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Paderborns Trainer Steffen Baumgart:"Der kürzeste Weg ist der beste"

Der ewige Underdog SC Paderborn ist zurück: Trainer Steffen Baumgart bekennt sich zum Attacke-Fußball - und erklärt, weshalb er fast ausschließlich Spieler aus tieferen Ligen verpflichtet hat.

Interview von Ulrich Hartmann, Paderborn

Steffen Baumgart, 47, trat im April 2017 beim Drittligisten SC Paderborn als Trainer an. Der Absturz in die viertklassige Regionalliga blieb dem Klub damals nur erspart, weil 1860 München keine Lizenz bekam. Binnen zwei Jahren führte der einstige Profi Baumgart die Ostwestfalen anschließend schnurstracks aus der dritten zurück in die erste Liga. Es war ein Parforceritt mit einer No-Name-Mannschaft, die an diesem Samstag in Leverkusen ins Oberhaus zurückkehrt, wo der SC bereits in der Saison 2014/15 kurz zu Gast war.

SZ: Herr Baumgart, seit Sie in Paderborn sind, ging es im Fahrstuhl nur nach oben. Wie ist Ihnen das gelungen?

Steffen Baumgart: Gemeinsam mit vielen Leuten, die auch daran geglaubt haben. Anfangs, 2017, ging es nur darum, die dritte Liga zu halten. Aber wenn ich heute auf die letzten zweieinhalb Jahre zurückblicke, muss ich schon sagen: einfach schön!

Genießen Sie die Aufmerksamkeit, die Kamerateams, die gerade zu Gast sind?

Ich hoffe, dass es bald wieder ruhiger wird. Die Medienarbeit gehört zu meinem Job, aber ich hätte auch kein Problem damit, wenn keiner mehr kommt.

Sie haben gern Ihre Ruhe?

So kurz vor Saisonstart ist schon viel auf uns eingeprasselt. An einem Tag waren mal neun oder zehn Fernsehteams da.

Und alle wollen wissen: Warum ist Paderborn mit knapp 150 000 Einwohnern Erstligist, während sich große Städte wie Hamburg und Stuttgart, Duisburg und Bochum in der zweiten Liga tummeln?

Es ist wichtig, Mut zu haben und eine klare Idee, wie man Fußball spielen will. Darüber machen wir uns sehr viele Gedanken. Wir machen das aus Überzeugung und unabhängig von Ergebnissen. Wenn ich zur Halbzeit dreinull hinten liege und deswegen aufhöre, dann wird das nichts. Wenn ich das Ergebnis aber ausblende und sage: Dieses und jenes müssen wir in der zweiten Halbzeit besser machen, dann könnte es noch was werden. Zuletzt beim Pokalspiel in Rödinghausen, da haben wir zur Halbzeit zweinull geführt und die zweite Halbzeit dreieins verloren. Wenn Sie mich fragen, welche die bessere Halbzeit war: die zweite. Weil wir da trotz der Gegentore vieles besser umgesetzt haben von dem, wie wir grundsätzlich Fußball spielen wollen. So denken wir in Paderborn. Genauso reden wir mit unseren Jungs.

Sie sind beim Viertligisten SV Rödinghausen dann ja doch noch weitergekommen, allerdings erst nach einem 3:3 und dann im Elfmeterschießen. Offenbar wurde dort schon das Risiko deutlich, dem Sie mit Ihrem Bekenntnis zum bedingungsarmen, offensiven Tempofußball ausgesetzt sind. Sie waren selbst früher ein bekannter Stürmer. Was fasziniert Sie auch heute noch als Trainer an der Attacke?

Geradlinigkeit! Der kürzeste Weg zum Tor ist der beste. Die Jungs wissen: Es geht immer geradeaus! Genauso denken wir aber auch beim Ballanlaufen. Es geht immer um den Ball. Wir arbeiten so lange am Ball, bis wir ihn haben. Wenn ein Spieler mal sagt: "Ich habe gedacht, dass ich den Ball nicht kriege", dann sage ich ihm: Versuch es trotzdem! Klappt es nicht, finden wir das nächste Mal eine Lösung. Mir wird eh viel zu viel darüber gesprochen, was alles nicht geht. Wir erzählen den Spielern lieber, was geht. Geht dann wirklich mal was nicht, suchen wir eine Lösung. Die haben wir bisher noch immer gefunden.

Offenbar auch bei Neuverpflichtungen. Nach dem Aufstieg in die zweite Liga hatten Sie Ihr Team so verändert, dass es sofort hoch in die erste ging: Nach welchen Kriterien fahnden Sie nach Zugängen?

Nicht nach Namen, sondern nach Fähigkeiten. Hat der Spieler einen guten ersten Kontakt am Ball? Hat er nicht nur eine gute Sprintgeschwindigkeit, sondern auch die geistige Geschwindigkeit? Wir entwickeln die Jungs dann natürlich noch. Wir reden viel, wir zeigen viel. Auch mit kleinen Schritten kann man Großes erreichen.

