Fußball in Russland:Fiasko mit 16-Jährigen gegen Profis

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Teenager gegen Männer: Rostow trat gegen Sotschi mit Jugendspielern an. (Foto: AP)

In der russischen Liga kommt es wegen der Corona-Quarantäne des Teams aus Rostow zu einer Farce beim Re-Start: Der Klub muss mit Jugendspielern antreten - und verliert 1:10.

Von Freddie Röckenhaus

Denis Popow, 17 Jahre jung und Torwart, wird in seiner Fußballer-Laufbahn hoffentlich noch so manches erleben. Aber seine Premiere als Profi wird auf lange Zeit schwer zu toppen sein. Am Freitagabend, zum Wiederbeginn der russischen Fußball-Liga, musste Popow den Ball zehnmal aus dem eigenen Netz holen; 1:10 ging er mit seiner Mannschaft unter. Nach dem Abpfiff wurde er trotzdem zum "Man of the match", zum Spieler des Tages, gekürt. Im Tor des FK Rostow, das beim FC Sotschi unterging, hatte Popow 15 Schüsse abgewehrt und einen Elfmeter gehalten. Ein neuer Rekord in der russischen Liga, die sich Premier League nennt, wie die berühmte Spielklasse in England.

Der Hintergrund von Popows aufregendem Abend ist eher skandalös. Sein Klub FK Rostow am Don, aktuell Tabellenvierter und Champions-League-Aspirant, hatte fünf Tage vor dem geplanten Wiederbeginn der Liga sechs positive Corona-Fälle im Team gemeldet. Spieler und Betreuer, insgesamt 42 Personen, mussten in Quarantäne. Rostow bat um Verlegung des Spiels, der russische Verband wollte zustimmen, aber Gegner FC Sotschi, seinerseits stark abstiegsbedroht, lehnte ab.

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Rostow war deshalb gezwungen, anzutreten - und konnte mangels erwachsener Spieler nur Junioren aufbieten: die beiden jüngsten waren 16, der älteste 19. Torwart Popow mittendrin. Keiner im Team hatte vorher je ein Erstligaspiel bestritten. Außerdem hatten die Junioren während der dreimonatigen Corona-Pause kein einziges Training absolviert; in Russland gelten ähnliche Restriktionen für Amateurspieler wie in Deutschland. "Wir waren unserem Gegner heute nur körperlich unterlegen", fasste Roman Romanow, 17, zusammen, der einzige Torschütze für Rostow.

Rostows Heranwachsenden gelang dieser eine Treffer in der ersten Minute, danach ging's bergab: 42 zu zwei Torschüsse für Sotschi, und am Ende ein Torwart als Held des Abends, der zehn Gegentore kassiert hatte. Für Russlands Liga ein Fiasko, das am Sonntag seine Fortsetzung fand. Auch Dinamo Moskau, das Team der drei deutschen Spieler Roman Neustädter, Konstantin Rausch und Maximilian Philipp, meldete kurz vor der Fortsetzung der Liga sechs Corona-Fälle. Im Gegensatz zur Farce von Sotschi aber stimmte Dinamos Gegner FK Krasnodar, Tabellendritter und damit Champions-League-Konkurrent von Rostow, "aus Gründen des Fairplay" der Verlegung des Spiels auf Mitte Juli zu.

Eigentlich hatte sich die Liga viel vorgenommen. Nach dem Vorbild der deutschen Bundesliga und deren Dachorganisation DFL wurde ein Konzept zum Neuanfang erarbeitet. In einem Punkt ist dieses allerdings noch erheblich ambitionierter als jene in Deutschland oder auch der Ligen von England, Spanien und Italien. Russland erlaubt den Klubs sogar, zehn Prozent der Zuschauer-Kapazitäten in den Stadien zu vergeben. Obendrein wurde vergangene Woche beschlossen, dass auch die "Sky Boxen", also teure Logen für wohlhabendere Fans, geöffnet werden dürfen.

Ein Schritt, den auch die deutschen Klubs, allen voran der FC Bayern mit seinen über 100 VIP-Logen, mit großem Interesse verfolgen. