Sabine Lisicki in Wimbledon:Überglücklich am Ende der Schlacht

Sabine Lisicki Wimbledon Tennis

Glücklich auf heiligem Rasen: Sabine Lisicki.

(Foto: dpa)

In einem denkwürdigen Wimbledon-Halbfinale ringt Sabine Lisicki die Polin Agnieszka Radwanska nach über zwei Stunden mit 6:4, 2:6 und 9:7 nieder. Sie steht damit zum ersten Mal im Finale eines Grand-Slam-Turniers - als große Favoritin.

Von Michael Neudecker, London

Sabine Lisicki hatte auch am Dienstag wieder betont, wie sehr sie Wimbledon und den Centre Court mag, sie hatte da gerade das Viertelfinale gegen Kaia Kanepi gewonnen, und es ist ja wirklich so: Lisicki würde auch auf dem Centre Court übernachten, wenn sie nicht spätabends immer den Rasen mähen würden. Am Donnerstag dann bestritt Lisicki das zweite Halbfinale, aber sie musste nicht allzu lange warten, bis sie wieder raus durfte: Die Französin Marion Bartoli war so nett, die Belgierin Kirsten Flipkens in 62 Minuten 6:1 und 6:2 abzufertigen. Bartoli jubelte über das zweite Wimbledon-Finale ihrer Karriere und ging. Dann kam Lisicki.

Sabine Lisicki ist seit ihrem Sieg gegen Serena Williams im Achtelfinale bei den Wettanbietern Turnierfavoritin, obwohl die Polin Agnieszka Radwanska, Lisickis Gegnerin am Donnerstag, in der Weltrangliste deutlich höher eingestuft ist: Radwanska belegt Platz vier, Lisicki Platz 24. Ein paar Leute haben gefragt, wieso nicht Radwanska die Favoritin sei; sie konnten die Antwort am Donnerstag auf dem Centre Court sehen. Lisicki gewann, 6:4, 2:6, 9:7, nach zwei Stunden und 18 Minuten. "Es war eine Schlacht", sagte sie.

Und ein Sieg mit historischer Dimension. Lisicki wird am Samstag das Endspiel in Wimbledon bestreiten. Als erste Deutsche seit Steffi Graf 1999, vor 14 Jahren.

Agnieszka Radwanska spielt an guten Tagen wie eine Ballmaschine, sie bringt den Ball dann immer wieder zurück, immer wieder, immer wieder. Sabine Lisicki spielt an guten Tagen wie ein Mann, ihre wuchtigen Aufschläge, die regelmäßig die 200-km/h-Grenze berühren, und ihre wuchtige Vorhand sind eine Seltenheit im Frauenfeld. Als der erste Satz lief, sah es so aus, als sei der Donnerstag einer von Lisickis guten Tagen, sie spielte aggressiv, druckvoll. Nach 20 Minuten gelang ihr das erste Break, bald hatte sie den ersten Satz gewonnen, 6:4, nach 33 Minuten.

Als der zweite Satz begann, ging Lisicki gleich wieder per Break 1:0 in Führung, danach hatte sie die große Chance zum 2:0: eine Vorhand, der Ball flog - und landete hinter der Grundlinie. Sabine Lisicki schrie laut auf, sie quietschte, und dann verlor sie dieses Spiel. 1:1, Agnieszka Radwanska war jetzt zurück, und je länger dieser Satz dauerte, desto mehr sah es so aus, als wäre der gute Tag von Sabine Lisicki gegen halb vier Uhr Ortszeit schon zu Ende.

Die Statistiker zählen während eines Matches alles mit, auch die unforced errors, unerzwungene Fehler also, Radwanska lag da irgendwann im Laufe des zweiten Satzes bei fünf - Lisicki bei 27. Ihre Risikofreude wurde jetzt zum Problem, die Bälle gingen oft ins Aus oder ins Netz, Radwanska dagegen punktete unbeirrt. Nach 36 Minuten hatte Radwanska den zweiten Durchgang 6:2 für sich entschieden.

Sabine Lisicki nahm sich eine Pause, sie ging in die Kabine, aber als sie zurückkam, wurde es nicht besser. 0:1, 0:2, 0:3, Lisicki lag schnell ein Break zurück. Das Match war jetzt Radwanskas Match.

Wie gegen Serena Williams

Der Sieg gegen Serena Williams wird immer etwas Besonderes in der Karriere von Sabine Lisicki sein, in Wimbledon ist er zugleich aber auch der Bezugsrahmen, in dem sie sich seitdem bewegt. Gegen Williams gewann Lisicki den ersten Satz, verlor den zweiten, im dritten lag sie 0:3 zurück und gewann 6:4. Nach dem dritten Spiel nun saß Sabine Lisicki auf der Bank, aß, trank, schloss die Augen. "Ich dachte", sagte sie später, "ich hab' das gegen Serena geschafft, ich schaff' das auch heute."

1:3, ein Break zum 2:3, 3:3, 3:4, 4:4, und dann gelang Lisicki tatsächlich ein weiteres Break. 5:4, sie schlug zum Matchgewinn auf. Die Zuschauer riefen ihren Namen, 15 000 Menschen, die meisten waren auf Lisickis Seite.

Aber Agnieszka Radwanska, beide Oberschenkel von Bandagen umwickelt, gab nicht auf. Sie platzierte den Ball gut, Lisicki rannte, aber es reichte nicht: Radwanska glich aus. 5:5, es wurde jetzt ein hemmungsloses Hin und Her.

Beim Stand von 6:6 hatte Sabine Lisicki erneut die Chance zum Break, sie hatte sogar zwei Breakbälle, aber sie konnte sie nicht nutzen. Mit einem Netzroller nach einem Vorhandvolley entschied Radwanska das Spiel für sich, 7:6. Es folgte das 7:7, und dann hatte wieder Radwanska Aufschlag. Lisicki übte jetzt viel Druck aus, vor allem mit ihrer Vorhand. Radwanska hatte oft Mühe, den Ball zu erreichen, schließlich flog einer ihrer Rettungsschläge ins Aus: Break für Lisicki, schon wieder, 8:7.

Sabine Lisicki atmete mehrmals durch, sie konzentrierte sich. Und ließ sich die Chance diesmal nicht entgehen.

Schnell führte sie 40:0, Radwanska gelang mit einem Rückhandschlag noch ein Punkt, aber dann wuchtete Lisicki den Ball mit ihrer Vorhand in die Ecke. 9:7. Sie sank zu Boden, beide Fäuste geballt, sie weinte, lachte, weinte. Es war wie nach ihrem Match gegen Serena Williams.

"Es ist ein unbeschreibliches Gefühl", sagte Sabine Lisicki noch eine Stunde später, sie blickte unbeschreiblich ergriffen, "das ist pure Emotion." Überhaupt, dieses Match sei eine so große Herausforderung gewesen, sagte Lisicki, sie erzählte angemessen kitschig von ihrem ersten Besuch in Wimbledon als kleines Kind, ihren Träumen, ihrem Glauben, und, auch das, wie die Biographie des Skirennfahrers Hermann Maier sie inspiriert habe.

"Noch ein Match", sagte Sabine Lisicki schließlich, "und dann . . .", sie hielt kurz inne, einen Sekundenbruchteil nur. Dann fügte sie hinzu: "Mal schauen."

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