Süddeutsche Zeitung

Russland:Kritik an Putin

Russlands Anti-Doping-Chef Jurij Ganus beklagt mangelnde Unterstützung des Staatspräsidenten bei der Aufklärung des russischen Dopingskandals.

Jurij Ganus, der Chef von Russlands Anti-Doping-Agentur Rusada, hat den Staatspräsidenten Wladimir Putin wegen dessen Haltung in der Aufklärung des russischen Dopingskandals kritisiert. "Es ist sehr schade, dass unsere höchste Ebene der Macht ihre Aufmerksamkeit nicht auf die gegenwärtige Situation mit Doping in Russland richtet", sagte Ganus im Interview mit dem Deutschlandfunk. Zugleich bestritt Ganus, dass Putin wusste, dass der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) aus Moskau manipulierte Daten übergeben werden sollten. Putin sei nicht involviert gewesen, weil es keine Priorität für ihn gehabt habe, erklärte er. Es ist allerdings die Frage, wie glaubwürdig diese Aussage ist.

Anfang des Jahres waren der Wada von der russischen Seite mit Verzögerung Daten aus dem Moskauer Labor übergeben worden, die das Ausmaß des staatlich orchestrierten Dopingprogramms im Zeitraum von 2012 bis 2015 belegen sollen. Die Agentur bestreitet jedoch die Echtheit dieser Daten. Konkret sollen nach Angaben des Vorsitzenden des zuständigen Wada-Gremiums, Jonathan Taylor, positive Dopingtests gelöscht worden sein. "Als ich die Dokumente erhalten habe, war ich schockiert", sagte auch Rusada-Chef Ganus: "Denn die Anzahl und der Umfang dieser Änderungen sind unglaublich." Wer genau die Daten verändert habe, wisse Ganus jedoch nicht. "Diese Person besitzt eine wirklich hohe Machtposition", sagte er.

Die Übergabe der Daten aus dem Labor-Informations- und Management-System (Lims) des Moskauer Labors war eine Voraussetzung für die Wiederaufnahme der Rusada in die Wada. Angesichts der neuen Enthüllungen geht Ganus davon aus, dass Russland im kommenden Sommer nicht an den Sommerspielen in Tokio teilnehmen darf. Schon bei den Winterspielen 2018 war Russland ausgeschlossen worden; russische Sportler durften als sogenannte "unabhängige Athleten" antreten. "Die Krise wird noch einige Jahre dauern", sagte Ganus und forderte: "Wir müssen die Entscheidungsträger und Methoden extrem verändern, die unseren Sport in die tiefste Krise seiner Geschichte geführt haben."

Ganus ist seit 2017 Rusada-Chef. Seitdem ist er nach eigenen Angaben bemüht, das verkrustete System aufzubrechen. Zumindest fällt er schon seit geraumer Zeit in offenen Briefen und Interviews mit kritischen Beiträgen auf, die sich von den üblichen Statements aus der russischen Sportpolitik erkennbar unterscheiden. Zu seinen Gegenspielern zählt insbesondere der Sportminister Pawel Kolobkow.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4646428
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.10.2019 / SID, SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.