Süddeutsche Zeitung

SC Paderborns Koç:Räuber mit gutem Herz

Vor drei Monaten wurde Süleyman Koç wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen - jetzt ist er dabei, den SC Paderborn in die Bundesliga zu schießen. Die Geschichte einer zweiten Chance.

Von Boris Herrmann

Der Fußballer Süleyman Koç hat etliche Vorzüge. Er hat bereits viel erlebt, er ist immer noch recht jung, er kann kicken. Damit lässt sich schon mal arbeiten. Michael Born, dem Manager vom SC Paderborn, fällt aber noch mehr ein: "Er hat eine enorme Geschwindigkeit, er gibt immer Gas, er ist torgefährlich, und er hat die körperlichen Voraussetzungen, um sich durchsetzen zu können."

Die Paderborner sind am vergangenen Wochenende erstmals in dieser Saison auf den zweiten Platz der zweiten Bundesliga geklettert. Zur Beförderung in die höchste deutsche Spielklasse fehlen ihnen jetzt nur noch sechs Punkte gegen Aue und Aalen. Und wenn der Stürmer Süleyman Koç, 24, so weitermacht, dann könnte er einer ihrer wichtigsten Aufstiegshelden werden. Sein Problem besteht darin, dass er nicht nur als der Fußballer wahrgenommen wird, der er ist. Sondern auch als der Ganove, der er einmal war. 2011 wurde er zu drei Jahren und neun Monate Haft verurteilt - wegen schweren bandenmäßigen Raubes.

Anfragen aus der Bundesliga

Kann also gut sein, dass sich in dem sonst eher unauffälligen Landstrich Ostwestfalen-Lippe bald zwei kleine Fußballwunder auf einmal ereignen. Wobei die allemal erstaunliche Erfolgsgeschichte des SC Paderborn 07 fast ein wenig verblassen würde neben der Akte Koç, die von Räubern und Gendarmen, Fäusten und Schwertern, Schuld und Sühne handelt. Von einer fahrlässig weggeschmissenen Karriere. Und von einer zweiten Chance, die man besser nicht hätte nutzen können.

Koç war vor gut drei Jahren an sechs Überfällen in seiner Heimatstadt Berlin beteiligt. Seine Komplizen, darunter sein jüngerer Bruder Sedat, hatten Sturmmasken und Macheten dabei, als sie Spielhöllen in Moabit ausraubten. Das brachte den Problem-Kids den griffigen Titel "Macheten-Bande" ein. Es wurden auch Menschen verletzt. Koç war laut Gerichtsurteil nie direkt am Tatort dabei. Er betätigte sich aber als Fahrer des Fluchtautos. Er hat immer beteuert, dass er da so reingerutscht sei. Weil nur er einen Führerschein hatte. Und weil er so schlecht "Nein" sagen könne.

Koç brauchte kein Geld. Er galt in jenen Tagen, da er straffällig wurde, als eines der größten Talente beim damaligen Drittligisten SV Babelsberg. Er träumte mit gutem Grund von einer richtigen Karriere. Es gab Anfragen aus der ersten und der zweiten Bundesliga. Was den Werdegang dieses jungen Mannes aber so unfassbar macht, ist sein sanftmütiges Wesen. Er hat ein gutes Herz. Das spürt jeder, der ihn trifft. Das sagen alle, die ihn kennen. Am Tag, als ihn das SEK in seinem Bett verhaftete, weinte beim SV Babelsberg die Sekretärin.

Koç ist schlau genug, um zu wissen, dass er nicht an der Größe seines Herzens, sondern an seinen Taten gemessen wird. Und dass er für alles, was er getan hat, selbst verantwortlich war. Aber es stimmt natürlich auch, was er zu seiner Verteidigung vorbringt: Die schiefe Bahn und sein Lebensweg verliefen lange Zeit parallel. In seinem Heimat-Kiez rund um die Moabiter Turmstaße ist Süleyman Koç seit frühester Kindheit per Du mit den Schutzgelderpressern und Drogendealern.

Er weiß, in welchen Ecken es nachts auf die Fresse gibt. "Ich habe es hier mein Leben lang nur mit Kriminellen zu tun gehabt, meine ganzen Freunde sind kriminell", hat er einmal erzählt. Sein Vater ist ein ehemaliger Kiezkönig, der es mit dem Unterschied zwischen Recht und Faustrecht nicht immer so genau nahm und irgendwann selbst mit neun Messerstichen da lag. Süleyman Koç wollte immer weg aus Moabit. Aber er steht auch loyal zu seiner Herkunft. Den Vornamen seines Vaters hat er sich auf seinen Unterarm tätowieren lassen.

Der Traum von der großen Fußballwelt hat ihn dann erst einmal nach Babelsberg und von dort gleich wieder zurück nach Moabit geführt, in die gleichnamige JVA. Er träumte trotzdem weiter. Koç hat sich in seiner Zelle so gut es eben ging fit gehalten. Er stemmte Sprudelkästen. Wegen guter Führung durfte er bald in den offenen Vollzug wechseln. Und wegen guter Torquote wechselte er kurz darauf wieder zum SV Babelsberg. Er pendelte zwischen Knast und Kabine. Tagsüber im Strafraum, nachts in der Strafanstalt.

"Er hat die Erwartungen sogar übertroffen"

Als sogenannter Freigänger entwickelte sich Koç in der Hinrunde der laufenden Spielzeit zum Top-Scorer bei den inzwischen viertklassigen Babelsbergern. Jeder sah, dass er dort überqualifiziert war. Ende Dezember 2013 wurde Süleyman Koç vorzeitig aus der Haft entlassen. Zum 1. Januar 2014 verpflichtete ihn der aufstrebende Zweitligist Paderborn. Manager Born glaubte an seine Läuterung. Und an seine Talente. Koç bekam sofort einen Vertrag bis 2016. Das war durchaus ein unternehmerisches Risiko für einen Verein mit einem schmalen Budget. Aber es scheint sich gelohnt zu haben. "Er hat die Erwartungen sogar übertroffen", sagt Born.

Acht Einsätze, zwei Tore, zwei Vorlagen, so sieht die bisherige Profibilanz von Süleyman Koç aus. Nicht schlecht für einen, der eben noch im Knast saß. Vor zwei Wochen traf er beim 2:2 gegen den direkten Aufstiegskonkurrenten Greuther Fürth. Am vergangenen Wochenende erzielte er das lange herbeigesehnte 1:0 gegen Sandhausen. "Koç erlöst ein ganzes Stadion", stand am nächsten Tag in der Zeitung. Nicht mehr Knast. Nicht mehr Machete. Erlösung. Born sagt: "Die erste Liga trauen wir ihm durchaus zu."

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SZ vom 30.04.2014/ska
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