Süddeutsche Zeitung

2. Bundesliga:Bungeespringen in Paderborn

  • Vor zwei Jahren war der SC Paderborn "auf dem Weg zum Bestatter", sportlich in die vierte Liga abgestiegen.
  • Doch schon am Sonntag könnte die Rückkehr in die erste Liga gelingen.
  • Trainer und Sportchef werden längst von der Konkurrenz umworben.

Von Ulrich Hartmann, Paderborn

Der schwärzeste Tag in der Geschichte des SC Paderborn ist nicht mal zwei Jahre her. Am 18. Mai 2017 demonstrierten verzweifelte Fans vor dem Rathaus der Stadt. "Lasst den SCP nicht untergehen!", stand auf ihrem Banner. Der Klub war sportlich zum dritten Mal nacheinander abgestiegen. Endstation vierte Liga? Die Stadt sollte finanziellen Aufschub gewähren, der Stadtrat lehnte ab. Nichts wurde gestundet. Der Klub war tot, sportlich und finanziell. Geschäftsführer Martin Hornberger erinnert sich: "Der SC Paderborn war auf dem Weg zum Bestatter."

Zwei Wochen später verlor der ebenfalls klamme Zweitligist 1860 München die Relegation gegen den Drittligisten Jahn Regensburg. Der nächste Tag, der 2. Juni, hat sich Hornberger ins Gedächtnis gebrannt: "Um 15.23 Uhr haben wir vorsorglich die Unterlagen für die Drittliga-Lizenz abgeschickt, und um 15.34 haben wir erfahren, dass 1860 seine Unterlagen nicht abgibt." Die Ostwestfalen profitierten vom Münchner Drama. Doch das eigentliche Paderborner Wunder begann erst.

Die vergangenen vier Jahre des SC Paderborn waren wie ein Bungeesprung. Der Klub ist von der ersten in die vierte Liga hinuntergesaust, beinahe zerschellt - und wieder hochgeschossen. Paderborn kehrte 2018 in die zweite Liga zurück und hat an diesem Sonntag die Chance, sich mit einem Heimsieg gegen den Hamburger SV und einer Niederlage von Union Berlin zur gleichen Zeit gegen Magdeburg zum zweiten Mal nach 2014 für die Bundesliga zu qualifizieren.

2014 reiste Paderborn zu den Bayern - als Tabellenführer

Der 11. Mai 2014 war einer der glücklichsten Tage in der 1242 Jahre währenden Geschichte Paderborns. "Die irrsinnig euphorisierte Stadt war komplett in Blau und Schwarz gehüllt", erinnert sich Hornberger. "Der schönste Tag meines Fußballerlebens", sagt der Abwehrspieler Uwe Hünemeier. Vier Monate später, am fünften Bundesliga-Spieltag, gastierte Paderborn sogar als Tabellenführer beim FC Bayern. Die Ostwestfalen standen ganz kurz auf dem Gipfel des Mount Everest. Doch vom 23. September 2014 an der Bundesligaspitze bis zur Ankunft in der Hölle am 18. Mai 2017 vor dem Paderborner Rathaus dauerte es nur zwei Jahre und acht Monate.

Hünemeier hat Paderborns Absturz vom idyllischen Seebad Brighton aus beobachtet. Er war nach dem Bundesliga-Abstieg zum englischen Zweitligisten gewechselt. "Es tat verdammt weh, das aus der Ferne mit anzusehen", sagt er. Ihn quälte das Gewissen. Hatte er seinen SCP im Stich gelassen? Aber dann nicht nur er. Trainer André Breitenreiter wechselte zu Schalke 04. Die Mannschaft brach auseinander.

Das Restprogramm der Aufstiegskandidaten

Vier Teams können noch hoffen, als Zweiter (hinter dem als Meister feststehenden 1. FC Köln) direkt in die Bundesliga aufzusteigen - oder wenigstens als Dritter die Relegationsspiele gegen den 16. der Bundesliga (derzeit der VfB Stuttgart) zu bestreiten. Hier das Restprogramm:

2. SC Paderborn (71:46 Tore / 54 Punkte)

Hamburger SV (Heim), Dy. Dresden (Auswärts).

3. Union Berlin (49:31 / 53)

1. FC Magdeburg (H), VfL Bochum (A).

4. Hamburger SV (41:38 / 53)

SC Paderborn (A) MSV Duisburg (H).

