San Marinos Nationaltrainer Mazza:Fixstern in der Galaxie der Verlierer

183209048

83 Niederlagen in 85 Spielen: San Marinos Nationaltrainer Giampaolo Mazza hört auf

(Foto: AFP)

Von 85 Spielen 83 verloren: San Marino ist unter Trainer Giampaolo Mazza die mieseste Nationalelf der Welt. Jetzt verabschiedet sich der Coach und wird trotzdem wehmütig gefeiert. Denn mit größtmöglicher Eleganz unterzugehen, darin ist der wackere Mann Dauer-Weltmeister.

Von Birgit Schönau, Rom

Der große Stoiker des Weltfußballs geht. 83 Mal musste Giampaolo Mazza als Nationaltrainer von San Marino zusehen, wie die Amateur-Auswahl des Zwergstaates gegen Profis aus aller Herren Länder unterging. So regelmäßig und unausweichlich ging Mazzas Team als Verlierer vom Platz, als folge es einem ehernen Naturgesetz. Als seien die Niederlagen festgeschrieben wie die Abfolge der Jahreszeiten, mit der einzig offenen Frage: einstellig oder zweistellig.

Nur ein einziger Sieg war Mazza vergönnt, 2004 gewann San Marino 1:0 gegen Liechtenstein. Leider nur ein Testspiel der Fußballzwerge. Denn so blieb es bis heute unweigerlich bei einem einzigen Pflichtspiel-Punkt, den Trainer Mazza mit seiner Nationalmannschaft ergatterte: 2001, bei einem 1:1 gegen Lettland in der WM-Qualifikation.

Ein Punkt in 16 Jahren, was für eine niederschmetternde Bilanz. Und doch geht Mazza hoch erhobenen Hauptes und wehmütig gefeiert von einem dankbaren Publikum, dem dieser unscheinbare Mann immer wieder aufs Neue die Banalität von Fußball-Statistiken bewiesen hat.

Der ewige Verlierer Mazza zeigte, dass es um etwas anderes gehen kann als um nackte Zahlen. Nämlich um Haltung und Würde. Darum, die Widrigkeiten des Lebens mit Philosophie an sich abperlen zu lassen. Ohne Geschrei, ohne Gezeter, ohne Getue. Die eigene Unzulänglichkeit mit Nonchalance zu akzeptieren, das Unabänderliche mit größtmöglicher Eleganz hinzunehmen - darin war Mazza Dauer-Weltmeister.

Melancholisch wie die ersten Herbstnebel um den Titanenberg der ältesten Republik der Welt, trutzig wie ihre mittelalterlichen Palazzi: Mazza war nie ein charismatischer Motivator oder ein Guru der Taktik-Systeme. Er ist der Pragmatiker, der seinem Team immer wieder versichern musste, dass Dabeisein alles ist. Und dass man 90 Minuten auf dem Platz ausharren muss, egal, wie hart das sein kann. Wenn die anderen einem 13 Tore vor den Latz knallen, wie die Deutschen - das geschah 2006 und war San Marinos höchste Niederlage - muss man ruhig bleiben und dem Sieger ein Kompliment machen.

Darauf vertrauend, dass in diesem Fall der Gewinner die schlechtere Figur gemacht hat. 13 Tore gegen San Marino, das war der Triumph unersättlicher Schnäppchenjäger, die gnadenlos ihr großes Fressen beim kleinsten Nachbarn veranstalteten. Die Zwerge von der Adria nahmen es achselzuckend hin. Sie haben hinreichend bewiesen, wie stilvoll man verlieren kann. Und wie stillos allzu oft die anderen gewinnen. Um die Maus des Weltfußballs zu verschlingen, muss der Gegner keine größere Fähigkeiten besitzen als ein räudiger Straßenkater. Mit ihr zu spielen, das ist die Kunst.

Gegen Italien war sogar das Fernsehen live dabei

Mazzas Team besteht aus Freizeitkickern, die im Supermarkt arbeiten oder studieren - nach Feierabend kommen dann Holland, Italien oder England. Rekordtorjäger Andy Selva ist 37 und so lange bei der Nationalmannschaft wie der Trainer. Selva aber darf nicht gehen, San Marino braucht ihn. Acht Tore und damit fast alle Treffer der vergangenen 16 Jahre gehen auf sein Konto. Selva spielt in einem italienischen Amateurteam, aber er ist, wie alle in der Nationalmannschaft, ein echtes San-Marino-Gewächs. "Wenn ich stolz auf etwas bin", erklärte Trainer Mazza, "dann darauf, nie einen Ausländer ins Team geholt zu haben." Es wäre einfach gewesen, einen italienischen Fußballer einzubürgern. Aber San Marino will kein Multikulti.

Lieber akzeptiert man den Titel "schlechteste Nationalmannschaft der Welt". Platz 207 im Fifa-Ranking, dahinter kommt nichts mehr. Vor 20 Jahren war es immerhin noch Platz 118, danach ging es immer weiter bergab, jetzt teilt man sich den letzten Platz mit Bhutan und den karibischen Turks and Caicos Islands.

Der große Nachbar Italien ist viermaliger Weltmeister und steht in der Fifa-Liste auf Platz acht. Das letzte Testspiel im Juni gewannen die Azzurri 4:0. Cesare Prandelli machte Mazza Komplimente. Und Mazza freute sich über die erste Fernsehübertragung nach vielen Jahren. Mehr als fünf Millionen Italiener sahen San Marino.

Prandelli schaffte die WM-Qualifikation so frühzeitig wie kein anderer italienischer Nationaltrainer vor ihm. Mazza hat keinen Punkt vorzuweisen, dafür aber ein Torverhältnis von 1:54. Der Treffer gelang gegen Polen, die meisten Gegentore kommen von der Ukraine - insgesamt 17. Das 0:8 beim Rückspiel in der vergangenen Woche war Giampaolo Mazzas letztes Spiel, es gab zwei Platzverweise für San Marino. Schade, dass es so enden musste, sagte er leise: "Ich fürchte, der Schiedsrichter hat diesmal etwas übertrieben. Am Ergebnis gibt es natürlich nichts zu rütteln. Die Ukraine spielt auf einem anderen Planeten."

In der Galaxie der Verlierer war Mazza der Fixstern. Dass er mit 57 den Dienst quittiert, löst am Titanenberg Ratlosigkeit aus. Wer soll auf Mazza folgen? Der bisher einzige Kandidat ist U21-Trainer Piero Manzaroli, der jetzt schon erfolgreicher ist als Mazza: Im September siegte seine Jugendmannschaft in der EM-Qualifikation sensationell 1:0 gegen Wales.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: