Süddeutsche Zeitung

Transfers des SC Freiburg:Ewiges Kommen und Gehen

Luca Waldschmidt ist weg, Robin Koch geht zu Leeds United - der SC Freiburg verliert seine Nationalspieler, sieht sich aber in seiner Politik bestärkt. Wie lange geht das noch gut?

Von Christoph Ruf, Freiburg

Christian Streich wirkte ein wenig überrascht, als er im Trainingslager gefragt wurde, wie er denn den Verlust von mindestens vier Stammspielern kompensieren wolle. Ein resigniertes oder gar wütendes Statement über die Ungerechtigkeit der Welt ließ er sich dann auch nicht entlocken. "Natürlich macht mich die Situation nicht glücklich", sagte Streich, 55, stattdessen urlaubsgebräunt und gut gelaunt: "Wir hatten schließlich eine schöne Breite im Kader, das war auch für mich angenehm, weil ich viele Variationsmöglichkeiten hatte." Es scheint, als habe sich der dienstälteste Trainer der Liga längst die Gelassenheit erarbeitet, nicht über Dinge zu lamentieren, die er nicht ändern kann. Und zum Freiburger Konzept gehört es eben von jeher, hoffnungsvolle Talente auszubilden oder günstig zu kaufen und sie nach deren Veredelung wieder teuer zu veräußern.

So wie in diesem Sommer Luca Waldschmidt (zu Benfica Lissabon) und Robin Koch, dessen Wechsel zum Premier-League-Aufsteiger Leeds United am Samstagabend offiziell bestätigt wurde. Beide stehen kommende Woche im Kader von Bundestrainer Löw für die Nations-League-Spiele gegen Spanien und die Schweiz, beide setzen den derzeitigen Exodus von Nationalspielern aus der Fußball-Bundesliga fort, den jüngst Timo Werner begann und den schon bald Kai Havertz (ebenfalls FC Chelsea?) fortsetzen dürfte.

Waldschmidt kam 2018 von der Bank des Hamburger SV, wo man nicht viel mit ihm anfangen konnte. Koch, Sohn des alten Minipli-Recken Harry Koch, wechselte 2017 vom damaligen Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern ins Badische. In Freiburg hat sich der Marktwert beiden etwa vervierfacht, sie bringen nun zusammen etwa 30 Millionen Euro ein. Janik Haberer, den es ebenfalls wegzieht, könnte auch noch viele Millionen in die Kasse spülen. Hinzu kommen die sieben Millionen Euro, die Hertha BSC für den in der eigenen Jugend ausgebildeten Torwart Alexander Schwolow zahlt.

Die Torwartposition zeigt dann auch, dass es kein Zufall ist, dass der SC immer wieder Stammspieler entwickelt und so Transferüberschüsse erzielt, die er zum Überleben braucht. Freiburg scoutet zum Beispiel gründlicher und längerfristiger als viele Konkurrenten. So wurde Mark Flekken, der Schwolows Erbe antreten soll, immer wieder beobachtet, seit er 2013 in der zweiten Mannschaft der SpVgg Fürth zu ein paar Regionalliga-Einsätzen kam. Auch der vom Karlsruher SC dazugeholte Benjamin Uphoff war im Frühjahr sehr beeindruckt, als Sportdirektor Klemens Hartenbach ihm berichtete, wie er seine Leistung in der Saison 2015/2016 beim Spiel Stuttgarter Kickers gegen die zweite Mannschaft des VfB Stuttgart gesehen hatte.

Allerdings dürfte die Torwartposition die kleinste Sorge bei den Bastelarbeiten sein, die noch anstehen, ehe zum Saisonstart am 19. September wieder eine bundesligataugliche erste Elf im Auswärtsspiel beim VfB Stuttgart auf dem Platz stehen soll. Ohne Waldschmidt, ohne Koch, ohne Schwolow, ohne Mike Frantz, der zu Hannover 96 ging. Und vielleicht auch ohne Haberer. Dafür aber ganz sicher mit Nils Petersen, der von sich behauptet, er habe sich "an das Kommen und Gehen hier längst gewöhnt. Ich denke jeden Sommer: Welche Vereine könnten wir hinter uns lassen. Und dann bin ich froh, wenn ich drei finde". Nach all den Jahren beim SC habe er "großes Vertrauen in die handelnden Personen, dass guter Ersatz kommen wird", sagt der elfmalige Torschütze der vergangenen Saison: "So viel wie wir einnehmen, können wir ja fast gar nicht ausgeben."

