Dass an seinem neuen Wahlheimatort eine andere Tonart angeschlagen wird, ist Pep Lijnders bewusst. Salzburg, sagt Lijnders, sei eine Stadt mit „viel Klasse, viel gutem Essen und vielen berühmten Komponisten“. Sie unterscheidet sich in dieser Hinsicht ein wenig von jenem Ort, der die Karriere des 41-jährigen Niederländers bislang am meisten geprägt hat. In Liverpool nämlich würde man verächtlich schnauben, würde man der Bevölkerung einer Arbeiterstadt erzählen, sie habe viel Klasse. Niemand ist auch jemals der Kulinarik wegen nach Nordengland gereist. Und die berühmtesten Komponisten Liverpools waren vier Pilzköpfe in den 1960er-Jahren, kein Hof-Popstar im 18. Jahrhundert wie in der Mozartstadt.
Wie also umgehen mit dem Standort Salzburg, der seine mondäne, alte Kultur so liebt wie seinen wilden, jungen Fußball? Pep Lijnders, erst seit Juli als Cheftrainer bei RB im Amt, hat schon verstanden, wie man beides verbindet, er sieht eine gewisse Inspiration im berühmtesten Sohn der Stadt: „Wir müssen die Komponisten des modernsten Fußballs werden.“
Format der Champions League:Mehr Spiele, mehr Wettkampf – und noch weniger Atempausen
36 statt 32 Teams, ein neuer Modus und vor allem: viel mehr Aufwand und viel mehr Einnahmen. Der Europapokal findet erstmals in radikal verändertem Gewand statt – das führt womöglich aber auch zu manch positivem Effekt.
Lijnders nach Salzburg, das war eine aufsehenerregende Verpflichtung auf einem Fußball-Trainermarkt, der es zuletzt nicht immer gut meinte mit den Österreichern. Ein Jahr ist es her, dass der talentierte Schwabe Matthias Jaissle kurz vor dem Saisonstart Hals über Kopf aus Salzburg nach Saudi-Arabien übersiedelte, danach scheiterte bei RB das Experiment mit dem kurzfristig aus der Konzernfiliale New York eingeflogenen Gerhard Struber (inzwischen in Köln). Es war der erste Einriss nach einem Jahrzehnt ausschließlich gelungener Entscheidungen in Salzburg, der zur ersten verlorenen Meisterschaft seit 2013 führte – und zur Erkenntnis, dass es einen Neustart brauchte. Wie passend, dass Letzteres auch für Pep Lijnders galt.
Mit einem halben Jahr Unterbrechung hatte der Niederländer aus Broekhuizen an der deutschen Grenze bis zum Sommer eine ganze Dekade als Co-Trainer von Jürgen Klopp in Liverpool gearbeitet. Es waren erfolg- und lehrreiche Jahre – aber in Lijnders reifte mit der Zeit auch eine Erkenntnis: „Mir war klar, dass ich nur Jürgen assistieren würde.“ Klopp gab Lijnders in Liverpool im Gegenzug viel Verantwortung, der galt als strategischer Mastermind hinter der visionären Taktik. Der Niederländer hat ein Buch über die erfolgreichste Saison 2021/22 geschrieben, es trägt den Titel „Intensity“ und enthält den Satz: „Bringen Sie einen Deutschen, der (Arrigo) Sacchi bewundert, und einen Niederländer, der Cruyff bewundert, zusammen, und Sie erschaffen ein Monster!“
Was aber bekommt man nun in Salzburg, die Fortsetzung des FC Liverpool?
Was aber bekommt man nun in Salzburg? Die Fortsetzung des FC Liverpool? Oder anders gefragt: Wenn man Dr. Watson holt, bringt er dann die Methoden von Sherlock Holmes mit? Bei Lijnders klingt tatsächlich vieles nach Klopp, mit dem er weiterhin im regelmäßigen Austausch steht, aber er klingt nicht wie einer, der aktiv versucht zu kopieren. Lijnders hat es nicht nötig, den wichtigsten Einflussfaktor seiner Karriere zu verstecken, erst recht nicht, weil es sich um einen der bedeutendsten Trainer der Fußballgeschichte handelt. Aber anders als Klopp, der zuletzt milder, reifer, vielleicht auch ein wenig müder wirkte, gibt Lijnders eine tiefe innere Euphorie zu erkennen: „Wir wollen das Team werden, das die Fußballwelt überraschen kann“, sagt er dann: „Wir wollen die verrückten Kerle aus Salzburg sein, die nicht die Besten der Welt sein müssen – aber in einem Spiel jeden schlagen können.“
Die Losung dafür ist „Angriff, Angriff, Angriff“. Lijnders will mit seiner jungen Mannschaft den Gegner übers Feld jagen, so wie es der Salzburger DNA entspricht. „Junge Spieler“, eine gute Akademie-Arbeit und einen Verein, „bei dem ich dem Spielstil meinen Stempel aufdrücken kann“, das habe er gesucht, sagt Lijnders – und genau das hat er in Salzburg gefunden: „Unser Gegenpressing kommt tief aus dem Herzen, und das ist nur mit Spielern möglich, die es von klein auf verstehen.“
Versteckt in der österreichischen Liga wird der neue Lijnders-Fußball nicht bleiben. Gegen Twente Enschede und Dynamo Kiew haben sich die Salzburger für die Champions League qualifiziert, zum Auftakt wartet am Mittwoch (18.45 Uhr) Sparta Prag. Dann wird ein Trainer an der Seitenlinie stehen, der diesen Wettbewerb in Liverpool schon tragisch verloren und triumphal gewonnen hat – und der unter Beweis stellen möchte, dass er mehr ist als ein Sidekick.