San Franciscos Colin Kaepernick:Die Zukunft ist jetzt - mal wieder

Green Bay Packers at San Francisco 49ers

Colin Kaepernick: schnell und kräftig.

(Foto: dpa)

Colin Kaepernick wurde erst vor wenigen Wochen Stammspieler der San Francisco 49ers - doch die spektakulären wie effizienten Auftritte des jungen Spielmachers lassen die Experten schwärmen, dass er die Zukunft des Sports sei. Das wurde schon bei so vielen Vorgängern behauptet, noch keiner konnte den Titel holen.

Von Jürgen Schmieder

Die San Francisco 49ers wurden in dieser Saison quasi zu ihrem Glück gezwungen: Am 11. November erlitt Spielmacher Alex Smith eine Gehirnerschütterung, sechs Wochen später riss sich Passempfänger Mario Manningham die Kreuzbänder. Smith und Manningham gehören auf ihren Positionen zu den besten in der National Football League (NFL), gewöhnlich gilt eine Mannschaft als chancenlos, wenn sowohl Quarterback als auch prägender Receiver ausfallen.

Trainer Jim Harbaugh war gezwungen, den jungen Spielmacher Colin Kaepernick und den alternden Passfänger Randy Moss aufs Feld zu schicken. Nun spielen die 49ers am Sonntag bei den Atlanta Falcons um den Einzug ins Endspiel - und San Franciscos Offensive gilt als Zukunft dieses Sports.

Das liegt an der spektakulären wie effizienten Spielweise Kaepernicks: Am vergangenen Wochenende schaffte er gegen die Green Bay Packers zwei Touchdowns und 181 Yards durch Läufe, dazu passte er für 263 Yards und zwei Mal in die Endzone.

Ein Mal lief er 58 Yards und sah dabei ein wenig aus wie Usain Bolt bei den Olympischen Spielen in London: schneller Antritt, kurzes Nachsehen, ob Gegner da sind, witzige Geste nach dem Überschreiten der Ziellinie. Nach feinen Spielzügen spannt er gerne seinen rechten Oberarm an und küsst seine Tattoos. Es ist die stille Antwort auf Journalisten, die moniert hatten, dass Kaepernick mit der vielen Tinte unter der Haut aussehe wie ein Verbrecher. Mittlerweile haben Tausende von Fans im Internet Fotos von sich beim "Kaepernicking" eingestellt.

Kaepernick ist kein Lautsprecher, kein Müllredner, auch wenn die Tattoos und die extravagante Spielweise das vermuten lassen. Er besitzt eine 40-Kilo-Schildkröte und spricht jeden Tag mit seinen Adoptiveltern - außer an dem Tag, an dem Harbaugh ihm sagte, dass er Stammspieler werde. Harbaugh bat ihn, niemandem etwas zu erzählen, also erzählte er es nicht mal jenen Menschen, die ihn erzogen hatten.

Er spricht lieber über die Gedanken, die er beim Laufen auf dem Spielfeld hat: "Es ist das prägende Gefühl für einen Athleten: Wenn man das offene Feld vor sich hat und seine Geschwindigkeit mit den besten Athleten der Welt messen darf." Seine Einwechslung am zehnten Spieltag mag dem Zufall geschuldet gewesen sein, sein Verbleib als Stammspieler indes nicht. Harbaugh ließ ihn weiter auf dem Feld, obwohl Smith längst wieder gesund war und nicht wenige Experten forderten, den laut statistischer Rangfolge drittbesten Quarterback der Liga wieder spielen zu lassen. "Kaepernick gibt dieser unorthodoxen Offensive die beste Chance, Spiele zu gewinnen", war die lapidare Erklärung Harbaughs.