5. 1. FC Heidenheim (47:40 / 49)

MSV Duisburg (A) FC Ingolstadt (H).

Vier Trainer binnen 21 Monaten versuchten danach, den Niedergang aufzuhalten: Markus Gellhaus, Stefan Effenberg, René Müller und Stefan Emmerling. Kurz vor der vierten Liga traf der damalige und kürzlich verstorbene Präsident und Mäzen Wilfried Finke zwei wegweisende Entscheidungen: Er verpflichtete Markus Krösche als Sportdirektor und Steffen Baumgart als Trainer.

Krösche hatte 13 Jahre für Paderborn gespielt, war dann Co-Trainer unter Roger Schmidt in Leverkusen und kehrte zurück, um Paderborn zu retten. Er schaffte das mit klugen Verpflichtungen. Den Spielgestalter Philipp Klement holte er aus der zweiten Elf des FSV Mainz 05, den defensiven Mittelfeldmann Sebastian Vasiliadis vom Drittligisten VfR Aalen, den rechten Flügelstürmer Kai Pröger vom Fünftligisten Rot-Weiß Essen und den linken Flügelstürmer Christopher Antwi-Adjej vom Fünftligisten TSG Sprockhövel. Das sind nur vier von all jenen, die jetzt Kandidaten für größere Klubs sind. Die Perle in der Paderborner Belegschaft ist aber Krösche selbst mit seinem Auge für Talente. Viele Klubs sind an dem 38-Jährigen interessiert, aber die bislang einzige offizielle Anfrage erhielt Paderborn vor einem Jahr vom HSV; doch Finke wollte damals 2,5 Millionen Euro Ablöse. Zuletzt galt Krösche auch bei Schalke 04 als Kandidat; das hat sich offenbar auch erst mal erledigt.

Wer immer sich in Paderborn hervortat, wurde abgeworben: der Trainer Roger Schmidt, der den Aufstieg 2012 um einen Punkt verpasste, genauso wie Breitenreiter, der ihn 2014 verwirklichte. Auch Baumgart, der dritte Trainer binnen sieben Jahren, der mit Paderborn an die Tür zur Bundesliga klopft, gilt in der deutschen Trainer-Rotation als relevanter Kandidat. Baumgart kam aus der vierten Liga, beim Berliner AK hatte man ihn 2016 nach einem Jahr freigestellt.

"Selbst bei vier Grad im T-Shirt"

In Paderborn hatten sie ihn da längst auf der Shortlist. Im April 2017 angetreten, konnte der frühere Stürmer den sportlichen Abstieg aus der dritten Liga nicht mehr verhindern; aber nach dem Klassenverbleib am grünen Tisch formte er Paderborn zur offensivstärksten Mannschaft der dritten Liga.

Baumgart und Krösche lieben denselben Fußball: hohes Pressing mit laufbereiten Spielern, kurze Ballkontakte, mutiges Vertikalspiel. "Schneller, offensiver Fußball mit großer Konsequenz", sagt Baumgart. Der 47-Jährige, der in Interviews oft kauzig wirkt, ist das, was man authentisch nennt. Sein Kapitän Hünemeier, im Sommer aus England zurückgekehrt, beschreibt ihn so: "Laut, fordernd, explosiv, man muss ihn nur am Spielfeldrand beobachten, um zu erkennen, dass er mit jeder Faser Trainer ist." Und was die Öffentlichkeit nicht sieht, verrät Hünemeier auch: Baumgart glüht. "Er leitet das Training selbst bei vier Grad schon mal im T-Shirt."

Die Kälte ist vorbei. Paderborn erlebt seinen zweiten Frühling. Die Menschen in der Stadt könnten wieder so überschwänglich sein wie vor fünf Jahren, aber die vergangenen Jahre haben Spuren hinterlassen. "Viele haben Angst davor, was nach einem erneuten Bundesliga-Aufstieg passieren könnte", sagt Hornberger. Der Paderborner Bungeesprung hat die einen berauscht und die anderen verschreckt. Das Spiel gegen den HSV ist natürlich trotzdem ausverkauft. Ein zweites Fußballwunder will sich dort niemand entgehen lassen.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir im Bild fälschlicherweise Spieler von Arminia Bielefeld, Paderborns Gegner am vergangenen Spieltag, abgebildet.

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SZ vom 10.05.2019/sonn
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