Spaniens Pokalsieger San Sebastian:Der Trainer grölt wie in der Kurve

April 4, 2021, Sevilla, Spain: Imanol Alguacil of Real Sociedad during the Copa Del Rey Final match between Real Socieda; Alguacil

Imanol Alguacil trainiert Real Sociedad seit 2018 - jetzt ist er Pokalsieger in Spanien.

(Foto: Jose Luis Contreras/imago)

Der Fußball in der Pandemie wirkt klinisch und tot? Nicht im Baskenland, nicht bei Real Sociedad. Nach dem ersten Titel des Klubs seit 34 Jahren legt Trainer Imanol Alguacil einen jetzt schon legendären Auftritt hin.

Von Jonas Beckenkamp

Wer zuletzt die Emotionen im Fußball vermisst hat und die Tristesse der Geisterspiele betrauert, darf über Ostern gerne nach Spanien blicken. Genauer gesagt: Zu Real Sociedad San Sebastián, dem frisch gekürten Pokalsieger des Jahres 2020 im spanischen Fußball. 2020? Ja, die Copa del Rey bekommt dieser Tage unter kuriosen Umständen gleich zweimal einen Sieger. Erst stand am Samstag das nachgeholte Pokalfinale der vergangenen Spielzeit an, dann folgt am 17. April jenes der laufenden Saison.

Trainer Imanol Alguacil fängt an zu grölen

Corona hat in Spaniens Fußball organisatorisch alles ein wenig durcheinander gewirbelt, aber nach dem ersten Titelgewinn seit sagenhaften 34 Jahren blieb zumindest einer stabil: San Sebastians Trainer Imanol Alguacil, geboren im Örtchen Orio an einer Flusskehre nahe der Hauptstadt der Region Gipuzkoa. Dieser Mann also hatte nach dem 1:0 im rein baskischen Endspiel um die Copa gegen Athletic Bilbao einen einzigartigen Auftritt.

Auf der Pressekonferenz sprach der 49-Jährige mit ernster Miene diese Worte: "Wenn's recht ist, würde ich kurz aus meiner Trainerrolle in die Rolle eines Fans wechseln. Das hier ist für alle aus Gipuzkoa und alle, die Real im Herzen tragen!" Vor laufenden Kameras ließ er sich daraufhin ein Trikot seines Jugendklubs reichen, stülpte es über und schnappte sich noch einen Schal.

Und dann: Allerfeinstes Kurvengegröle auf Baskisch, eine Sprache, die schlichtweg nur Basken verstehen und deren Ursprünge irgendwo rund um die Pyrenäen liegen. Erreala alé, irabazi arte, beti egongo gara zurekin", brüllte Señor Alguacil aus voller Kehle, ehe er die Fäuste ausstreckte und sich beklatschen ließ. Und tatsächlich, es braucht gar kein Proseminar in Euskara (so der Eigenname des Baskischen), um sein Geschrei zu verstehen.

"Auf geht's Real, wir stehen hinter Dir, bis zum Sieg", lautete in etwa der tiefere Sinn seines Vortrags. Die Basken schreien beim Fußball nämlich auch nichts anderes als andere Fanvölker. Ihre Sportbegeisterung gilt disziplinübergreifend als derart ausgeprägt, dass sie von Fußball über Rugby bis zu Basketball und Pelota reicht. Ähnlich wie bei Athletic Bilbao, wo bis heute nur Fußballer mit baskischen Wurzeln spielen, versteht sich auch San Sebastián als Klub mit einem zutiefst regional angesiedelten Jugendkonzept.

Neben einigen Legionären wie dem früheren Dortmunder Alexander Isak (Schweden), Robin le Norman (Frankreich) oder dem Altmeister David Silva (er stammt von den Kanaren) besteht der Großteil von la Real aus einheimischen bzw. baskischen Spielern. Viele "Xe" und "Tzs" finden sich unter den Nachnamen - der bekannteste ist Mikel Oyarzabal, der diesmal im Pokalfinale auch den Siegtreffer per Elfmeter erzielte (63. Minute).

Xabi Alonso liefert die Talente

Er schießt seit Jahren seine Tore in der Primera División - zudem traf er auch beim 6:0 gegen die DFB-Elf im vergangenen November. Nach dem Pokalsieg erinnerte er mit Tränen in den Augen auch an Covid-Betroffene im Umfeld des Klubs: "Manche unserer Freunde und Familienangehörige verabschieden sich gerade auf die schlimmste Weise", so der Kapitän. "Dieser Sieg ist für alle meine Freunde, für meine Familie und alle Real-Fans. Wir haben ihre Unterstützung hier gespürt und das ist einfach Wahnsinn!"

Sein Trainer Alguacil hat inspiriert vom Konzept des Klubs in den vergangenen beiden Jahren eine überraschend starke Truppe geformt. Mit dem Norweger Martin Ödegaard (heute bei Arsenal) im Mittelfeld wurde man vergangene Saison Sechster, auch in der laufenden Spielzeit lag man lange weit vorne - ehe man im Winter etwas zurück fiel und nun erneut auf Platz sechs liegt. Aus dem Unterbau kommen ständig neue, vielversprechende Jungprofis nach. Leute wie etwa Martin Zubimendi, 22, den der frühere Bayern-Profi Xabi Alonso als Trainer der zweiten Mannschaft geformt und gefördert hat.

Aber all das wird nun natürlich vom Pokalsieg der abgelaufenen Spielzeit überstrahlt. Alguacil sah bei seiner Darbietung vor der versammelten Medienmannschaft übrigens nicht nur aus, wie ein ganz normaler Aficionado von der Tribüne - er ist ziemlich sicher auch einer. Mit Ausnahme einiger Profijahre in Villarreal, in Andalusien oder Burgos verbrachte der frühere Außenverteidiger fast sein ganzes Leben bei Real Sociedad. Erst als Jugendspieler, dann als Spieler der ersten Mannschaft und schließlich als Jugend -und als Cheftrainer.

"Als der Schiedsrichter das Spiel abgepfiffen hat, hat ganz Gipuzkoa vor Freude geweint", beschrieb Alguacil den Triumph. Der Coach, der in Spanien nur Imanol genannt wird, zeigte sich aber auch bescheiden: "Ich habe ein kleines bisschen beigetragen, aber der Sieg ist in erster Linie den Spielern zu verdanken."

Trotzdem bleibt der Eindruck: Dieser Mann ist Real Sociedad, so wie Christian Streich in gewisser Weise der SC Freiburg ist. Mit aller Verschrobenheit, allen Emotionen, aller Authentizität und aller Hingabe - das zählt im heutigen Geschäft nicht gerade wenig.

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