Wolfsburg in der Champions LeagueEuphorisch ins kleine Endspiel

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"Rückgriff auf Prinzipien": Florian Kohfeldt (links) genügten ein paar scheinbar einfach Handgriffe, um die zuletzt verschütteten Wolfsburger Stärken wieder freizusetzen in der Partie bei Bayer Leverkusen.
"Rückgriff auf Prinzipien": Florian Kohfeldt (links) genügten ein paar scheinbar einfach Handgriffe, um die zuletzt verschütteten Wolfsburger Stärken wieder freizusetzen in der Partie bei Bayer Leverkusen. (Foto: Revierfoto/imago)

Wolfsburgs neuer Trainer Florian Kohfeldt träumte von Europapokal-Nächten mit Werder Bremen - nun erlebt er sein erstes Champions-League-Spiel mit dem VfL Wolfsburg. Die Ausgangslage ist knifflig.

Von Thomas Hürner, Wolfsburg/Hamburg

Das Internet hält etliche Perlen bereit, aber für Fußballfans aus Bremen gibt es besonders viel Material für melancholischen Zeitvertreib. "The Day Werder destroyed..." heißt zum Beispiel eine kleine Videoreihe mit Highlight-Clips, die auf gängigen Plattformen abrufbar ist. Und "zerstört" hat der Traditionsklub in der Vergangenheit so einige Großkaliber: Real Madrid, Inter Mailand, Juventus Turin - um nur einige zu nennen, die im Bremer Weserstadion zu Gast waren und wieder gesenkten Hauptes abziehen mussten.

Was das mit dem Fußballtrainer Florian Kohfeldt zu tun hat? Zunächst einmal nicht viel. Auffällig ist aber: Die historischen Werder-Aufzeichnungen, deren Urheberrechtslage vermutlich nicht ganz einwandfrei ist, wurden ziemlich genau in der arbeitsfreien Zeit von Kohfeldt hochgeladen. Ein kausaler Zusammenhang muss deswegen zwar nicht gleich vermutet werden, aber als potenzieller Konsument der Videoclips käme der 39-Jährige ja schon in Frage: Kohfeldt hatte schon immer ein Faible für magische Europapokalnächte, er war schon als Jugendlicher in der Bremer Fankurve gestanden und trug mit seinen Anfeuerungsrufen dazu bei, dass für Real, Inter und Juve seinerzeit nichts zu holen war am Osterdeich. Später, als Trainer des SV Werder, träumte er dann gemeinsam mit den Bremer Verantwortlichen davon, die glorreichen Zeiten wieder aufleben zu lassen. Viele finden: Das war der Anfang vom Abstieg, der Werder und den kurz vor Schluss freigestellten Trainer Kohfeldt in der vergangenen Saison ereilt hat.

"So ein Debüt ist etwas, wovon man lange geträumt hat", sagt Kohfeldt

Ungeachtet dessen ist es für Kohfeldt an diesem Dienstag endlich soweit: Champions League, Flutlicht, der eingestickte Buchstabe "W" auf der grün-weißen Dienstkleidung - wenn man es nicht besser wüsste, dann sähe auf den ersten Blick alles nach der Erfüllung einer langen Sehnsucht aus. Kohfeldt, seit etwa einer Woche Trainer des VfL Wolfsburg, sieht aber natürlich bereitwillig darüber hinweg, dass der Gegner RB Salzburg heißt (Anpfiff 18.45 Uhr) und damit nicht den Glanz versprüht wie die Branchengrößen. "So ein Debüt ist etwas, wovon man lange geträumt hat", sagte Kohfeldt auf der obligatorischen Pressekonferenz am Montag vor der Partie: "Ich weiß es zu schätzen, dass ich sowas erleben darf." Jetzt halt am Mittellandkanal statt an der Weser.

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Kohfeldt hat von seinem Vorgänger Mark van Bommel eine knifflige Konstellation in der Wolfsburger Gruppe geerbt, seine Königsklassen-Premiere ist deshalb gleich mal so etwas wie ein kleines Endspiel: Der VfL steht momentan auf dem letzten Tabellenplatz, nach jeweils einem Unentschieden gegen den FC Sevilla und OSC Lille und einer Niederlage beim Spitzenreiter Salzburg. Die Situation, sagte Kohfeldt, sei mit zwei Punkten aus drei Spielen "nicht aussichtslos" - aber ein Erfolg gegen den als "gefährlich" eingestuften Kontrahenten aus Österreich ist wohl unabdingbar, damit diese Einschätzung noch etwas länger Bestand haben kann.

Aus der Autostadt war nach Wochen der Tristesse jedenfalls wieder einiges an Zuversicht zu vernehmen, was in erster Linie mit Kohfeldts Bundesliga-Debüt als VfL-Coach am Samstag zusammenhängt. Beim 2:0-Sieg in Leverkusen nach Toren von Stürmer Lukas Nmecha und Mittelfeldmann Maximilian Arnold schien sich die Mannschaft bereits emanzipiert zu haben von van Bommels in der Rückschau diffusem Versuch, einen dominanten Ballbesitzfußball zu installieren. Kohfeldt genügten ein paar scheinbar einfache Handgriffe, um die zuletzt verschütteten Wolfsburger Stärken wieder freizusetzen: Die Mannschaft ließ den Ball nicht mehr dogmatisch durch die eigenen Reihen laufen, sondern spielte stilistisch flexibler und deutlich schwungvoller nach vorne. Das sei schon viel näher an "unserer DNA", offenbarte der frühere VfL-Kapitän Josuha Guilavogui, der in einer neu formierten Dreierkette in der Abwehr die zentrale Rolle einnahm und eine tadellose Leistung darbot.

Kohfeldt sei sofort "im Kopf" der VfL-Spieler gewesen, findet Mittelfeldmann Guilavogui

Mit der Systemumstellung ist aber allein noch nicht erklärt, warum die Wolfsburger kaum mehr wiederzukennen waren. Kohfeldt, berichtete Guilavogui, sei "sofort in unserem Kopf" gewesen. Das war ausdrücklich als Lob gemeint und zielte darauf ab, dass das Energielevel unter den Akteuren deutlich höher war als noch unter van Bommel. Kohfeldt selbst sagte, er habe lediglich einen "Rückgriff auf Prinzipien" vollzogen, die ohnehin in der Mannschaft gesteckt hätten. Und er fügte hinzu, dass der Sieg in Leverkusen am "allermeisten mit den Spielern und am wenigsten mit mir" zu tun gehabt habe. Mehr Eigenverantwortung und Entfaltungsmöglichkeiten, das ist offenbar das, worauf es für Kohfeldt auch bei der Partie gegen Salzburg ankommen wird.

Eine Szene am Montag verdeutlichte dies: Auf Nachfrage eines Reporters sollte Kohfeldt erklären, was es eigentlich mit seinem mehrfach verwendeten Fachbegriff eines "Deckungsschattens" auf sich habe. Der Trainer verwies für die Antwort umgehend an Stürmer Nmecha, der neben ihm auf dem Podium saß, denn "er muss es ja verstehen und umsetzen". Nmecha, 22, erweckte dann jedenfalls nicht den Eindruck, als habe er taktischen Nachhilfeunterricht nötig. Die Voraussetzungen für Kohfeldts erstes Europapokalspiel könnten also schlechter sein. Und wer weiß? Vielleicht liefert er ja gleich mal etwas Material für den ersten Teil einer Wolfsburg-Videoreihe, die später im Internet viral geht. Ein paar Perlen haben nämlich durchaus noch Platz im VfL-Pantheon.

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