Missbrauch im Sport:Hilfe ist in Arbeit

Missbrauch im Sport: Der Schwimmsport, aber auch andere Disziplinen, erlebten in den vergangenen Jahren Missbrauchsvorfälle.

Der Schwimmsport, aber auch andere Disziplinen, erlebten in den vergangenen Jahren Missbrauchsvorfälle.

(Foto: imago sportfotodienst; imago/imago/Westend61)

Wie steht es um die Schutzmechanismen vor Gewalt im deutschen Sport? Die letzten Jahre waren für Betroffene von Enttäuschungen geprägt - doch mittlerweile bewegt sich etwas.

Von Saskia Aleythe, Hamburg

Die Empörung kommt in Wellen. Funktionäre sprechen von großer Betroffenheit, wenn ein neuer Fall von Gewalt in den eigenen Reihen an die Öffentlichkeit gedrungen ist, und kündigen Aufarbeitung an. Verwiesen wird dann oft auf die eigenen Stellen: In den Landessportbünden und Verbänden etwa, da sitzen Ansprechpartner und Präventionsbeauftragte. Doch, so hat es Forscherin Bettina Rulofs schon vor Jahren bestätigt: Das Vereinsumfeld, das von Nähe und Vertrauen genauso geprägt ist wie von Abhängigkeit, "ist anfällig für das Ausnutzen von Macht durch Erwachsene". Viele Betroffene trauen sich deshalb nicht, Missbrauch im eigenen Verein oder im Verband anzusprechen.

Schutz und Hilfe lassen sich allein hinter den Klubtüren nicht finden, systembedingt. Andere Länder wie die USA oder Australien haben das Problem schon vor einiger Zeit erkannt und unabhängige Stellen - außerhalb des organisierten Sports - geschaffen. Deutschland ringt seit Längerem um so ein Zentrum für Safe Sport, das bei erfahrener physischer, psychischer oder sexualisierter Gewalt eine Anlaufstelle ist. Die "Athleten Deutschland", der Interessensverein aktiver Kadersportler, hat zusammen mit Forschern immer wieder auf die Errichtung gedrängt; seit vergangenem Jahr steht der Aufbau des Zentrums im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Es geht zäh voran, doch tatsächlich ist in den vergangenen Monaten mehr in Bewegung gekommen als in den letzten Jahren.

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat sich jüngst positioniert: Ja, man will ein unabhängiges Zentrum für Safe Sport aktiv und inhaltlich mitgestalten, um "Schutzlücken im Sport zu schließen", so der DOSB-Vorstandsvorsitzende Torsten Burmester. Bestehende Maßnahmen und Aktivitäten der Sportverbände und -vereine sollten damit sinnvoll ergänzt und unterstützt werden. Die Athleten Deutschland begrüßten die Positionierung, "eineinhalb Jahre nach unserem Impuls". Seitdem sind immer wieder neue Fälle von Gewalt publik geworden, im Turnen, im Schwimmen, im Breitensport in diversen Abteilungen. Die Schritte nach vorne dauern lang, im Laufe des Jahres will der DOSB einen Zeitplan entwickeln.

Der Verein Athleten Deutschland hat unabhängige Anlaufstelle geschaffen

Immerhin, es gibt sie aber, die Schritte nach vorn: Mehrere Monate hatte der DOSB einen Dialogprozess durchgeführt, auch die Athleten Deutschland waren involviert. Da waren die Fronten schon mal verhärteter. Die alte DOSB-Spitze hatte eher missmutige Töne verbreitet, das Zentrum sei nicht "der Königsweg", die Prävention müsse bei den Vereinen bleiben, und überhaupt: Man solle erstmal belastbare Zahlen vorlegen, dass im Sport ein Mangel an Vertrauenspersonen bestehe, sagte Petra Tzschoppe im Mai 2021, damals noch Vize-Präsidentin des DOSB. Seit diesem Sommer können Betroffene sexualisierter Gewalt auch wieder Anträge auf Entschädigung stellen, da der DOSB wieder ins Ergänzende Hilfesystem des Bundesfamilienministeriums (EHS) einzahlt. Tzschoppe hatte das schon vor fast zwei Jahren versprochen.

Geld ist immer so eine Sache: Warum man 2016 die Zahlung ins EHS überhaupt eingestellt hat, kann man zum Beispiel fragen. Oder: Warum will sich der DOSB finanziell nicht am Aufbau des Zentrums beteiligen? Bezahlen soll nach seiner Vorstellung der Bund. Das kritisieren auch die "Athleten Deutschland": "Mit einer Mitfinanzierung würde der organisierte Sport auch institutionelle Verantwortung übernehmen." Eine Machbarkeitsstudie des Bundesinnenministeriums hatte darauf hingewiesen, dass eine Unabhängigkeit des Zentrums trotz anteiliger Zahlung gewährleistet bliebe.

Handfestes haben bisher nur die "Athleten Deutschland" vorzuweisen: Weil sie gemerkt haben, wie groß der Bedarf im Land ist und dass sich Beratungsstellen außerhalb des Sports oft nicht mit den Strukturen auskennen, haben sie eine eigene unabhängige Anlaufstelle auf die Beine gestellt. Seit Mai gibt es bei "Anlauf gegen Gewalt" Hilfe (erreichbar unter 0800/9090444; oder unter kontakt@anlauf-gegen-gewalt.org). Dort ist für aktive und ehemalige Kaderathleten eine psychologische sowie rechtliche Erstberatung möglich, auch anonym.

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