Ryder Cup:Oktoberfest mit Golfschlägern

Martin Kaymer Ryder Cup

2012 hat er den Ryder Cup für Europa mit dem letzten Putt entschieden: Martin Kaymer.

(Foto: AFP)

250 000 Fans am Platz, bis zu 600 Millionen TV-Zuschauer: Nirgends ist für Golfer der Druck größer als beim Ryder Cup. Der schottische Ort Gleneagles bereitet sich auf eine Invasion vor. Eine Einordnung, was dem Sport bis Sonntag blüht.

Von Gerald Kleffmann

Ein junger Mann namens Ricky Fowler lässt sich in Florida rasch "USA" in die Haare rasieren, sein Vorgesetzter Tom Watson muss das nun in Schottland kommentieren. Ein Ankunftsfoto von zwölf europäischen Herren in karierten Sakkos wird binnen Stunden Tausende Male um die Erde geschickt. Für die Einwohner von Auchterarder im Verwaltungsbezirk Perth&Kinross wird eine Broschüre angefertigt mit Tipps, wie sie mit dem benachbarten Ereignis klarkommen. Wenn sich Dinge wie diese ereignen, steht nicht der Weltuntergang bevor, sondern der Ryder Cup, nun also zum 40. Mal und diesmal in Gleneagles, nördlich von Glasgow.

Ab diesem Freitag duellieren sich die besten Profis aus Europa und den USA, das ist der simple Ansatz. Unter der Rubrik Ausnahmezustand könnte freilich im Lexikon das kontinentale Golfsportspektakel gelistet sein. Der Teamwettbewerb ist ein Oktoberfest mit Golfschlägern und ohne Masskrüge und Looping, ein Millionengeschäft, die Stimmung an den drei Turniertagen zünftig bis zum Stimmbruch. Eine Einordnung, was dem Sport bis Sonntag blüht.

Der Samenhändler

Mit Samen begann alles. Samuel Ryder, pfiffiger Geschäftsmann aus St Albans in England, hatte Ende des 19. Jahrhunderts die Idee, Pflanzensamen in Penny Packets zu packen, noch heute werden die winzigen Verpackungen verwendet. Jeder sollte sich sein Pflänzlein leisten können, Mr. Ryder wurde reich. Um sich fitzuhalten, begann er mit dem Golfen und entdeckte seine Leidenschaft. Ryder sponsorte bald das britische Golf, das 1921 Außergewöhnliches erlebte. Zwölf Spieler aus Amerika kamen auf dem Schiff nach Schottland, um sich zwölf Briten auf dem Golfplatz in Gleneagles zu stellen (letztlich spielten nicht alle). Der Gastgeber gewann das erste Kräftemessen, das erstmals 1927 unter dem Namen seines Finanziers und Trophäenspenders abgehalten wurde: Der Ryder Cup war geboren. Seitdem findet er alle zwei Jahre statt, alternierend auf den Kontinenten.

Sieben Mal Europa

Ryder-Cup-Sieger der vergangenen zehn Jahre

Jahr, Gewinner, Austragungsort 1993 USA, Sutton Coldfield/England

1995 Europa, Oak Hill C.C., New York/USA

1997 Europa, Sotogrande/Spanien

1999 USA, Country C., Massachusetts/USA

2002 Europa, Sutton Coldfield/England

2004 Europa, Oakland Hills, Michigan/USA

2006 Europa, Straffan/Irland

2008 USA, Valhalla G.C., Kentucky/USA

2010 Europa, Newport/Wales

2012 Europa, Medinah C.C., Illinois/USA

3&2

95 Prozent der Golfwettbewerbe sind Einzelwettbewerbe, Egoismus ist nötig, um zu bestehen. Im Ryder Cup gelten andere Gesetze, plötzlich heißt es "United we stand!", frei übersetzt: "Zusammen machen wir die platt!" 28 Punkte in 28 Matches werden vergeben, ein Remis ist ein halber Punkt. Die komischen Ergebnisse wie "3&2" heißen deshalb so, weil eine Runde beendet ist, sobald der Gegner auf den restlichen Löchern einen Rückstand nicht aufholen kann. "3 und 2" bedeutet einen Vorsprung von drei gewonnenen Löchern bei zwei zu spielenden Löchern. "1 up" ("1 auf") ist ein Sieg über 18 Bahnen mit einem Lochgewinn Vorsprung. Jedes Team besteht aus den Spielern und dem Kapitän (und heute gefühlten 20 Vizekapitänen), der über alles entscheidet, Taktiken, Paarungen, Einsätze.

