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Ryder Cup:Die USA reißen wieder die Macht an sich

Whistling Straits, Wisconsin - dieser Ort steht seit Sonntag für eine Zäsur im Weltgolf. Im 43. Ryder-Cup-Duell demonstrieren zwölf junge, hungrige amerikanische Golfprofis, dass ihnen im legendären Kontinentalvergleich die Zukunft gehört - auf Europas alterndes Team kommt ein großer Umbruch zu.

Von Gerald Kleffmann, Sheboygan/München

Eigentlich war schon längst klar, dass der Ryder Cup diesmal in die Hände der Amerikaner wandern würde. Sie führten am Freitag, am Samstag, auch früh am Sonntag. Aber als der Sieg mit dem Rekordergebnis von 19:9 - so hoch hatte noch nie ein Team diesen Kontinentalkampf gewonnen - am Sonntagnachmittag dann feststand, ereigneten sich doch denkwürdige Szenen, die von der inneren Befreiung zeugten. Als hätte man einen Dämon abgeschüttelt. Da saß zum Beispiel Xander Schauffele, der Olympiasieger von Tokio, ein Profi durch und durch (und mit einem Vater aus Stuttgart), und schmauchte eine dicke Zigarre, als sei er Ernest Hemingway. Oder Steve Stricker. Der Kapitän brach noch auf dem Podium bei der Dankesrede an seine Spieler in Tränen aus. "Ich habe nie ein Major gewonnen, aber das ist mein Major hier", schluchzte der 54-Jährige, der nicht weit weg vom Whistling Straits Golf Course geboren wurde und aufwuchs, Mitten in Wisconsin.

Bilder, Geschichten, wie sie die Amerikaner lieben. Tausende Fans feierten mit, grölten auf der Anlage, direkt am Lake Michigan gelegen, und mancher war längst vom Alkohol so beschwipst wie Dustin Johnson, der überragende Teilnehmer dieses 43. Ryder-Cup-Duells. Fünf Mal trat der Weltranglisten-Zweite an, fünfmal siegte er. Die Flasche Champagner durfte er zu Recht länger als die anderen in Beschlag nehmen. Aber die erstaunlichste Reaktion zeigten zwei, die sich nach bisheriger Lesart nicht ausstehen konnten: Bryson DeChambeau und Brooks Koepka, zwei Kraftmenschen und Alpha-Jungs, die sich seit Monaten attackierten - sie umarmten einander. Sie lachten. Sie klatschten sich ab, als seien sie BFF, best friends forever. Nein, es war offenbar nicht gespielt.

Rory McIlroy weint, antwortet und weint dann wieder

Dieser Ryder Cup, dieses seit 1927 bestehende Duell zwischen den zwei Kontinenten, machte also mal wieder aus gestandenen Athleten, Millionären sowieso, kleine Jungs, die übermütig, überdreht, ausgelassen auf die Geschehnisse reagierten. Und die ganz großen Gefühle wurde stimuliert. "Er ist das Beste im Golf" - dieses Bekenntnis zu diesem Wettbewerb, stets im Lochwettspiel-Format gespielt, legte ausgerechnet der Nordire Rory McIlroy, 32, ab, also einer aus dem Verliererteam Europas. Wenn selbst Unterlegene von dieser Veranstaltung schwärmen, sagt das viel aus. Aber auch sein eigener Zusammenbruch offenbarte, unter welchem Druck auch alle sich jedes Mal wieder befinden. Weil der Ryder Cup eine dermaßen große Bedeutung in der Golfwelt besitzt.

Minutenlang hatte McIlroy geweint, Interviews abgebrochen, wieder fortgesetzt, ehe er wieder heulte. McIlroy entschuldigte sich bei seinen Kollegen, dass er sie im Stich gelassen habe, an den ersten beiden Tagen, als er keinen einzigen Punkt beisteuern konnte. Am Sonntag, als nach jeweils acht gespielten Vierer- und Vierball-Matches dann die zwölf Einzel-Duelle anstanden, siegte er immerhin, gegen Schauffele. Aber was änderte es? Nichts. Der Punkt zögerte nur die Gesamt-Niederlage Europas kurz hinaus.

