Eiskunstlauf:Wie es nach der Gold-Kür weitergeht

Aljona Savchenko und Bruno Massot

Aljona Savchenko und Bruno Massot bei den Olympischen Spielen.

(Foto: dpa)
  • Die Paarlauf-Olympiasieger Aljona Savchenko, 34, und Bruno Massot, 29, haben offiziell eine Wettkampfpause eingelegt.
  • Sie haben nun Show-Auftritte, um "ihre Medaillen monetär umzusetzen", wie ihr Manager sagt. Daneben wollen sie mit Elementen experimentieren.
  • Ob das die Zukunft der Paarlauf-Weltrekordler ist, ließen beide noch offen.

Von Barbara Klimke

Die Gold-Kür von Pyeongchang gibt es jetzt auch unter Wasser. Zwar trugen die Läufer Schlittschuhe, und die Kostüme blieben auch trocken. Aber es war eindeutig eine fluoreszierende Krabbe, die da durch die Kulisse der untergegangenen Stadt Atlantis schwamm, ehe Aljona Savchenko und Bruno Massot die Bühne betraten. Nach ihrem Auftritt kamen Taucher in gelben Anzügen, um nach den versunkenen Ruinen zu suchen. Womit bewiesen wäre, dass man auch Schwimmflossen über die Kufen stülpen kann.

Das Wintermärchen ist vorbei. Es ist Showtime für die Paarlauf-Olympiasieger Savchenko/Massot, die mit Holiday on Ice durch deutsche Städte touren. Mit ihrer Kür "La terre vue du ciel", die im Februar für einen kurzen Moment die Welt verzauberte, sind sie Gaststars und als solche eingebettet ins Programm. Um den großen Sport an die bedeutend kleineren Eisflächen anzupassen, haben sie den Vortrag um eine Minute verkürzt und entschärft; sie verzichten auf die Sprünge, und aus dem Dreifach-Wurf ist mit Rücksicht auf die Deckenhöhe ein zweifacher geworden. "Aber das Publikum liebt die Kür", sagte Massot am Samstagabend vor Weihnachten in Nürnberg und versicherte: "Die Highlights sind noch drin!"

Offiziell haben sie nur eine Wettkampfpause eingelegt

In Nürnberg, bei der Eis-Gala "Atlantis", gab es für das Olympia-Encore anhaltenden Applaus, gar mehr als für das komplette Show-Ensemble beim schillernden Tanz des Schwarms der Fische. Ob das die Zukunft der Paarlauf-Weltrekordler ist, ließen beide am Ende ihres triumphalen Jahres noch offen. Offiziell haben Savchenko, 34, und Massot, 29, nur eine Wettkampfpause eingelegt, um "ihre Medaillen monetär umzusetzen", wie der Schweizer Manager Marc Lindegger von der Agentur Art on Ice erklärt, die sie betreut. Neben dem Geldverdienen wollen sie jetzt aber auch mit Elementen experimentieren. "Mit Dingen, die man im Wettkampf nicht zeigen kann", sagt Savchenko. Und doch ist bei aller Freude über das Neue die Stimmung gedämpft, weil Anfang Dezember Massots langjähriger Trainer Jean-François Ballester im Alter von nur 53 Jahren an einem Herzinfarkt verstarb. Ballester gehörte zum Betreuerteam in Südkorea. Die Realität, die dem Märchen folgt, ist manchmal anders, als so sehr erhofft.

Zur neuen Realität gehört auch, dass der andere Trainer, der sie bis zum Olympiasieg begleitete, nicht mehr an ihrer Seite steht. Alexander König, 52, ist nach Berlin zu seiner Familie zurückgekehrt. Die Holiday-on-Ice-Kür hat er noch nicht gesehen, das Original hingegen ist ihm noch immer gegenwärtig. "Dem entkommt man ja nicht", sagt er amüsiert. Manchmal wird ihm ein Video-Link zugeschickt, manchmal wird er bei Vorträgen um Kommentare gebeten. "Und dann", erzählt er, "kann ich mich schon in Gedanken verlieren." In Erinnerungen an ein turbulentes Jahr, an die Tage, an denen sie um Massots Einbürgerung bangten, an missglückte Sprachtests, Verletzungen, Triumphe, Debatten: "Und an die Visionen, die beide hatten."

