Süddeutsche Zeitung

Sport und Krieg:Worte der Komplizenschaft

Der organisierte Sport führte zuletzt bisweilen einen schlimmen Synchrontanz auf bei dem Versuch, Russlands Krieg bloß nicht als Russlands Krieg zu bezeichnen. Der Filz auf den Fluren der Funktionäre ist weiter stark.

Kommentar von Johannes Knuth

"Wer die Dinge benennt", hat der Politologe Martin Greiffenhagen einmal gesagt, "der beherrscht sie." Wer redet, der handelt also auch immer. Er kann, indem er Handelnde zum Beispiel nicht erwähnt, diese verschwinden lassen, als gäbe es sie und ihre Taten nicht. Das jüngste, schauerliche Beispiel war der Versuch des Kriegstreibers Wladimir Putin, den Angriffskrieg gegen die Ukraine als "Sonderoperation" zu verkleiden. Das mag in Russland vielerorts sogar auf fruchtbaren Boden knallen, aber damit musste man, so grausam das ist, wohl rechnen.

Nicht viel weniger erschreckend war, wie weit sich das gleiche Gift zuletzt auf den Fluren des organisierten Sports ausbreitete. Und dort eine erschreckende Komplizenschaft freilegte.

Für neue Höchst- bzw. Tiefstände sorgte der Volleyball-Weltverband (FIVB). Er erklärte, dass man weiter fleißig die Weltmeisterschaft der Männer in Russland vorbereite, die dort im kommenden Herbst stattfinden sollte. Das alles am Tag nach der russischen Invasion! Am vergangenen Dienstag, knapp eine Woche nach Kriegsbeginn, entzog der Verband dem Land dann doch das Turnier; er sprach nun auch von einer "militärischen Invasion". Das passte nun zum formidablen Eiertanz, den einige Verbände bis dahin in einer Art Synchronwettkampf aufführten: den Krieg bloß nicht als Krieg bezeichnen, sich in die Rolle des Beobachters flüchten.

Das Paralympische Komitee setzte die vorläufige Pointe - ausgerechnet

Der Judo-Weltverband - gelenkt von Putins langjährigem Protegé Marius Vizer, alimentiert vom Oligarchen Arkady Rotenberg - sprach zunächst bloß von einem "Konflikt". Der Internationale Box-Verband - und sein russischer Präsident Umar Kremlew - rührten sich erst gar nicht; am vergangenen Dienstag setzten sie ein paar dürre Zeilen über die "Situation" in der Ukraine ab. Die internationale Eisschnelllauf-Union - mit ihrem russischen Vizepräsidenten Alexander Lakernik - sprach von "Entwicklungen" in der "Ukraine-Krise", als habe das mit Russland nichts zu tun.

Die traurige, vorläufige Pointe setzte dann das Internationale Paralympische Komitee, ausgerechnet: Der Weltverband, der durch den Para-Sport eine inklusivere Welt schaffen will (Quelle: IPC), sprach zunächst bloß von einer "groben Verletzung" des "olympischen Waffenstillstands" - und befand, man müsse Athleten aus kriegstreibenden Nationen bei friedlichen Wettstreiten mitmachen lassen. Das führte immerhin zu einer erfolgreichen Revolte - innerhalb der paralympischen Bewegung. IPC-Präsident Andrew Parsons setzte am Freitag, bei der Eröffnungsfeier der Paralympics, auch eine laute Friedensbotschaft ab. Doch er schaffte es selbst da noch nicht, direkt an die Kriegstreiber zu appellieren. Geschweige denn sie beim Namen zu nennen.

Der russische Einfluss ist noch immer immens

Für die Ukrainer muss das fast so schmerzvoll sein wie all die physische Gewalt: wenn der Sport, der selbsternannte Friedensstifter, mit Herrschaftssprache spricht. Der Handelnde und ihr Handeln also mit Worten verschwinden lässt, der damit auch verhüllt, was ihn mit den Kriegstreibern verbindet. Es war ja der Sport, der vor allem Putin in den vergangenen Jahren viele Bühnen bot, bei Olympia und Fußball-Weltmeisterschaften, der sich für russischen Einfluss und Geld öffnete, viel Geld. Zwar mag die Ära der russischen Dominanz im Weltsport verblassen (in die Lücke rücken längst andere, von China bis Katar). Aber der Filz ist noch immer immens - wie auch, davon darf man ausgehen, das Wissen auf russischer Seite, was in den Hinterzimmern der Funktionäre vor sich ging.

Es wäre unfair, den Sport auf das Lavieren mancher Oberen zu reduzieren. Aber nur wenige benannten die Dinge zuletzt so klar, wie es die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock tat: "Wer neutral bleibt", sagte sie in ihrer Rede vor den Vereinten Nationen, "ist auf der Seite des Unterdrückers."

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