Saisonstart im Biathlon:Theater-Ensemble für Sotschi

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Andrea Henkel: Letzte Saison als Biathletin (Foto: Bongarts/Getty Images)

Vor dem Saisonstart hat sich die Lage im deutschen Biathlon entspannt. Schürten die Rücktritte in den vergangenen Jahren noch leichte Existenzängste, steht der Kader nun überraschend gut da. Vor allem das Frauenteam mit seinen unterschiedlichen Charakteren verspricht Spannung.

Von Volker Kreisl

Vordergründig ist alles wie immer, wenn der Alltag beginnt. Die Sonne zeigt sich kaum, und es ist bitterkalt, minus zehn Grad. Ein weißes Band aus Kunstschnee und Altschnee, die Loipe, durchzieht die Landschaft bei Östersund. Und im Stadion dominiert das schmutzige Braun des Herbstbodens, der auf Schnee wartet. Biathlon fängt wieder an.

Dabei hätte dieser Winter eine prächtiges Ouvertüre verdient. Vier Jahre sind wieder vorbei, dies ist ein Olympia-Winter, ein Höhepunkt, mit dem auch im Biathlon wieder Karrieren beginnen und Karrieren enden werden. Am Sonntag beginnt diese Saison mit der Mixed-Staffel, die ihrerseits eine kleine Karriere hinter sich hat, anfangs verschmäht, dann geduldet, und nun heiß begehrt. Jeder will jetzt unbedingt dabei sein, denn die Mixed-Staffel ist nun olympisch und hat drei Medaillen im Angebot. Ein Winter mit Großereignis und Neuerungen ist es also, und für manchen Verband ein besonders spannender, unter anderem für den deutschen.

Nach den Russen dürften die Deutschen gleich auf Platz zwei kommen, was Erwartungen und öffentlichen Druck betrifft. Den Russen ist Biathlon fast so lieb wie Fußball und Eishockey, so sehr, dass sie kürzlich eine neue Spielart, das Panzer-Biathlon, erfanden. Sie müssen bei den Spielen in Sotschi im eigenen Land folgerichtig Medaillen in großer Zahl gewinnen. Wie die russischen stecken aber auch die deutschen Biathleten zwischen zwei Gegensätzen. Einerseits sind da erfolgsverwöhnte Geldgeber, Medien und Zuschauer. Andererseits hat man eine umgebaute Mannschaft, von der man nicht genau weiß, wozu sie eigentlich fähig ist.

Cheftrainer Uwe Müssiggang nennt keine Mindestmedaillenziele, bleibt aber zuversichtlich. "Wir fahren nach Sotschi, um Medaillen zu holen, das ist wie immer unser Anspruch", sagt er. Doch der selbstbewusste Ton vergangener Jahre ist der Vorsicht gewichen. Vor allem mit den Staffeln seien Medaillen erreichbar, sagt Müssiggang, und in den Einzeln, nunja, grundsätzlich ebenfalls, es müsste dann im Rennen aber alles passen.

Die Männermannschaft empfindet der Chef als ein kompaktes ausgeglichenes Team, das es aber mittlerweile mit 20 bis 30 Top-Athleten aus anderen Nationen zu tun hat. Arnd Peiffer, Andreas Birnbacher, Erik Lesser, Florian Graf und Simon Schempp sind routiniert und haben Bekanntschaft mit dem Erfolg gemacht, der eine mehr, der andere weniger.

Der Frauen-Kader ist das Gegenteil: vielfältig wie ein Theaterensemble, mit allen Altersstufen und Charakteren ausgestattet, mit den unterschiedlichsten, teils dramatischen Vorgeschichten. Er verspricht Spannung im Olympiawinter.

Saisonstart im Biathlon
:Mit gebrochenem Rücken zu Olympia

Miriam Gössner kämpft sich nach einem Katastrophensommer zurück ins Weltcupteam und hofft auf eine Medaille in Sotschi. Ebenso wie Andrea Henkel, die ihre Karriere nach diesem Winter beenden will. Und Ole Einar Bjørndalen wird langsam vergesslich. Zehn Fakten zum Start der Biathlon-Saison.

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Miriam Gössner zum Beispiel geht es den Umständen entsprechend sehr gut. Nach ihrem vierfachen Wirbelbruch nach einem Rad-Unfall im Sommer hat die schnellste Deutsche sich sukzessive wieder an Belastungen gewöhnt und beim Vorbereitungswettkampf in Norwegen Vielversprechendes gezeigt. Andrea Henkel, die 35-Jährige, die ihre letzte Biathlon-Saison absolviert, hat Extra-Einheiten im Schießen und in der Laufdynamik absolviert. Sollte sie tatsächlich im Sprint vor der Ziellinie kontern können, dann hätte sie eine ihrer entscheidenden Schwächen überwunden.

Evi Sachenbacher-Stehle, die übergewechselte Langläuferin, hat so viel Vertrauen in ihre Fähigkeiten im neuen Sport, dass sie schon jetzt ankündigt, bis 2016 weiterzumachen. Franziska Hildebrand, die immer behäbig lief, hat alle überrascht, weil sie sich doch noch gesteigert hat. Ihre Laufrückstände auf die jeweils Schnellste, sagt Müssiggang, seien von grob sechs Prozent auf circa drei Prozent gesunken. Damit wird Hildebrand, die hervorragend schießen kann, zur Staffelkandidatin. Und dann sind da noch Franziska Preuß und Laura Dahlmeier, die eine 19, die andere 20 Jahre alt, beide hoch veranlagt, beide jung und ohne die Angst, in Sotschi eine letzte Chance zu vermasseln. Wie alle, müssen aber auch sie sich erst national qualifizieren.

Erinnert man sich an die leichten Existenzängste, die im deutschen Biathlonsport nach vielen Rücktritten auf dem Weg nach Sotschi mancher durchmachte, die zu bizarren Überlegungen führten, etwa einer breiter angelegten Umschulung von Langläuferinnen, dann steht das Team nun überraschend gut da. Es zählt nicht mehr zu den Top-Favoriten, aber es hat wieder die Grundlage für olympische Erfolge und für die weitere Zukunft.

Beim Mixed-Staffel-Rennen am Sonntag werden Andrea Henkel, Franziska Hildebrand, Florian Graf und Arnd Peiffer in die Spur gehen. Eine fünffache Olympiamedaillengewinnerin also, eine lange unterschätzte Athletin, einer, der die geraunten Erwartungen endlich erfüllen will und ein ehemaliger Weltmeister auf der Suche nach der alten Form. Das erste deutsche Mixed-Quartett im Olympiawinter 2014 entspricht ziemlich genau der Vielfalt des gesamten Kaders.

© SZ vom 23.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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