Wahrscheinlich hat Gianni Infantino wirklich mal gedacht, er bewege sich mit Wladimir Putin auf Augenhöhe. So zwischen Präsident und Präsident. Gut, es ist keine nukleare Streitmacht, die Infantino befehligt, aber immerhin das stolze Universum des Fußballs! "Zusammen werden wir der Welt zeigen, wozu wir fähig sind", rief der Fifa-Präsident dem russischen Präsidenten vor der Fußball-WM 2018 tatsächlich zu. Und nach den vier WM-Wochen war sich Infantino nicht zu blöd für das Geständnis, er habe sich in Russland "wie ein Kind im Bonbongeschäft gefühlt". Als könne so ein lauschiger Stadionsommer alles andere aufwiegen - die Annexion der Krim, das Vergiften von Regimegegnern, Cyber-Angriffe auf den freien Westen. Sozusagen im Namen der Menschheit zog Infantino damals das Fazit: "Wir alle haben uns in Russland verliebt!"
Wieso kommt einem das so bekannt vor, dieses servile Heranschmeißen an einen Despoten? Frag nach bei Thomas Bach, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, der die Winterspiele in Peking gerade in schweigsamer Komplizenschaft mit Chinas Unrechtsapparat durchgezogen hat. Ohne ein kritisches Wort zu in Lagern gehaltenen Uiguren, dafür mit einem schönen Bankett bei Staatschef Xi Jinping. Legendär auch die Bilder, wie sich Bach während der Sotschi-Spiele 2014 mit Putin im Straßencafé zuprostete, während Letzterer schon die Truppen Richtung Krim in Bewegung setzte.
Und nun? Zeigt sich mal wieder, wie sehr Putin sich auf seine Sportfürsten verlassen kann. Dass im Lichte eines Angriffskriegs nicht mal mehr das IOC und die Fifa drum herumkommen, Russland als Verantwortlichen zu benennen - geschenkt. Aber wirkliche Konsequenzen? Bach verurteilte den Bruch des "Olympischen Friedens", die Fifa will die Situation "beobachten".
Immerhin: Es werden unter dem großen Druck der Öffentlichkeit jetzt die ersten Großveranstaltungen entzogen. Die Uefa hat das Finale ihrer Champions League von Sankt Petersburg nach Paris verlegt, die Formel 1 das Rennen in Sotschi abgesagt, andere dürften folgen; das IOC versandte einen entsprechenden Appell, dass es keine Events in Russland geben soll. Aber diese Schritte sind sozusagen das Mindeste.
Nun haben auch die Politiker in Washington und Brüssel ein paar Tage gebraucht, um ihre Sanktionen zu beschließen - und über Details streiten sie immer noch. Da darf man vielleicht auch dem Sport zugestehen, dass er zunächst einmal seine Gremien einberuft und seine Juristen konsultiert. Aber danach wären weiterführende Maßnahmen angezeigt: Es müssten nicht nur Sportveranstaltungen in Russland storniert werden. Russlands Paralympics-Team gehört ausgeschlossen, und dass Russlands Nationalelf weiter um die Teilnahme an der Fußball-WM in Katar spielt, ist ebenfalls unvorstellbar.
Der Sport ist eine Nebenbühne, in diesen Tagen erst recht - aber keine ganz irrelevante
Es ist nur eher unwahrscheinlich, dass es dazu kommt, und Putin dürfte das nicht überraschen. Er hat ja selbst die Basis dafür gelegt. Getreu dem Motto "Sport ist Teil unserer Außenpolitik" hat Russland jahrelang seine Machtposition in den Verbänden ausgebaut - und über Großsponsoring Abhängigkeiten geschaffen. Manche Weltverbände sind ganz in russischer Hand wie das Schießen oder das Fechten. Anderswo sitzen Putin-Vertraute in wichtigen Führungsämtern, etwa der Gazprom-Manager Alexander Djukow in der Uefa.
Der Sport ist nur eine Nebenbühne, in diesen Tagen erst recht - aber keine ganz irrelevante, wenn man bedenkt, dass Wladimir Putin seine neue Ukraine-Politik im Staats-TV direkt nach dem nationalen Abfeiern der russischen Olympiaathleten verkündete. Man muss leider befürchten, dass der Sport Putin seine Bühnen weiter zur Verfügung stellt. Wer im Bonbongeschäft sitzt, will halt nicht mit den Lollis werfen.