Erfüllung der Prophezeihung

Kaepernick wirkt wie die Erfüllung einer Prophezeiung, die seit 20 Jahren abgegeben wird, sich bislang jedoch nicht wirklich erfüllte: Dass ein NFL-Spielmacher nicht nur einen kräftigen und präzisen Arm haben muss, sondern dass flinke Beine ebenso wichtig sind. Dass die so genannte Option Offense, bei der ein Quarterback bisweilen erst während des Spielzugs entscheidet, ob er selbst laufen oder den Ball abgeben möchte, nicht nur bei Universitäts-Mannschaften funktioniert, sondern auch bei den Profis.

San Francisco 49ers quarterback Kaepernick throws a pass against the Green Bay Packers in the first quarter during their NFL NFC Divisional playoff football game in San Francisco

Kann auch passen: Colin Kaepernick.

(Foto: REUTERS)

Es gab schon einige vor Kaepernick, die als auserwählt galten, diese Vorhersage umzusetzen: Randall Cunningham in den Neunzigern, danach Donovan McNabb, Daunte Culpepper und Michael Vick, zuletzt Tim Tebow, Cam Newton oder Robert Griffin III. Nur: Keiner dieser Quarterbacks konnte jemals die Super Bowl gewinnen, das gelang stets den traditionellen Spielmachern. Beim vergangenen Finale zwischen den New York Giants und den New England Patriots etwa schafften Eli Manning und Tom Brady durch Läufe gemeinsam einen Netto-Raumgewinn von Minus einem Yard.

Auch in diesem Jahr ist Kaepernick der einzige laufstarke Quarterback, der es mit seiner Mannschaft ins Halbfinale geschafft hat. Brady (Patriots), Joe Flacco (Baltimore Ravens) und Matt Ryan (Atlanta Falcons) sind herausragende Werfer, die ihre Sicherheitszone nur ungern verlassen, sondern sich darauf verlassen, von ihrer Offensivlinie geschützt zu werden, bis sie einen Pass anbringen können. Deshalb wird die Partie zwischen den Falcons und den 49ers auch als Duell zwischen einem Quarterback der alten Schule und jenem gesehen, der die Zukunft dieser Liga sein soll.

"Es wird eine Herausforderung, Kaepernick zu verteidigen", sagt Atlantas Trainer Mike Smith, "er kann schnell laufen und hat einen kräftigen Körper, um bei Zusammenstößen auf den Beinen zu bleiben. Doch sollten wir nicht vergessen, dass dieser Junge weit und präzise werfen kann." Freilich hilft Kaepernick, dass die 49ers Manningham durch Michael Crabtree ersetzen konnten und dass Running Back Frank Gore aufgrund seiner Spielintelligenz erkennt, wann er einen kurzen Pass von Kaepernick zu erwarten und wann er für ihn zu blocken hat.

Und es hilft ihm, dass Randy Moss gelernt hat, dass es sich bei Football um eine Mannschaftssportart handelt. Jahrelang war Moss einer der talentiertesten Passempfänger der Liga, er bemühte sich aber auch um den Titel des arrogantesten Ekels. Er kritisierte Kollegen und Trainer und kündigte einmal an: "Ich spiele nur, wenn ich Lust dazu habe." Die Minnesota Vikings schickten ihn ebenso weg wie die New England Patriots, vor der Saison kam er zu den 49ers. "Wer sein Talent sieht und die Statistiken, der muss sich wundern, dass dieser Kerl noch nie den Titel gewonnen hat", sagt Kollege Jean Francois, "wenn er das ändern will, dann muss er das jetzt machen."

Moss wird in wenigen Wochen 36 Jahre alt - und er hat sich offenbar entwickelt. "Er spricht mit den jüngeren Spielern, er weist sie auf Fehler hin, manchmal fordert er sie zu Wettrennen auf und zeigt ihnen, was ihnen noch fehlt", sagt Kollege Donte Whitner, "dass Crabtree derart herausragend spielt, das ist kein Zufall. Er hat viel von Randy gelernt."

Die Entwicklung von Crabtree mag kein Zufall sein, bei der Entwicklung der 49ers in der zweiten Hälfte der Saison dagegen spielte der Zufall eine bedeutende Rolle - wie bei vielen Dingen, die am Ende eine Sportart verändern sollten.

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