Savchenko hatte davon geträumt, Geschichte zu schreiben, wie sie unmittelbar nach dem Olympiafinale am 15. Februar in der Eishalle von Gangneung bekannte, fassungslos vor Glück und unter Tränen. Doch es ging ihr nicht um historische Analogien, auch wenn es der erste Paarlauf-Olympiasieg für Deutschland seit 66 Jahren war, seit das Ehepaar Ria und Paul Falk in Oslo gewann. So wichtig, dass sie einen Platz in den Annalen des Sports für sich beansprucht, nimmt sich Savchenko nicht.

Eher bezog sie sich auf ihre eigene Geschichte: die des kleinen Mädchens, das im Alter von drei Jahren erstmals vom Vater mit Schlittschuhen auf einen gefrorenen See in Obuchiw in der Ukraine gesetzt worden war. Das mit fünf in einer Eislaufschule angemeldet wurde und sich fortan dem Drill im Tanzsaal, den Biegungen an der Ballettstange, den Sprüngen und Stürzen in kalten, zugigen Hallen unterwarf. Immer den Traum von Toeloop und Tüll vor Augen. Fünf Mal ist Savchenko bei Olympischen Winterspielen angetreten, sie versuchte es mit drei unterschiedlichen Partnern, und erst mit 34 Jahren hat sie mit Massot endlich ihr Schlusskapitel geschrieben. Einen kurzen Epilog gab es noch, im März, als beide nach dem Olympia-Paarlauf auch die Weltmeisterschaft in Mailand mit ihrer Kür gewannen. Dann wurde das Buch zugeklappt.

Seitdem haben sie sich ein wenig auseinandergelebt, zumindest räumlich. Massot zog mit seiner Verlobten Sophie vom Eislauf-Bundesstützpunkt Oberstdorf in die Schweiz. Im Oktober wurde ihr erstes Kind geboren. Im Städtchen La Chaux-de-Fonds hatte er mit dem nun so tragisch früh verstorbenen Jean-François Ballester ein Trainingszentrum aufbauen wollen. Savchenko hingegen blieb mit ihrem Mann Liam, einem britischen Künstler, im Allgäu, "meinem Zuhause", wie sie sagte, wo sie sich in frischer Luft und Natur, zwischen Almen und Kühen wohlfühle und erste Trainingsaufgaben übernahm.

Sie sind ständig auf Achse, sagt der Manager, vor allem jetzt in den Wintermonaten

Im Spätsommer siedelten sich die Paarläufer Alexa und Chris Knierim aus Chicago, zweimalige US-Meister, am Fuß des Nebelhorns an, um mit ihrem Idol zu arbeiten. Sie hielten es nur wenige Wochen aus. Offenbar war es weniger das Heilklima im Kur- und Kneipport, das ihnen zusetzte, als der ungewohnte Leistungsgedanke ihrer nur wenige Jahre älteren, neuen Trainerin. Man trennte sich in gegenseitiger Hochachtung, wie es hieß, und Savchenko konzentrierte sich fortan auf die Erarbeitung der Showprogramme.

Mehr als 50 Auftritte hat das Schweizer Management für sie nach dem Olympiasieg buchen können; zu den ersten sind sie direkt aus Pyeongchang gejettet. Es folgten Tourneen in Asien, und nun im Winter sind sie nicht nur bei Holiday on Ice unter Vertrag, sondern auch bei einem weiteren Veranstalter in Deutschland, Spotlight, der ein Programm rund um die Gold-Kür geschaffen hat. "Sie sind ständig auf Achse", sagt Manager Lindegger. Es gebe für Sportler nun einmal keine bessere Phase, um aus dem Eiskunstlauf finanziellen Nutzen zu schlagen, als nach einem Olympiasieg. Das Honorar sei anständig: "Keine Saläre wie im Fußball" laut Manager, auch nicht so hoch, dass man sich damit zu Ruhe setzten könne: "Aber ein Ausgleich für den Schweiß der vergangenen vier Jahre."

Ausgenommen von diesem Segen ist der Trainer, der weiter Kontakt zu dem Duo hält. Savchenko ist vergangene Woche zwischen zwei Terminen in Berlin geblieben, um sich mit ihm zu treffen.

