vos, der Vorsitzende des Organisationskomitees, wie folgt: ,,Leider: kein Kommentar.''

Short: "Das TV-Material muss ausgewertet werden"

Topalow hatte nach seinem geteilten Turniersieg am vergangenen Sonntag die Beobachtungen ins Lächerliche gezogen: Er habe während seiner letzten Partie damit gerechnet, dass Interpol die Spielhalle betrete und ihn verhafte. Bislang sind Topalow und Danailow aber in keiner öffentlichen Erklärung inhaltlich auf die geschilderten Beobachtungen eingegangen.

Unterdessen hat der britische Großmeister Nigel Short zu einer unabhängigen Untersuchung durch die Fide im Fall Topalow aufgerufen. Gegenüber der in Mumbai erscheinenden englischsprachigen Zeitung Daily News & Analysis sagte Short, es müssten in diesem Zusammenhang unter anderem auch die ,,Dutzenden Stunden mit TV-Material'' des WM-Turniers in SanLuis/Argentinien 2005 ausgewertet werden.

Topalow war damals seinen Konkurrenten in der ersten Turnierhälfte mit 6,5 Punkten aus sieben Partien davongezogen. Unmittelbar nach Topalows Titelgewinn waren Gerüchte über mögliche Manipulationen aufgetaucht.

"Die Gelegenheiten zum Betrügen sind zu zahlreich"

Bislang hatte öffentlich noch kein Großmeister so klar Stellung bezogen wie Short. ,,Nach meinem Verständnis glaubte die Mehrheit der Spieler in San Luis insgeheim, dass Topalow während der Partien Signale von Danailow empfing'', sagte Short. Der 41-jährige Brite war 1993 WM-Herausforderer von Garry Kasparow und ist amtierender Commonwealth-Meister.

In San Luis 2005 war Short allerdings als Kommentator vor Ort. Zu seiner Verwunderung habe Danailow während der Partien ganz in der Nähe von Topalow gesessen und den Spielsaal nicht selten betreten und verlassen, ,,was ihm einfache Möglichkeiten geboten hätte, um mit Dritten in Kommunikation zu treten''.

"Für Gewissenlose sind die Gelegenheiten zum Betrügen zahlreich"

Short fügte hinzu, dass wohl jeder halbwegs gute Spieler, ausgerüstet mit einem Laptop und einem Schachprogramm, eine Stellung besser bewerten könne, wenn er den Spielsaal betritt, als die Großmeister, die dort vor dem Brett sitzen. Dabei genügten, so Short, beispielsweise einem Spieler von der Stärke Topalows pro Partie nur zwei, drei Computerzüge, um gegenüber seinen Konkurrenten in der Partie einen überwältigenden Vorteil zu bekommen.

Short ergänzte gegenüber der SZ, dass er schon während der Abschlusszeremonie in San Luis 2005 zu Morten Sand, einem der Fide-Vizepräsidenten, gesagt habe, diese WM müsse die letzte sein, die in einer derart offenen Arena ausgetragen wurde, denn ,,für Gewissenlose sind die Gelegenheiten zum Betrügen zu zahlreich''.

Short wies aber darauf hin, dass er nie behauptet habe, Topalow sei ein Betrüger. Er sei in dieser Frage unvoreingenommen. ,,Ich weiß es einfach nicht'', sagte Short. Seines Erachtens bestehe aber ein überwältigender Bedarf an unabhängigen Ermittlungen.

Dass Topalow immer noch Weltmeister Wladimir Kramnik vorwirft, beim gemeinsamen WM-Duell in Elista 2006 geschummelt zu haben, ist für Nigel Short nur eine Ablenkungstaktik, die den genauen Blick aufs eigene Handeln umleiten soll.

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