SC Freiburg:Warum Nils Petersen solche Wirkung erzeugt

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"Irgendwann ist es an der Zeit, sich selbst einzuschätzen und zu wissen, für welche Mannschaft man wichtig ist": Nils Petersen.

(Foto: imago/Revierfoto)

Der Freiburger hat in dieser Saison mehr Tore geschossen als jeder andere deutsche Spieler. Vor dem Spiel gegen den FC Bayern erklären Wegbegleiter, was ihn so gut macht.

Von Benedikt Warmbrunn

An manchen Tagen, wenn Vater und Sohn wieder 300 Kilometer zur Spielbeobachtung hin- und 300 Kilometer zurückgefahren waren, lagen sie abends erschöpft auf dem Sofa, mit geschlossenen Augen, und sie redeten über ihre Träume. Der Vater sagte dann, dass er als Trainer gerne einmal eine Mannschaft in einer höheren Liga als der Oberliga trainieren würde. Der Sohn, noch keine zehn Jahre alt, sagte dann, dass er gerne einmal viele Tore schießen würde, wenn es gut läuft, dann da, wo der Vater gerade arbeitet.

Knapp zwei Jahrzehnte später hat es der Vater, Andreas Petersen, geschafft, sich als Trainer in der Regionalliga Nordost zu etablieren, zurzeit steht er mit Germania Halberstadt, einem Aufsteiger, auf dem elften Tabellenplatz. Und der Sohn, Nils, schießt viele Tore, allerdings nicht in der Regionalliga, auch nicht in der Oberliga. Er schießt sie in der Bundesliga.

Zwölf Treffer hat Petersen, 29, in dieser Saison für den SC Freiburg erzielt, das sind schon jetzt, vor dem Heimspiel an diesem Sonntag (18 Uhr) gegen den FC Bayern sowie zehn Spieltage vor dem Saisonende, mehr Tore, als er je in einer gesamten Bundesliga-Saison erzielt hat; nur der FC-Bayern-Angreifer Robert Lewandowski (20 Tore) und der inzwischen von Dortmund zum FC Arsenal gewechselte Pierre-Emerick Aubameyang (13) stehen in der Torschützenliste noch vor ihm.

Soll Andreas Petersen den Erfolg seines Sohnes erklären, kommt er irgendwann auf die Abende auf dem Sofa zu sprechen. "Eine seiner Stärken ist es, dass er sich nie größer gemacht hat, als er ist. Aber wenn er sich ein Ziel setzt, erreicht er es auch. So hat er sich immer weiterentwickelt."

Den großen Titeln war er nahe. Gewonnen hat er keinen davon

Es gibt Karrieren, die glamouröser verlaufen sind als die von Nils Petersen, Karrieren, in denen aus Namen Weltmarken wurden, Karrieren, in denen nicht nur die geschossenen Tore gezählt wurden, sondern auch die gewonnenen Titel. Petersen war den großen Titeln sehr nahe, er stand im Finale der Champions League, im Finale des DFB-Pokals, im Finale der Olympischen Spiele. Gewonnen hat er keinen der Titel. Seine Karriere ist stattdessen eine, die dafür steht, wie weit einer kommen kann, wenn er seine wahre Größe kennt.

"Nils hat nie den einfachsten Weg genommen, aber in dieser Saison erkennt man, dass er sich dadurch eine ganz eigene Wertigkeit erarbeitet hat", sagt Andreas Petersen. Horst Hrubesch, der Petersen 2016 bei den Olympischen Spielen trainiert hatte, sagt: "An Nils sieht man, dass es einem Spieler entgegenkommt, wenn er mündig ist und sich eine Meinung von sich selbst bildet." Nils Petersen selbst sagte zu Sport1: "Irgendwann ist es an der Zeit, sich selbst einzuschätzen und zu wissen, für welche Mannschaft man wichtig ist."