Für König, unter dessen Regie das Paar zum Maß aller Dinge im Eiskunstlauf wurde, hat tatsächlich eine neue Ära begonnen. Seit dem Frühjahr steht er wieder im Sportforum in Berlin-Hohenschönhausen an der Bande. Es gab Angebote aus dem Ausland an den Meistertrainer, die er ablehnte. Allerdings wartet er noch immer auf die Bundestrainerstelle für Paarlauf, die ihm der Verband DEU nach Pyeongchang versprochen hat, und findet es "ein bisschen nervig", dass ihn die Bürokratie so zappeln lässt. Derzeit betreut er das Duo Annika Hocke/Ruben Blommaert, das im vergangenen Winter bei der WM debütierte. Und er übt erste synchrone Schritte mit elf- und zwölfjährigen Kindern, die Paarlauf lernen wollen. "Das habe ich vor der Zeit mit Aljona und Bruno auch gemacht. Das macht mir Spaß", sagt König. "Das andere war ein Ausflug nach oben."

Wie groß sein Anteil an "dem anderen", dem Olympiasieg, war, haben Savchenko und Massot in Korea vorgerechnet, als sie erklärten, dem Trainer stehe von der Goldmedaille mindestens die Hälfte zu. Schon die Ausgangslage war aufgrund der Biografien ja fast hoffnungslos kompliziert: Savchenko war 2014 als fünfmalige Weltmeisterin nach Oberstdorf gekommen. Um das Schlusskapitel ihres Eismärchens zu schreiben, hatte sie mit eiserner Konsequenz mit allem gebrochen, was hinter ihr lag: mit dem Stützpunkt Chemnitz, dem Trainer Ingo Steuer und ihrem Eispartner Robin Szolkowy.

Beim WM-Titel erhielten sie die 10,0 erstaunliche 22 Mal

Massot war im Gegensatz zu Szolkowy anfangs alles andere als ein Märchenprinz: ein Paarläufer aus Caen, ohne großen Namen oder Meriten. König, auch als Mediator ausgebildet, hat nicht selten vermitteln müssen zwischen den ungleichen Partnern. Und wenn gar nichts half, griff er zu seinen Malutensilien: Noch einen Monat vor der Goldkür hängte er in der Trainingshalle ein Bild auf. Es zeigte ein Tandem, das zu einem Gipfel hochradelt. Die Botschaft war klar: Wenn einer von beiden aus den Pedalen rutscht oder die Beine baumeln lässt, kippt das ganze strampelnde Unternehmen um.

Die Symbolik seiner Pinselstriche hat ihre Wirkung nicht verfehlt und sie gibt einen Hinweis darauf, wie König seine Arbeit versteht: Die größte Herausforderung bei Savchenko/Massot, sagte er einmal, sei nie die Arbeit an den tollkühnen Würfen gewesen. Sondern die Kommunikationsprobleme, weil keiner auf dem Eis in seiner Muttersprache redete. Gegenseitiges Verstehen aber ist das Basiselement des Paarlaufs. Was eine Kür zum Goldprogramm veredelt, ist nicht der Umstand, dass der Wurf-Axel sitzt. Sondern dass die Läufer einander blind vertrauen, zum Beispiel, wenn die Partnerin in 3,40 Meter Höhe über eine spiegelglatte Fläche fliegt. Dass sie gemeinsam, in relativ kurzer Zeit, eine solche Vertrauensatmosphäre schufen, ist für König in der Rückschau der größte Erfolg gewesen: "Wir haben voneinander profitiert in den vier Jahren", sagt er heute. Das gelte auch für die Perfektionistin Savchenko. Sie habe "Toleranz gegenüber dem Imperfekten gelernt und ist daran gewachsen".

