Schach:Die Arroganz des Weltmeisters

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Jan Nepomnjaschtschi (links) und Magnus Carlsen bei ihrem ersten WM-Match in Dubai, das der Norweger souverän mit 7,5:3,5 gewann. (Foto: Kamran Jebreili/dpa)

Nach dem Kandidatenturnier steht Jan Nepomnjaschtschi als Herausforderer von Schach-Weltmeister Magnus Carlsen fest - doch der Norweger weiß noch nicht, ob er Lust auf das Duell hat. Dem WM-Titel droht eine Entwertung.

Kommentar von Johannes Aumüller

Der Mann mit dem unaussprechlichen Nachnamen ist wieder da. Noch vor ein paar Monaten war Jan Nepomnjaschtschi der Großmeister, der im Kampf um die Krone des Schachsports dem Weltmeister Magnus Carlsen so ungemein deutlich unterlag. Nun ist der Russe der souveräne Sieger des Kandidatenturniers von Madrid und darf ein zweites Mal um den WM-Titel spielen - und es ist durchaus bemerkenswert, wie er das bewerkstelligte.

Recht entspannt schien er die Sache anzugehen, den markanten Dutt abrasiert, die für den WM-Kampf extra abtrainierten zehn Kilo wieder angefuttert. Und die politische Dimension beeinflusste ihn offenkundig auch nicht. Es hat ja durchaus Debatten gegeben, warum der Schachsport anders als viele andere Disziplinen kein generelles Startverbot für russische Athleten erlässt; wobei man Nepomnjaschtschi zugutehalten muss, dass er gemeinsam mit 43 anderen russischen Großmeistern Putin und den Angriffskrieg so klar kritisierte wie kaum ein anderer Sportler.

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Quasi fehlerlos spielte "Nepo" jedenfalls, und seine Teilnahme am nächsten WM-Kampf ist damit fix. Aber noch ist unklar, was genau er davon hat. Denn ob es wirklich zu einem Duell mit Weltmeister Carlsen kommt, das entscheidet jetzt: Magnus Carlsen.

Carlsen würde eigentlich nur ein Duell mit dem Wunderkind Alireza Firouzja reizen. Aber der ist in Madrid chancenlos

Der norwegische Dauerdominator hat nach dem jüngsten WM-Sieg recht eindeutig erklärt, dass er nach neun Jahren als Weltmeister zwar noch viel Lust auf Schachsport habe, aber keine rechte Lust mehr auf einen WM-Kampf im bisherigen Format. Allenfalls ein Duell mit dem iranisch-französischen Wunderkind Alireza Firouzja würde ihn reizen, gab er zu verstehen - aber der war in Madrid chancenlos. Dafür hat Carlsen speziell über Nepomnjaschtschi während des Kandidatenturniers nochmal gespöttelt. Und so wartet die Szene also gebannt auf Carlsens finale Erklärung zum Thema.

Nun steht es natürlich jedem Athleten frei, einen WM-Titel mal WM-Titel sein zu lassen und sich anderen sportlichen Zielen zu widmen - zum Beispiel, wie es Carlsen angedeutet hat, als erster Spieler in der Elo-Wertung, mit der die Spielstärke von Schachprofis gemessen wird, die 2900er-Grenze zu packen. Aber dennoch wirkt es unnötig arrogant und anmaßend, wenn der Weltmeister sich quasi aussuchen möchte, gegen wen er den Titel verteidigt.

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Für den Schachsport wäre ein Rückzug Carlsens fatal. Wenn der beste Spieler der Welt nicht antritt, würde das automatisch zu einer Entwertung des Titels führen. Und egal wer künftig Schach-Weltmeister wäre, er würde immer mit dem Etikett leben, dass sich irgendwo da draußen im Schach doch der wahre Weltmeister tummeln würde. Man kann die Situationen überhaupt nicht miteinander vergleichen: Aber wozu es führt, wenn der anerkannt beste Akteur der Welt nicht auch am WM-Kampf teilnimmt, das erlebte die Schachwelt in den Neunziger- und Nullerjahren, als sich eine Gruppe vom Weltverband abspaltete und zwei Weltmeister nebeneinanderher existierten. Carlsens Abtritt wäre besonders folgenreich, weil der seit einem Jahrzehnt nicht nur sportlich, sondern auch in der Außendarstellung die prägende Figur ist.

Das alles wissen die Schach-Verantwortlichen, und sie dürften einiges unternehmen, um Carlsen von einer Teilnahme zu überzeugen. Da dürfte es dann auch um die Formatfrage gehen. Carlsen missfällt die traditionelle WM-Variante, in der zwei Spieler zwölf oder 14 Partien gegeneinander absolvieren, von denen viele mit einem Remis enden. Alternativen wie ein K.o.-Modus mit mehreren Teilnehmern wären wohl eher in seinem Sinn. Aber eines gilt auch: Nepomnjaschtschis Niederlage gegen Carlsen war am Ende zwar heftig - doch zu Beginn hielt er durchaus gut mit. Erst nach der Niederlage in einer epischen Partie geriet er aus der Spur. Ein zweites Match zwischen den beiden könnte also durchaus etwas bieten.

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