Dass der Stürmer Petersen in dieser Saison so treffsicher spielt wie noch nie zuvor, sagt der Trainer Petersen, liege an drei Punkten. Erstens: Er fühle sich in Freiburg wohl; Ende Februar hatte er seinen Vertrag vorzeitig verlängert (Vertragslaufzeiten verheimlichen sie in Freiburg prinzipiell). Petersen hat ein Jahr lang für den FC Bayern gespielt, eineinhalb Jahre in Bremen, doch erst in Freiburg hat er die Zeit bekommen, sich zu dem zu entwickeln, den er in sich selbst sieht: zu einem vielseitigen Stürmer, der weiß, dass jedes Tor seiner Mannschaft hilft. Zweitens: Er sei ein Stammspieler; in den Jahren zuvor war Petersen vor allem als Joker erfolgreich, seine 20 Tore als Einwechselspieler sind die Bestmarke der Bundesliga-Geschichte. Drittens: Er ist von der Mannschaft zu einem der drei Kapitäne gewählt worden.

"Seitdem", sagt der Vater, "hat er eine andere Körperspannung, eine neue Aura. Das erzeugt eine Wirkung, bei den Mitspielern und bei den Gegenspielern."

"Ich glaube, Jogi Löw kennt ihn auch", sagt Horst Hrubesch

Andreas Petersen war immer stolz darauf, dass sein Sohn beidfüßig ist, dass er im Spiel geduldig bleibt, dass er sich intelligent bewegt, vor allem im Strafraum. All das waren Dinge, die sie vor zwei Jahrzehnten gemeinsam geübt hatten. Der Vater wollte verhindern, dass der Sohn alleine auf die Vorlagen der Mitspieler angewiesen ist. "Mit der Geduld im Strafraum hatte Nils es zwar manchmal übertrieben, dann fand er es spannend, Gänseblümchen zu pflücken", erinnert sich Andreas Petersen, "aber wenn er den Ball hatte, war immer sofort eine Idee zu erkennen."

Von dieser Ausbildung profitiert auch der Bundesligastürmer Petersen, er hat die Übersicht, um zu entscheiden, ob ein Pass oder ein Torschuss zielführender sind. In seiner neuen Rolle als Kapitän, glaubt sein Vater, spüre Nils mehr Verantwortung der Mannschaft gegenüber, er beauftrage sich daher häufiger, voranzugehen mit seinen Fähigkeiten. Von seinen zwölf Toren in dieser Saison erzielte er eines mit dem Kopf, eines mit links, fünf mit rechts sowie fünf vom Elfmeterpunkt aus. (Auf einen weiteren Saisontreffer, einen Rechtsschuss, hätte Andreas Petersen gerne verzichtet, der führte zum 1:0 des SC Freiburg in der ersten Pokalrunde gegen Germania Halberstadt.)

In einem WM-Jahr verbindet sich mit Petersens zwölf Toren nun noch eine andere Frage: die, ob der treffsicherste deutsche Bundesliga-Spieler sich Hoffnungen auf einen Platz im DFB-Kader für das Turnier in Russland machen dürfe.

Andreas Petersen findet, dass es für seinen Sohn spreche, dass er all seine Tore für Freiburg erzielt habe, "da ist die Schwierigkeit ja höher als in einer Mannschaft, die dem Gegner spielerisch überlegen ist". Hrubesch, inzwischen Sportdirektor beim DFB, sagt, er habe Petersen damals für die Olympischen Spiele nominiert, "weil ich wusste, dass er keine Eingewöhnung braucht - wenn er im Strafraum den Ball bekommt, macht er ein Tor". Ob das auch für die WM gelte? Hrubesch überlegt. Dann sagt er: "Ich glaube, Jogi Löw kennt ihn auch. Und wenn der Bundestrainer jemanden braucht, nimmt er ihn auch."

Wenn er in diesen Wochen mit seinem Sohn spreche, sagt Andreas Petersen, gehe es allenfalls kurz mal um die WM. "Er sagt dann immer, dass er großen Respekt vor den Stürmern im Kader habe." Petersen verstummt kurz. "Manchmal wünsche ich mir, dass er nicht immer ganz so bescheiden wäre."

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