2023 in Rom, machte McIlroy noch klar, wolle er unbedingt dabei sein, und was so selbstbewusst klingen sollte, hörte sich doch eher unsicher und flehend an. McIlroy ahnte sicher bereits, dass diese Niederlage seiner Mannschaft auch dem Ende einer Epoche gleichkam. Celtic Manor (2010), Medinah (2012), Gleneagles (2014), Paris (2018), an diesen Orten des europäischen Triumphes hatte er mitgewirkt. Aber jetzt waren sie weit, weit weg. Hier war Whistling Straits. Und es war Stricker, der bedächtige, freundliche Kapitän, der es auf den Punkt brachte, als er über die junge US-Auswahl meinte: "Dies ist eine neue Ära. Diese Jungs sind jung. Sie wollen es. Sie sind motiviert. Sie kamen hierher, um zu siegen. Ich konnte es in ihren Augen sehen." In Whistling Straits wurde die Macht übergeben. Die USA sind nun am Hebel.

Die Fakten stehen für sich. Dustin Johnson, der Kauz, der so wenig von sich aus spricht, dass ihn seine Kollegen gerne aufziehen für seine Schlichtheit bei Antworten, ist derzeit der Älteste im Team - mit 36. Ansonsten sieht es so aus: Jordan Spieth ist 28, Scottie Scheffler 25, Schauffele 27, Koepka 31, DeChambeau 28. Alle haben noch Jahre des Zenits vor sich. Collin Morikawa, der den entscheidenden halben Punkt zum uneinholbaren 14,5-Gesamtzwischenstand holte im Duell mit dem Norweger Viktor Hovland, ist erst 24. "Es war nicht nur ein Sieg. Es war ein dominanter Sieg", sagte Morikawa, der bereits zwei Major-Titel sein Eigen nennen darf und eine der großen Figuren der kommenden Golf-Jahre werden dürfte.

Während die Amerikaner also, die sich in den vergangenen zwölf Duellen nur dreimal durchsetzten, nun selbstbewusst der Zukunft entgegensehen, herrscht im Team Europe eher Blues-Stimmung. Noch am Abend in Wisconsin sinnierte mancher über die Endlichkeit seines Schaffens.

Etwa Lee Westwood, 48, der sein sage und schreibe 47. Ryder-Match am Sonntag bestritt (er kämpfte im Einzel Harris English mit einer großen Aufholjagd nieder), 1997 debütierte er, da wurde Hovland gerade erst geboren: "Ich liebe es zu sehr, um aufzuhören", sagte er auf die Frage, wie lange er noch auf dem Niveau golfen wolle, doch er gab zu, er wisse auch nicht, wie lange er noch die Disziplin aufbringe, jeden Tag in den Fitnessraum zu gehen, sich zu schinden, zu trainieren. Da schwangen Fragezeichen mit. Schon wird er als baldiger Kapitän gehandelt, aber dazu fühle er sich noch nicht bereit. Auch Ian Poulter grübelte, ob das womöglich seine letzte aktive Teilnahme war. Der Engländer, der im Ryder Cup oft als energetische Dampfwalze unterwegs war, wirkte diesmal schlicht wie ein 45-jähriger Vater von vier Kindern, der er ja ist. Zum Ü40-Klub zählen überdies: Paul Casey, 44, und Sergio Garcia, 41. In der absoluten Weltspitze hält gerade etwas einsam der Spanier Jon Rahm die Stellung, immerhin als Weltranglisten-Erster. Um ihn herum muss nun ein neues Team entstehen. Die Wahrheit ist: Europa bräuchte mehr Hovlands; der 24-Jährige schlug sich prächtig.

Momentan aber, das blieb als Erkenntnis, ist im US-Team "ein phänomenales Talent" vorhanden, wie McIlroy einräumte. Jung seien sie, und, das Wichtigste: "Sie nehmen den Ryder Cup voll an", betonte McIlroy, "ich glaube, in vorherigen Generationen fehlte das vielleicht." Die Neu-Entdeckung des Mannschaftsgeistes hätte am Ende fast sogar zu einer spektakulären Konstellation in einem der Vierer-/Vierball-Formate geführt. "Brooks und Bryson wollten zusammen spielen", verriet Stricker, "das zeigt, wie sehr diese Mannschaft zueinander fand."

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