Auch bei der 40. Ausgabe werden verschiedene Spielformate angewandt, die sich seit 1927 nur in der Abfolge gelegentlich verändert haben: Am Freitag und Samstag finden je vier klassische Vierer (foursome) und Vierball-Bestball (fourball) statt, je zwei Europäer und Amerikaner bilden eine Einheit. Beim Foursome schlägt das Duo abwechselnd den Ball, bis er im Loch ist, beim Fourball jeder einen Ball, das beste Ergebnis des Teams pro Loch zählt. Am Sonntag folgen zwölf Einzel, wobei die Kapitäne die Reihenfolge aufstellen, was herrlich glücken oder schiefgehen kann. 2002 auf der englischen Anlage The Belfry schickte Europas Sam Torrance bei 8:8 am Sonntag die Besten zuerst auf den Platz. Curtis Strange entsandte die Besten zum Schluss. Beflügelt von frühen Siegen fuhr Europa den Sieg ein (15,5:12,5).

Riesengaudi für die Medien

Drama

Seit Montag heißt es: Feuer frei! Alle Protagonisten werden mit Fragen gelöchert, Interviews, Training, Meetings und alles wieder von vorne, wie bei einer Fußball-WM ist das Spekulieren und Analysieren eine Riesengaudi für die Medien, die eine Zeltstadt im schottischen Nirwana belagern. 250 000 Fans werden erwartet und 600 Millionen TV-Zuschauer, verständlich, dass der Debütant Victor Dubuisson sagt: "Nicht nur das Geschehen auf dem Platz hat Einfluss, auch das Drumherum." Der Druck ist nirgends größer als beim Ryder Cup. Fantastische Spieler mutierten schon zu Mäusen, Außenseiter zu Riesen. Tiger Woods scheiterte oft genug daran, vom Ego-König zum Team-Arbeiter umzuschulen. Als viele 2012 vom damals kriselnden Martin Kaymer nichts Gutes erwarteten, lochte er den Siegputt zum "Wunder von Medinah" - Europa schaffte neun von zwölf Einzelsiegen und ein verrücktes Comeback. Das überstrapazierte Wort Drama hat beim Ryder Cup seine Berechtigung, im sportlichen Sinne.

Eines ist klar: Der Wettbewerb ist eine Kirmes von privilegierten Multimillionären, die sich unsterblich machen können. Das Geschichtsbuch ist der Lohn und unbezahlbar für jene, die sich alles leisten können. Wie sehr der Ryder Cup die Spieler fordert, zeigen die Freudenausbrüche und Trauermienen, Tränen fließen bei Haudegen. Unvergessen, wie der Nordire Darren Clarke 2006 bei Europas Sieg glänzte und in Gedenken an seine verstorbene Frau zusammenbrach. 1999 ging als die Schande von Brooklyn ein, als die Amerikaner unsportlich agierten und samt pöbelnder Fans siegten. Die Auflage 1991 in Kiawah Island hieß "War by the shore", Krieg an der Küste. Bernhard Langer verschob einen kurzen Putt zur Titelverteidigung, Seve Ballesteros heulte in der Kabine wie ein Schlosshund. Legenden, das alles.

Die Ausgangslage

Ein Favorit ist kaum auszumachen, der 1992 erbaute Centenary Course, als zu amerikanisch verschrien, verfügt aufgrund viel Regens über hohes Gras an den Bahnrändern, ein Minivorteil für Europäer, die das mehr kennen. Nichts zu bedeuten hat die Statistik, die dennoch interessant ist. Die USA waren zunächst so dominant, dass 1973 die Iren und 1979 Festlandeuropäer zugelassen wurden. Seit 1995 hat aber Europa sieben von neun Duellen gewonnen. Tiger Woods fehlt den USA, aber er war ohnehin angeschlagen und nicht in Form. Die Europäer verfügen in Rory McIlroy über die Nummer eins der Welt, die Amerikaner über mehr Dichte im Kader - und über den Altmeister Tom Watson als Kapitän. Allerdings weiß der Ire Paul McGinley, Europas Kapitän, wie Ryder Cup geht. 2002 in The Belfry gelang ihm wie Kaymer 2012 der entscheidende Putt zum Triumph.

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