Auch jetzt sind Sie Ihrem Modell treu geblieben: Sie haben fast nur Profis aus tieferen Ligen verpflichtet, die zumeist auch keine Äblöse kosteten. Warum ist es Ihnen nicht so wichtig, Spieler zu holen, die die Bundesliga schon kennen?

Das stimmt nicht. Wir würden schon Spieler mit Erstliga-Erfahrung wollen, aber die Frage ist doch: Wollen sie uns auch? Das ist oft eine finanzielle Frage. Es gibt drei Aufsteiger: der erste heißt 1. FC Köln, der zweite Union Berlin, der dritte Paderborn. Da sagt mancher Spieler vielleicht: Ich gucke mir erst mal Köln an und dann Berlin - und dann gucke ich nach Paderborn. Aber dann wollen wir den Spieler vielleicht nicht mehr. Für uns muss man sich bewusst entscheiden. Nur zu sagen: Ich will Fußball spielen, ich will Geld verdienen, ich will Bundesliga spielen - das funktioniert hier nicht. Du musst dieses ganze Projekt Paderborn wollen. Wer hier für sich nicht seinen Weg sieht, weil ihm vielleicht die Stadt zu klein ist, der braucht sich mit uns nicht zu beschäftigen.

Ziehen junge Spieler aus tieferen Ligen in so einem Projekt nicht eh besser mit? Sind sie pflegeleichter?

Nein, ein Spieler muss einfach nur wollen. Er muss die richtige Einstellung zum Beruf haben. Professionalität hat nicht nur mit der täglichen Arbeit zu tun. Wir bekamen früher hier auch Absagen von Spielern. Aber ich glaube, von den Absagen aus der vorigen Saison würde mancher jetzt gerne die Zeit zurückdrehen.

Ihren besten Spieler aus der Aufstiegssaison haben Sie jetzt sogar abgegeben: den Spielmacher und Torjäger Philipp Klement. Er steigt mit Paderborn in die Bundesliga auf, wechselt aber zum VfB Stuttgart zurück in die zweite Liga. Warum?

Der VfB ist ein großer Klub mit einer ganz anderen Infrastruktur als wir, mit Möglichkeiten, die wir vielleicht nie erreichen. Wir sagen den Jungs immer: Wenn Ihr die Möglichkeit habt, einen neuen sportlichen, vielleicht besseren Weg zu gehen, dann legen wir euch keine Steine in den Weg.

Sie haben nicht versucht, Klement zum Bleiben zu überreden?

Nein. Als klar war, wohin er geht, habe ich ihm sogar gewünscht, dass er es macht. Wir können den Jungs doch nicht ständig erzählen: Kommt zu uns! Entwickelt euch! Geht den nächsten Schritt! Und dann klammern wir uns an ihnen fest. Wenn unsere Spieler Angebote bekommen, ist das auch ein Zeugnis für unsere gute Arbeit.

Noch ein relevanter Mann hat Paderborn im Aufstieg verlassen: Sportdirektor Markus Krösche zog es zu RB Leipzig. Krösche hatte ein scharfes Auge für unentdeckte Perlen. Wie sehr fehlt er Ihnen?

Er war ein großer Initiator unseres Projekts hier. Als Persönlichkeit fehlt er uns schon, aber auch er hat sich diesen neuen Weg erarbeitet und damit verdient.

Von der individuellen Qualität her dürfte Ihre Mannschaft eigentlich keine Chance auf den Klassenerhalt haben, aber vielleicht von der Mentalität her. Ist die Mentalität Ihre Schlüsselqualifikation?

Die meisten Talente scheitern an der Mentalität. In allen Berufen gibt es talentierte Menschen, die scheitern, weil sie nicht den schwierigen Weg gehen, sondern den einfachen. Oder weil sie sich ablenken lassen, oder weil sie nicht daran glauben, was sie eigentlich alles könnten.

Natürlich orientiert sich eine Mannschaft am Charakter ihres Trainers. Woraus speist sich Ihre eigene Mentalität heute?

Ich hatte im Leben ja nicht nur positive Erlebnisse. Ich war arbeitslos, ich wurde als Fußballer irgendwann nicht mehr gewollt, bei meinem Heimatverein Hansa Rostock bin ich drei Mal rausgeflogen. Die entscheidende Frage ist: Wie geht man mit solchen Erlebnissen um? Gehst du daran kaputt oder nimmst du es als Herausforderung an?

Stimmt es, dass Sie bei Ihrer ersten Bewerbung zum Fußballlehrer-Lehrgang des DFB abgelehnt worden sind?

Ja, aber das passiert vielen. Für jeden Lehrgang mit 24 Plätzen bewerben sich 90 bis 100 Leute. Das ist also ganz normal. Beim zweiten Mal hat es geklappt, da waren sicher zehn Leute dabei, die beim ersten Mal auch abgelehnt wurden. Da gilt: nicht aufgeben, weitermachen! Ich hätte mich auch ein drittes, viertes Mal beworben, so lange, bis sie mich genommen hätten.