Das war das Klima, in dem "La terre vue du ciel" entstand: "Die beste Kür in der Geschichte des Eiskunstlaufs", wie der ARD-Moderator Daniel Weiss den Zuschauern schon beim Olympiafinale erklärte. Eine Einschätzung, von der er auch heute, zehn Monate später, nicht abzubringen ist. Weiss, ein zweimaliger deutscher Eiskunstlaufmeister, hat für seinen Live-Kommentar des Olympia-Paarlaufwettbewerbs kürzlich einen Preis erhalten. Was ihn so fasziniert an dem Programm, das der britische Choreograf Christopher Dean, selbst Eistanz-Olympiasieger 1984, ersann, sagt Weiss, sei die "Verbindung von Kunst und Sport auf einem solch atemraubenden Niveau, wie man es vorher noch nicht gesehen hat". Der Höhepunkt ist so komponiert, dass Savchenko die Welt zum Schluss tatsächlich von oben sieht, wenn sie auf den Händen von Massot in hochriskanten Richtungswechseln durch die Luft gewirbelt wird. "Daran wird man sich vielleicht noch in Generationen zurückerinnern", glaubt Weiss. Die Juroren bedachten den Vortrag, mit dem sich Savchenko/Massot noch unverhofft vom vierten Platz auf Rang eins vorschoben, neunmal mit der Höchstnote 10,0 bei der Bewertung ihrer Komponenten. Das war Punkteweltrekord. Beim WM-Titel fünf Wochen später erhielten sie die 10,0 sogar insgesamt erstaunliche 22 Mal. Kein Wunder, dass das Kunstwerk heute jede Eis-Gala vergolden kann.

Es war der ideale Rücktrittszeitpunkt - auch wenn die Olympiasieger jetzt von einer "kreativer Auszeit" sprechen. Tatsächlich sind sie immer noch Mitglied des A-Kaders der Deutschen Eislauf-Union und hätten ohne Weiteres am Wochenende bei den deutschen Meisterschaften antreten können.

In ihrer Abwesenheit hat sich dort das Berliner Paar Minerva-Fabienne Hase/Nolan Seegert zum Meister küren lassen.

Daniel Weiss glaubt übrigens, es wäre von Vorteil gewesen, Savchenko und Massot hätten ihre Kunstwerke auf scharfen Kufen noch zwei Jahre länger bei Wettbewerben ins Eis geritzt: Der Ruhm, auch olympischer Ruhm, verblasse schnell, "und als aktiver Läufer wird man weltweit ganz anders wahrgenommen". Weiss tritt bei den Eis-Galas des Veranstalters Spotlight als Moderator auf, er kennt den Glamourfaktor der Stars. "Sie werden zwar auch in den kommenden Jahren bei großen Shows gebucht", sagt er voraus, "aber die Vermarkung ist schwierig." Es gibt Indizien, die diese These stützen könnten: Das Schweizer Management der Olympiasieger hat bis heute in Deutschland noch keinen Sponsor für sie gefunden.

Allerdings hatten sie gute Argumente, die aktive Karriere zu unterbrechen oder womöglich mit nicht mehr ganz so hohen Sprüngen ausklingen zu lassen. Zunächst die finanziellen: Aljona Savchenko hatte in all den Jahren, trotz der fünf Weltmeistertitel, nie Werbepartner; ihren Unterhalt bestritt sie mit den Preisgeldern, die sie bei Wettkämpfen verdiente, und mit dem Sold der Bundeswehr. Diese Saison, so formulierte es der Sportdirektor der DEU, Udo Dönsdorf, sei deshalb auch eine Chance für das Duo, "sich finanziell zu sanieren". Hinzu kamen gesundheitliche Bedenken nach Jahrzehnten der harten Landungen auf Eis, die auf die Knochen gingen. Massot hatte sich lange mit Schmerzen an der Wirbelsäule gequält, Folgeschäden der Akrobatiknummern mit früheren Partnerinnen, die schwerer waren als die zierliche Savchenko. Nur wenige Tage nach der Gold-Kür hockte er in der Halle in Pyeongchang und klagte über die Schmerzen: "Es zieht von den Bandscheiben bis runter ins Knie." Später, bei der WM, wurde bekannt, dass er jeden Tag zwei Stunden zur Stabilisierung des Rumpfes aufwende. Damals grübelte Trainer König ausführlich über die Frage, ob man "einen Olympiasieger haben will, der mit vierzig, fünfzig vielleicht im Rollstuhl sitzt".

Deshalb nun die gute Nachricht vom Samstag bei Holiday on Ice: Dem Rücken gehe es besser, richtete Massot aus, nachdem er die Gold-Kür in der entschärften Fassung gelaufen war. Das Original wird man wohl nie wieder sehen. Dafür gibt es nun eine Variante ohne Schmerzen. Mit Krabben und hübschen Kufen-Fischen. Sie haben schon alles von oben gesehen. Und unter Wasser ist auch eine Welt.

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Eiskunstlauf: Aljona Savchenko und Bruno Massot gewinnen Gold im Paarlauf bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang.

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