Süddeutsche Zeitung

Deutsche Schachspieler:Der Aufstieg der Prinzen

Alexander Donchenko und Matthias Blübaum etablieren sich als die beiden besten deutschen Schachspieler - der eine als Mathe-Student, der andere als Profi.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Zwei besondere Einladungen waren es, die Deutschlands beste Schachspieler in den vergangenen Wochen erhielten. Weil ein arrivierter Großmeister kurzfristig ausfiel, durfte Alexander Donchenko, 22, als Ersatzmann in der obersten Gruppe des Prestigeturniers in Wijk aan Zee antreten, als erst zweiter Deutscher im vergangenen Vierteljahrhundert. Und Matthias Blübaum, 23, bekam eine Wildcard für das "Opera Europa Rapid". Das war zwar ein Event, bei dem die Partien nicht mit klassischer langer Bedenkzeit stattfanden, sondern online und im Schnellschach-Modus (maximal 20 Minuten pro Spieler und Partie). Aber es war wohl das Turnier mit dem erlesensten Teilnehmerfeld, das Blübaum je bestritt. Unter anderem Weltmeister Magnus Carlsen war dabei, wie auch kurz zuvor in Wijk.

Da machte es nicht viel, dass es rein ergebnistechnisch eher bescheiden lief für Donchenko (14. von 14 Startern) und Blübaum (15. von 16). Die Einladungen zu diesen Weltklasse-Runden waren auch so etwas wie eine Bestätigung für die Entwicklung der beiden derzeit besten deutschen Schachspieler. "Diese Erfahrung muss man machen, denn es ist ganz anders als jedes andere Turnier", sagt Donchenko über seinen Wijk-Auftritt.

Donchenko und Blübaum gehören schon länger zu den großen deutschen Schach-Hoffnungen. Vor mehr als einem Jahrzehnt waren sie Teil der "Prinzengruppe", in der der Deutsche Schachbund (DSB) die besten Nachwuchskräfte des Landes versammelte. Beim DSB denken sie an diese Gruppe gerne zurück, weil sie anders als vergleichbare Nachfolgeprojekte harmonisch funktionierte - und weil sich alle Talente später auch als starke Spieler erwiesen, insbesondere Donchenko und Blübaum.

Zuletzt zog Donchenko an Blübaum vorbei

Die beiden entwickelten sich kontinuierlich weiter und kämpfen seit geraumer Zeit um den Status als Deutschlands Nummer eins; in der Weltrangliste nehmen sie derzeit die Plätze 56 und 67 ein. Ihre Elo-Zahl - eine kompliziert errechnete Wertung, mit der die Stärke internationaler Spitzenspieler ausgedrückt wird - liegt aktuell bei 2678 bzw. 2670. Zur Einordnung: Außer Arkadij Naiditsch in seinen besten Tagen kam noch kein deutscher Spieler über einen Wert von mehr als 2700. Über 2800 liegen nur Weltmeister Carlsen und dessen vergangener WM-Herausforderer Fabiano Caruana. Entsprechend stark sind die Werte der beiden jungen Deutschen einzuschätzen, auch wenn Blübaum sich selbst ein bisschen wundert über die gute Entwicklung: "Ich habe nicht so viel anders gemacht."

Das Duell der beiden dauert nun schon eine Weile, Blübaum war früher auf einem hohen Niveau, Donchenkos Werte stiegen zuletzt steiler an, so dass er im Sommer erstmals den deutschen Spitzenplatz übernahm. Aber das Verhältnis sei bestens, betonen beide. "Es ist schön, wenn es gut klappt mit den Leuten, gegen die ich spiele. Mir ist lieber, dass ich mit Matthias befreundet bin, als dass wir uns gegenseitig hassen wie (die beiden früheren Großmeister) Kramnik und Topalow."

Dabei gibt es zwischen den beiden einige gravierende Unterschiede. Blübaum studiert Mathe, schreibt demnächst seine Masterarbeit und überlegt noch, ob er danach mal ein, zwei Jahre als echter Schachprofi bestreitet. Donchenko begann zwar ein Jurastudium, gab es aber auf, um sich ganz aufs Schachspiel konzentrieren zu können. Blübaum ist berüchtigt für seine Konzentration auf die französische Eröffnung, die oft zu einem Remis führt, der Vielspieler Donchenko agiert flexibler und risikoreicher. Mancher in der Szene findet, dass Blübaum eher der rechnerische und Donchenko eher der intuitive Spielertyp sei, aber die Spieler selbst gehen diese Charakterisierungen nicht mit. "Ich weiß nicht, wie ich mich definieren würde, ich mag diese Eingliederungen aber generell nicht", sagt Blübaum.

Doncheko tritt forscher auf als Blübaum

Erkennbar ist in jedem Fall, dass Blübaum eher zurückhaltend auftritt und Donchenko tendenziell forscher. "Ich habe persönlich nie gedacht, dass ich mal zu den besten deutschen Schachspielern gehören würde", sagt Blübaum. Donchenko hingegen erinnert sich, dass er schon früh vorhatte, Schachspieler zu werden, und sagt heute Sätze wie: "Ich bin vielleicht der einzige ambitionierte Profi in Deutschland, und im Prinzip gehe ich davon aus, dass ich in Deutschland die Nummer eins werde."

Auch das erklärt wohl, warum Donchenko, der in Moskau geboren wurde und dessen Eltern bereits gute Spieler waren, inzwischen knapp vor seinem Rivalen liegt. Aber es ist in der Tat schwer, in Deutschland wirklich ein Schachprofi zu sein. Arkadij Naiditsch etwa schloss sich auch deswegen vor einigen Jahren dem aserbaidschanischen Verband an (ehe er kürzlich vergeblich versuchte, wieder für Deutschland anzutreten). Andere Spitzenkräfte der jüngeren Vergangenheit wie Georg Meier entschieden sich dafür, neben dem Schach stets zu studieren oder zu arbeiten. Donchenko versucht es nun trotzdem, Blübaum vielleicht nach der Master-Arbeit.

Auch im Schach ist in Corona-Zeiten unklar, wie genau es mit dem Wettkampfkalender weitergeht. Wenn alles gut läuft, können Donchenko und Blübaum Ende Mai an der EM in Reykjavik teilnehmen. Das mittelfristige Ziel der beiden ist identisch: einen Elo-Wert von 2700 zu erreichen - damit gehört man zu den besten 30 bis 40 Spielern der Welt. Gut möglich, dass das den beiden früheren Prinzen auf sehr unterschiedliche Art gelingt.

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