Tatsächlich stellt sich die Frage, was der Sportclub mit den gut 30, 40 Millionen Euro macht, die bereits verbucht worden sein müssen. Ein paar gingen für Angreifer Ermedin Demirovic, 22, drauf, der beim FC St. Gallen ausgelöst wurde. Ein paar Zugänge dürften noch kommen, gefahndet wird nach robustem Personal für das Mittelfeld und die Waldschmidt-Position. Da dürfte in der nach wie vor überhitzten Branche schnell ein zweistelliger Millionenbetrag zustande kommen, zumal die Berater wissen, dass der SC gerade ein sattes Plus auf dem Konto hat.

Und dennoch wird der SC am Ende der Transferperiode einen sehr hohen Überschuss erwirtschaftet haben. Gut als Puffer für den Umzug ins neue Stadion, der sich coronabedingt beträchtlich verzögern wird. Gut auch, um im Winter noch einmal nachlegen zu können, wenn wider Erwarten doch die Stricke reißen. Vor allem aber gut, um die primären Corona-Folgen abzufedern. Schließlich gehören die Südbadener zu den größeren Leidtragenden der Pandemie, weil das Wegbrechen von Zuschauer- und Sponsoreneinnahmen sie in der Relation stärker trifft als die Vereine, bei denen die Einnahmen aus dem laufenden Spielbetrieb im Vergleich zu den Fernsehgeldern eine geringere Rolle spielen.

Da geht es Freiburg nicht anders als Mainz oder Augsburg - oder dem Gros der Zweitligisten, von denen einige vor existenziellen Problemen stehen und nicht ohne Neid auf den Geldregen blicken, der in den vergangenen Wochen trotz Corona auf die Vereine niederregnete, die sich in der Champions League messen durften. Der Sportclub jedenfalls muss einen Transferüberschuss erzielen, um gut über die Runde zu kommen. "Durch die fehlenden Zuschauereinnahmen fehlen uns Gelder", erklärt Streich, "also müssen wir zusehen, dass die Bilanz am Ende wieder so ist, dass wir uns nicht verschulden müssen."

Der nicht ganz so normale Normalbetrieb verläuft beim SC dieser Tage jedenfalls einigermaßen vielversprechend, zumindest, was die Testspiele betrifft. Einem mühsamen 1:1 gegen den Zweitligisten Karlsruher SC folgten ein 8:1 gegen den österreichischen Zweitligisten FC Dornbirn und am Samstag ein überzeugendes 3:1 gegen den Schweizer Topklub St. Gallen - vor immerhin 1000 Zuschauern. Es scheinen wieder ein paar Talente gefunden worden zu sein, denen man beim Fußballspiel gerne zuschaut. Noah Weißhaupt zum Beispiel, Sohn des ehemaligen Freiburger Stürmers Marco Weißhaupt (1997 bis 2001), der vergangene Saison noch in der A-Jugend-Bundesliga spielte. Oder Yannik Keitel, der seit seinem elften Lebensjahr beim SC ist und sich durchaus Hoffnungen machen darf, in Freiburgs Mittelfeldzentrale zu ein paar Einsätzen zu kommen.

Einst wirkte Streich beinahe geschmeichelt, als man ihn mit Sisyphos verglich, jenem armen Gesellen, der immer wieder einen Stein den Berg hinaufwälzen muss, aber kurz vor der Spitze scheitert. Und vielleicht ist die Mythologie ja auch der Schlüssel, um die derzeitige Gelassenheit in der Freiburger Kommandozentrale verstehen zu können. Insgeheim sind sie dann doch von ihre Scouting-Talenten überzeugt. Und davon, dass der Stein, den sie da am Rande des Schwarzwaldes wälzen müssen, auch am Ende der kommenden Saison wieder oben liegen bleibt.

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SZ vom 31.08.2020/jbe
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