Saudi-Arabien bei der WM:Die potenziellen Stimmungskiller

Saudi-Arabien bei der WM: Turki Al-Sheikh, der Präsident der General Sports Authority von Saudi-Arabien, inmitten der Spieler.

Turki Al-Sheikh, der Präsident der General Sports Authority von Saudi-Arabien, inmitten der Spieler.

(Foto: AFP)
  • Trainer Juan Pizzi will mit Saudi-Arabien in und gegen Russland für Überraschungen sorgen.
  • Dafür hat er in der Vorbereitung ein neunköpfiges Assistenten-Team installiert, unter anderem mit dem früheren deutschen Nationaltorwart Oliver Kahn.
  • Hier geht es zum WM-Spielplan.

Von Javier Cáceres, Sotschi

Eigentlich war überhaupt nicht vorgesehen, dass Juan Antonio Pizzi am Donnerstag in Moskau beim Eröffnungsspiel der Saudis gegen den WM-Gastgeber Russland dabei ist. Wobei: Vor einem Jahr wäre zumindest denkbar gewesen, dass Pizzi an der Weltmeisterschaft teilnimmt. Nur eben nicht als Coach von Saudi-Arabien, sondern als Trainer der chilenischen Mannschaft von (Noch-)Bayern-Profi Arturo Vidal.

2016 hatte Pizzi die Chilenen zum zweiten Titel bei der Copa América geführt, in Chile wurde der gebürtige Argentinier (und spätere spanische Nationalspieler) El Macanudo genannt, der Großartige. Ende 2017 war freilich nichts mehr macanudo. Besoffen vom eigenen Erfolg, schieden die Chilenen in der WM-Qualifikation aus. Pizzi ging aus freien Stücken, hinterließ ein Dossier mit den Gründen für das Aus - und hatte das Glück, dass die Saudis gerade auf der Suche nach dem 40. Nationaltrainer der letzten 30 Jahre waren. Die Partie im Luschniki-Stadion gegen Russland wird sein erstes Pflichtspiel mit seiner neuen Auswahl sein.

Mangelnde Spielpraxis trotz Spanien-Bündnis

Dass Geld eine Rolle bei seinem Engagement gespielt habe, hat Pizzi offen zugegeben. Und vielleicht ist angesichts dieser Aufrichtigkeit auch einer anderen Äußerung Glaubwürdigkeit zu schenken: dass der Mammon eben nicht die einzige Motivation gewesen sei. An einer WM teilzunehmen, habe dazugezählt, ebenso die Möglichkeit, in einem kleinen Land mit Nachholbedarf etwas aufzubauen. So jedenfalls erzählte der Trainer es jüngst der Gazzetta dello Sport, die den Interview-Allergiker Pizzi zu einem Gespräch bewegen konnte: im spanischen Marbella, wo die Saudis im Mai ein Trainingslager bezogen hatten.

Dass das Gespräch dort stattfand, passte zu der kuriosen Allianz der Verbände Spaniens und Saudi-Arabiens. Anfang 2018 hatten sie durch ein Stipendium der besonderen Art weltweit für Furore gesorgt: Der saudische Verband sponserte Vereine der ersten und zweiten spanischen Liga, es floss ein beachtlicher Millionenbetrag. Als Gegenwert erhielten die Saudis die Zusicherung, dass neun Nationalspieler in den ersten Mannschaften der beteiligten Klubs trainieren durften. Die stille Hoffnung war, dass die saudischen Profis auf hohem Niveau Spielpraxis erhalten mögen. Doch einzig Salem Al-Dawsari und der als saudischer Lionel Messi gerühmte Fahad Al-Muwallad schnupperten Erstligaluft - als sie in Spielen des FC Villarreal respektive bei der UD Levante nicht mehr viel kaputtmachen konnten. Ansonsten mussten sich die saudischen Fußball-Gesellen mit Trainingsübungen begnügen.

"Vermutlich haben sie in Saudi-Arabien gedacht, dass ihre Profis viel öfter spielen würden. Aber sie haben feststellen müssen, dass das Niveau der spanischen Liga sehr, sehr hoch ist", sagt Fernando Sanz, der als Botschafter des Ligaverbandes LFP für den Nahen Osten firmiert. Der Mangel an Spielpraxis wichtiger Akteure war aber nicht die einzige Hürde, die Pizzi überwinden musste. Er musste seine Arbeit an religiöse Traditionen des Landes anpassen. Der Wecker schellte um fünf Uhr morgens, nur so konnte die Trainingsarbeit mit den fünf täglichen Gebeten in Einklang gebracht werden. Bei den Saudis kam der einstige Stürmer Pizzi, der beim FC Valencia, beim FC Barcelona (mit Josep Guardiola) und bei CD Teneriffa gespielt hatte, aber nicht deshalb gut an.

Mit Oliver Kahn und Wettkampfhärte

Es imponierte ihnen vielmehr, dass Pizzi im Gegensatz zu seinem unmittelbaren Vorgänger Bert van Marwijk (ehemals Borussia Dortmund, nunmehr australischer Nationalcoach) nach Riad zog - in ein Land, wo die Frauen gerade erst das Recht erteilt bekommen haben, ins Kino zu gehen oder sich ans Steuer zu setzen, und Homosexuelle noch immer mit dem Tod bedroht sind. "Das geht alles sehr langsam, aber es ist spannend, diesen Veränderungen als Zeuge beizuwohnen", sagt Pizzi.

Begleitet wurde er von neun Assistenten, unter ihnen auch der frühere Bayern-Torwarttrainer Frans Hoek - sowie der frühere deutsche Nationaltorwart Oliver Kahn als Berater. Sie wandten moderne Trainingsmethoden an, brachten die Softwareprogramme mit, die heute en vogue sind, und sichteten ausgiebig den lokalen Spielermarkt. Die saudische Liga war schon am 14. April beendet. Seitdem hat Pizzi fast alle Spieler zur Verfügung - und lehrte sie vor allem, wettbewerbsfähiger zu sein. "Ich kann mich noch an ein Spiel aus dem Januar erinnern, als unser Arzt schneller als Usain Bolt auf den Platz lief, weil einer unserer Spieler nach einem kleinen Rempler auf dem Boden lag. Jetzt rempeln sie selbst - und zeigen Härte. Sie empfinden das als Teil des Wettkampfs", sagt Sportdirektor Felipe Correa.

Das ändert nichts daran, dass die Saudis ein WM-Underdog bleiben. Von allen WM-Teilnehmern ist nur Auftaktgegner Russland im Ranking des Fußballweltverbandes schlechter (Platz 70), die Saudis (Rang 67) haben auch das kleinste Team des Starterfelds (Durchschnittsgröße: 1,77 Meter). Nun stehen sie also dem Gastgeber gegenüber, der sich keinen Fehlstart erlauben darf; allein der Stimmung wegen. Dass die jüngste Pleite der Saudis gegen den Weltmeister Deutschland knapp ausfiel (1:2), lässt Pizzi immerhin ein wenig träumen: "Wir freuen uns auf die WM ohne jeden Anflug von Furcht", sagt El Macanudo.

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