EishockeyAbstreiter setzt alles auf Sieg – und gewinnt

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Die Siegermentalität steckt schon im Klubnamen: Sandra Abstreiter startet mit ihrem neuen Team Montreal Victoire gegen ihr altes aus Ottawa in die PWHL-Saison.
Die Siegermentalität steckt schon im Klubnamen: Sandra Abstreiter startet mit ihrem neuen Team Montreal Victoire gegen ihr altes aus Ottawa in die PWHL-Saison. (Foto: Spencer Colby/Imago)

Sandra Abstreiter, die beste Torhüterin der vergangenen Eishockey-WM, saß in der nordamerikanischen Frauen-Profiliga meist nur auf der Bank. Also packte die einzige Deutsche in Ottawa ihre Taschen und wagte einen Neuanfang in Montreal. Ohne einen Plan B.

Von Johannes Schnitzler

Ein Termin bei Vorgesetzten kann Unbehagen auslösen. Was erwartet mich: Lob, eine Gehaltserhöhung gar? Oder: die Kündigung? Als Sandra Abstreiter am Montag zum Nachmittagskaffee bei Montreals Managerin Danièle Sauvageau und Cheftrainerin Kori Cheverie einbestellt war, da schwante ihr wohl schon Gutes. Warum sollte sie auch gerade jetzt der Mut verlassen? Abstreiter, geboren und aufgewachsen im oberbayerischen Freising, ist aktuell die beste deutsche Eishockeyspielerin. Bei der Weltmeisterschaft im April wurde die 26-Jährige zur besten Torhüterin gewählt, seit Januar spielt sie in der Professional Women’s Hockey League (PWHL), dem Pendant zur nordamerikanischen Männer-Profiliga NHL. Das heißt: Sie war dort unter Vertrag. Aber spielen durfte sie selten. Nur dreimal bei 24 Saisonspielen. Und deshalb hat Abstreiter ihre Vereinbarung mit Ottawa auflösen lassen. Um sich in Montreal zu versuchen.

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Sandra Abstreiter aus Freising ist die einzige Deutsche in der nordamerikanischen Frauen-Eishockeyliga. In Ottawa ist sie die Nummer zwei. Das DEB-Team soll die Torhüterin bei der WM ins Viertelfinale führen - mindestens.

Von Jürgen Schmieder

„Ich wollte mich neu challengen“, sagte Abstreiter Anfang November beim Deutschland Cup in Landshut. Die Saison in Ottawa als Nummer zwei hinter Emerance Maschmeyer, der kanadischen Olympiasiegerin und blitzeblonden Strahlefrau, betrachte sie nicht als verlorene Zeit, keineswegs.  „Das war ein gutes Jahr als Erfahrung, ich bereue das auch null Komma null.“ Jedes Training und jedes Spiel sei auf einem Niveau gewesen, „das ich nur von der WM kenne“. Aber in ihren Augen bestand die Gefahr, „dass man auf Jahre feststeckt“. Und festzustecken als Nummer zwei ist nicht ihr Ziel. Eines Tages will Abstreiter bei einem PWHL-Team die Nummer eins sein. Also auf nach Montreal.

Zwei Tage nach dem Sieg beim Deutschland Cup stieg Abstreiter ins Flugzeug, vier Tage später stand sie auf dem Eis, weitere elf Tage später hatte sie besagten Termin im Büro von Managerin und Trainerin: „Und dann sagen die einem relativ schnell, was Sache ist.“ Was Sauvageau und Cheverie ihr mitzuteilen hatten, war: Glückwunsch, du hast es geschafft! Sandra Abstreiter geht als eine von drei Torhüterinnen der Montreal Victoire in die zweite Saison der PWHL.

Der entscheidende Impuls zur neuen Profiliga kommt von Tennisidol und Aktivistin Billie Jean King

Man muss sich das noch einmal vergegenwärtigen. Vier Jahre lang streikte die Spielerinnengewerkschaft PWHPA, weil die Rahmenbedingungen für eine professionelle Frauen-Eishockeyliga in Nordamerika diese waren: keine Krankenversicherung, dafür familienfeindliche Reisen und Gehälter unterhalb des deutschen Mindestlohnniveaus. Bis Kendall Coyne Schofield, mehrmalige Weltmeisterin und Olympiasiegerin mit dem Team USA, ihren Mut zusammennahm und Billie Jean King anrief, die ehemalige Nummer eins der Tenniswelt und feministische Aktivistin. King wiederum animierte den sportbegeisterten Milliardär Mark Walter, der neben den LA Dodgers (Baseball) und Lakers (Basketball) auch den Premier-League-Klub FC Chelsea unterhält – und innerhalb weniger Monate war die PWHL geboren. Nun können Spielerinnen erstmals auf einen Tarifvertrag zählen mit Jahresgehältern zwischen 34 000 und 80 000 US-Dollar. Das ist weit weg von den Millionengagen in der NHL. Aber immerhin so viel, dass sie von ihrem Sport leben können und sehen, wie er sich entwickelt.

Und ausgerechnet in dieser relativ komfortablen Lage lässt eine deutsche Torhüterin, die einzige Deutsche in der Liga überhaupt, ihren Vertrag in Ottawa auflösen, um sich mit zwei Konkurrentinnen um die letzte freie Stelle in Montreal zu balgen. Das erfordert mehr Mut als ein Anruf bei Billie Jean King – und sehr viel Selbstvertrauen. „Ich habe mich auf alles fokussiert, was ich kontrollieren konnte“, sagte Abstreiter vor ihrem Abflug in Landshut. „Zwei Plätze auf der Torwartposition sind vergeben. Ziel ist es, den dritten Spot zu bekommen.“ Einen Plan B? Gebe es nicht.

Die Liga boomt, und Montreal ist der Zuschauermagnet

Abstreiter hat sich diese uramerikanische und für ihren neuen Klub namensgebende Siegermentalität in sechs Jahren am Providence College und in der Uni-Liga NCAA erarbeitet.  Und anders als im Vorjahr, als sie mit einem 0:8 gegen Tschechien vom Deutschland Cup ins Trainingscamp abreiste, durfte sie diesmal den Fans den Pokal präsentieren und flog selbstbewusst nach Kanada.

Die PWHL läuft landesweit im Fernsehen, Montreal ist der Zuschauermagnet schlechthin. Zum Spiel gegen Toronto am 20. April kamen 21 105 Fans ins Bell Centre, wo sonst die Canadiens über NHL-Eis flitzen – Weltrekord für ein Frauen-Eishockeyspiel. Laut einer kanadischen Studie hat sich die PWHL binnen einer Saison den Ruf als angesehenste Organisation Kanadas erarbeitet. In dieser Saison gibt es mehr Spiele, zur nächsten soll die Liga um ein oder zwei Standorte aufgestockt werden. Abstreiter sagt: „Die Begeisterung ist da.“

Ihr erster offizieller Arbeitstag am Samstag führte sie gleich mit ihrem alten Team aus Ottawa zusammen, Montreal gewann nach Penaltyschießen 4:3. Ressentiments wegen ihres Wechsels habe es keine gegeben, erzählte Abstreiter der ARD-Sportschau: „Die Mädels haben mir alle die Daumen gedrückt, dass ich den Sprung in den Kader schaffe.“ Das ist ihr gelungen. Gespielt hat sie am Samstag nicht. Nächste Chance dann am Mittwoch gegen die New York Sirens.

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