Süddeutsche Zeitung

Nationalmannschaft:Sané hat sich zum Vorbild gewandelt

In der Premier League ist der Angreifer vom Flügelflitzerchen zum Kampfdribbler gereift. Das Spiel einiger Bundesliga-Profis wirkt dagegen wie Bubifußball.

Kommentar von Christof Kneer

Vor einem Jahr, am 23. März 2018, gab es in Düsseldorf ein interessantes Fußballspiel. Der amtierende Weltmeister Deutschland empfing den ehemaligen Weltmeister Spanien, und nach einem hochwertigen 1:1 waren sich die Menschen einig: Eine der beiden Mannschaften würde bei der WM in Russland wahrscheinlich wieder Weltmeister werden. Nur ein Mensch sah das anders, allerdings trug dieser Mensch seine abweichende Meinung mit bemerkenswert unbeteiligter Miene vor (was vorwiegend daran lag, dass dieser Mensch nicht viele andere Mienen im Repertoire hat). Also, sagte Toni Kroos ein paar Tage später nach einem weiteren Test gegen Brasilien, also er sehe die deutsche Elf "nicht so gut, wie uns eingeredet wird". Und vor allem - unbeteiligter Gesichtsausdruck - hätten "einige Spieler die Chance gehabt, sich zu zeigen, haben es aber nicht getan".

Die Experten wussten es, und die Kundschaft vor dem Fernseher ahnte es: "Einige Spieler" war in diesem Zusammenhang ein Synonym für "Leroy Sané".

Ein Jahr ist seitdem vergangen, und in diesem Jahr hat sich die Welt ganz schön verändert, wie man selbst mit unbeteiligter Miene feststellen muss: Der deutsche Fußball ist im selben Maße kleiner geworden, in dem Leroy Sané gewachsen ist. Bei jenem 1:1, das die DFB-Elf gerade in einem Testspiel gegen Serbien herausgeholt hat, waren gewiss auch Spieler dabei, die, um es mit Kroos zu sagen, die Chance hatten, sich zeigen, es aber nicht getan haben: Allerdings gilt dieser Satz unter keinen Umständen mehr für Leroy Sané.

Man brauche "mehr Spielertypen wie Leroy Sané", hat zum Beispiel gerade Timo Baumgartl gesagt, der Kapitän der deutschen U 21-Junioren-Nationalelf.

Vom Jungstar zum role model: In nur einem Jahr hat Sané, 23, einen der größten Imagetransfers seit Saulus und Paulus vollzogen, und natürlich hat das auch mit der natürlichen Entwicklung eines ganz normalen jungen Burschen zu tun. Es hat aber auch damit zu tun, wo dieser Bursche inzwischen zur Arbeit geht. Gegen Serbien hat Sané sich reingehauen und gegen Widerstände aufgelehnt, er hat die Mitspieler angesteckt mit seiner Spielfreude, und als ihn ein Gegner in Form eines Sportattentats niederstreckte, hat er sich wirklich nur sehr kurz gewälzt, dann ist er aufgestanden und weitergerannt.

Es war nicht mehr zu übersehen: Leroy Sané spielt in England.

Zuletzt hat sich der deutsche Fußball die ganz großen Fragen gestellt, und die Antworten waren nicht schön, aber deutlich: Der FC Bayern, Dortmund und Schalke haben ihre Champions-League-Duelle gegen Liverpool, Tottenham und Manchester City mit unterschiedlichen Demütigungsgraden verloren, und im Grunde war das Länderspiel gegen Serbien eine Fortsetzung des deutsch-englischen Vergleichs. Auffällig war, welche Körperspannung und Kampfhaltung, welchen spirit die ManCity-Profis Sané und Ilkay Gündogan aufs Feld brachten - zwei Spieler, die bauartbedingt eher zu den Künstlern gerechnet werden. Auffällig auch, wie sehr sie sich damit von den ähnlich begabten Julian Brandt und Kai Havertz abhoben, deren freundliches Spiel im Vergleich ein bisschen wie Bubifußball wirkte, dem zum Erwachsenwerden ein Auslandssemester auf der Insel ganz guttäte.

Während sich das politische Brexit-England auf sich selbst zurückzieht, hat sich die blühendste Industrie dieses Landes - die Premier League - radikal globalisiert. Englands Fußball hat seine traditionelle Kultur (Tempo, Kampf, Wille) mit Trainern und Spielern aus anderen Sportkulturen angereichert und dank dieses obszön teuren Know-how-Transfers eine neue Intensitäts-Ebene im Spiel erreicht - eine Ebene, die sogar Flügelflitzerchen wie Sané in Kampfdribbler verwandelt.

Selbst Testspielchen gegen Serbien zeigen jetzt also, dass die deutsche Bundesliga unter Zugzwang geraten ist. Sie wird Ausbildungsniveau und Leistungsklima an allen Standorten überprüfen und dabei feststellen müssen, dass man Intensität leider nur schwer lehren kann.

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Quelle:
SZ vom 23.03.2019/tbr
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