Sabine Lisicki verliert Wimbledon-Finale:Erdrückt von der schweren Last

Sabine Lisicki verliert Wimbledon-Finale: Sabine Lisicki in Tränen: Beinahe hätte Wimbledon einfach mitgeweint.

Sabine Lisicki in Tränen: Beinahe hätte Wimbledon einfach mitgeweint. 

(Foto: AFP)

Tränen, Verkrampfung, Verzweiflung: Sabine Lisicki scheitert ausgerechnet im bedeutsamsten Spiel ihres Lebens an ihren eigenen Nerven. Im Finale von Wimbledon zeigt sich, dass es gar nicht so einfach ist, als Liebling der Fans den riesigen Erwartungen gerecht zu werden.

Von Jonas Beckenkamp

Der Centre Court in Wimbledon ist ein mächtiger Ort, eng verwachsen mit der Geschichtsschreibung im Tennissport. Hier hechtete einst Boris Becker über die Wiese, hier fluchte John McEnroe aufs Allerherrlichste und hier gewann eine gewisse Stefanie Graf aus Brühl gleich sieben Mal das Turnier.

Solche historischen Meilensteine bildeten am Samstag den Rahmen für Sabine Lisicki, die am Ende auch ein wenig an der Größe des Ereignisses scheiterte. Gegen Marion Bartoli war sie im Endspiel ziemlich chancenlos.

1:6 und 4:6 lautete das nackte Ergebnis eines Matches, in dem diese junge Deutsche, die sonst so sehr mit ihrer Lockerheit begeistert, plötzlich an den Rand der Verzweiflung geriet. Sabine Lisicki schluchzte und weinte - und zwar schon während des Spiels. Es war beim Stand von 1:3 im zweiten Satz, als ihr großer Traum wie eine Kaugummiblase zu zerplatzen drohte. Ihr unterlief ein Doppelfehler, wieder mal, dann kamen die Tränen.

"Ich konnte es nicht verbergen, weil ich so enttäuscht war, dass ich nicht so spielte, wie ich es eigentlich kann," sagte Lisicki später. Nicht nur sie war enttäuscht, ganz Wimbledon schien schockiert. Sie war der Liebling der Fans, die ihr viel lauter zujubelten, als der überragend agierenden Französin Bartoli.

Wimbledon und Lisicki, diese Geschichte passte einfach zu gut: Als Kind saugte sie erstmals diese besondere Atmosphäre auf, dann hatte sie sich vor zwei Jahren mit einer Wildcard bis ins Halbfinale gekämpft. Zwischen ihr und diesem Fleck im Süden Londons entwickelte sich eine dicke Freundschaft: Die Briten lieben Lisicki, Lisicki liebt Wimbledon.

Das war die Fallhöhe dieses Finals. Umso schwerer wog für die Weltranglisten-24. während der Begegnung die Einsicht, dass sie die hohen Erwartungen an diesem vermaledeiten Tag einfach nicht erfüllen konnte.

Dabei deutete sich das Drama schon früh an: "Ich habe wenig geschlafen und als ich auf den Platz gekommen bin, war ich nervös. Ein Finale ist etwas komplett anderes, überhaupt nicht zu vergleichen, einfach nicht alltäglich", erklärte Lisicki. Ihre Nervosität war auch für wenig empathische Gefühlsklötze zu greifen: Selbst die einfachsten Übungen - wie der Ballwurf zum Aufschlag - gingen ständig schief.

Und einmal servierte Lisicki so kraftlos, dass die Kugel es gerade eben bis an die Bodenbefestigung des Netzes schaffte. Der Centre Court, so der Eindruck, erdrückte die 23-Jährige förmlich, die Zuschauer bangten und zweifelten und die Deutsche wusste sich einfach nicht zu helfen.

Auch Atemtechniken helfen nicht

"Am Anfang war ich angespannt, und habe mir immer wieder versucht zu sagen: Es ist nur ein Tennisspiel," sagte Lisicki, "ich habe versucht, Atemtechniken anzuwenden, um die Nervosität loszuwerden. Das hat heute leider alles nicht geklappt."

Dabei gibt es durchaus Erklärungen für den plötzlichen Einbruch dieser sonst so unbekümmerten Strahlefrau. Das Halbfinale gegen die starke Polin Angieska Radwanska hatte Lisicki (wie zuvor das Achtelfinale gegen Serena Williams) physisch und mental enorm strapaziert. Es war ihr bisher größter Erfolg überhaupt und auf einmal galt sie im Finale als Favoritin auf den Sieg. Kein leichtes Pfund für eine Sportlerin, die zum ersten Mal das ganz große Ding schaffen sollte.

Lisicki, die in London zwei Wochen am Leistungslimit agierte, hatte gegen Bartoli tatsächlich einiges zu verlieren - das war eine neue Situation, mit der sie hart zu kämpfen hatte. "So eine große Chance bekommst du nicht jeden Tag. Und dann gehst du hier mit Blumen auf den Platz. Das ganze Gefühl verändert sich," schilderte die Berlinerin ihre Empfindungen.

Bei all der Aufregung schwanden auch die Kräfte. Lisicki wirkte matt, geplagt und gelähmt, während ihre Gegnerin nach jedem gewonnenen Punkt wie eine Boxerin an der Grundlinie tänzelte. Das ganze Match brannte sich wie ein einziges Momentum in die Köpfe der Zuschauer ein: Bartoli gelang fast alles, Lisicki nahezu nichts. "Marion war heute einfach frischer als ich. Sie hat super gespielt und ich war nicht bei 100 Prozent. Natürlich ist das enttäuschend, aber so läuft es dann," lautete Lisickis Fazit.

Wimbledon, diese historische Anlage mit ihren piekfeinen Rasenplätzen, war für Lisicki zur Last geworden. "Sie hat ein tolles Turnier gespielt, sie hat super Spielerinnen geschlagen, sie hat alles richtig gemacht, aber heute war das Fass einfach leer," analysierte ihr Trainer Wim Fissette.

Als Bartoli ihren vierten Matchball mit einem Ass verwandelte, applaudierte der Centre Court höflich, doch wer genau hinhörte, konnte vernehmen, dass nicht einmal die Hälfte der Fans zum Klatschen im Stande war. Lisickis Erstarrung hatte sich auf die Ränge übertragen: Fast hätten sie wohl alle gerne mitgeweint.

Am Ende blieb der Deutschen immerhin ein versöhnlicher Blick zurück. "Für mich war es ein großartiges Turnier," sagte sie, als die Tränen getrocknet waren. "Ich spielte mein bestes Tennis, besiegte die Großen und kann hier viel für die Zukunft mitnehmen." Die Geschichtsschreibung muss also noch ein wenig warten - aber Wimbledon, diesen mächtigen Ort, wird es ja noch ein paar Jahre geben.

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