Sie haben mal gesagt, das Trainersein sei keine Doktorarbeit. Ganz ehrlich: Die Aufgabe ist heute doch so komplex geworden, dass es fast eine ist, oder?

Deshalb haben wir viele Leute im Team, die Sachen besser können als ich. Ich wäre kein besserer Physiotherapeut, kein besserer Busfahrer und kein besserer Rasen-Mäher. Und ich setze mich auch nicht vor den Videoschnitt, weil wir dafür jemanden haben, der das sehr gut kann.

Trotzdem, Sie waren in Ihrem Leben schon DDR-Bereitschaftspolizist, KFZ-Mechaniker, einst Profi und jetzt Trainer - das sind ziemlich viele Begabungen.

Oh, ich glaube, ich habe nur eine wirkliche Begabung, und das ist Fußball. Alles andere waren keine Begabungen, alles andere habe ich einfach nur gemacht. Bereitschaftspolizei war um die Wende herum, da war ich bei Dynamo Schwerin, und Dynamo war nun mal der Polizei unterstellt. So bin ich bei der Polizei gelandet. Das war nicht mein Ding, man erkennt ja schnell, ob einem etwas leicht fällt oder nicht. Die Ausbildung zum KFZ-Mechaniker habe ich in Aurich gemacht, damit ich einen Abschluss nach westlichem Standard habe. Ich finde es wichtig, dass man einen Abschluss hat, und wenn ich etwas gemacht habe, habe ich es auch abgeschlossen.

Fehlt noch was in der Aufzählung?

Meine Frau würde sagen, dass ich ein guter Beikoch bin. Ich mache in der Küche die Arbeiten, die sonst keiner machen will, Kartoffeln schälen, schnippeln und so was - das mache ich sogar gerne. Was zwar jetzt kein Talent ist, aber schon mal vorkommt: dass mich Leute, wenn sie mich erst mal richtig kennengelernt haben, oft anders einschätzen als auf den ersten Blick.

Wie hat Sie Ihre Kindheit und Jugend in der DDR geprägt?

Ich betone es immer wieder: Ich habe gerne in der DDR gelebt. Ich bin sehr behütet aufgewachsen, ich hatte alles, was ich brauche. Ich habe mich nie eingesperrt gefühlt. Natürlich hat man vieles über die DDR erst im Nachhinein erfahren, damals war ich dafür zu jung. Aber was mir in der DDR widerfahren ist, das war alles positiv. Auch wir sind mit Dingen kritisch umgegangen. Und ich habe von meinen Eltern gelernt, dass man klar und ehrlich sein muss. Das war ich immer im Leben, und das war nicht immer zu meinem Vorteil.

Gewissensfrage: Könnten Sie auch einen großen Klub trainieren, einen, in dem alle Fußballer als Millionäre gelten?

Ganz ehrlich: Weiß ich nicht. Ich habe mir diese Frage schon öfter gestellt, das gebe ich offen zu. Und wenn ich mit Kollegen spreche, die bereits in größeren Vereinen trainiert haben, finde ich es interessant zu hören, was dort offenbar manchmal von den Spielern so kommt. Schwierig.

Einmal aus Paderborner Perspektive betrachtet: Wie verfolgen Sie in einem Klub, der naturgemäß aufs Kleingeld achten muss, das Millionengeschacher auf dem Transfermarkt?

Es ist aufgebauscht, aber es gehört mittlerweile dazu. Auch ich komme als Trainer vielleicht eines Tages in die Situation, einen Spieler für zehn Millionen holen zu können, und dann werde ich mich bestimmt nicht hinstellen und sagen: So etwas sollten wir nicht tun! Das wäre verlogen. Das Geschäft gibt solche Summen im Moment her. Ich muss es nicht gut finden, aber es gehört dazu. Ich finde auch im Straßenverkehr nicht alles gut und halte mich trotzdem immer an die Regeln.

Wäre es falsch, das kleine Paderborn als die Insel im Haifischbecken zu sehen?

Ja, denn wir nehmen ja auch kleineren Klubs Spieler weg. Wir sind auch ein Profiverein. Wenn wir die Chance hätten, uns einen Stürmer für mehrere Millionen zu kaufen, würden wir es bestimmt tun.

Zum Ligastart geht es für Paderborn nach Leverkusen. Der Klub besitzt eigentlich nur Millionenkicker und hat noch ein paar dazugeholt. Wie lautet der Befehl des Trainers Baumgart? Volle Attacke?

Wir können den Schwanz einziehen und möglicherweise verlieren. Oder volle Attacke spielen und möglicherweise verlieren. Drei Mal dürfen Sie raten, was wir versuchen werden.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2019/ebc
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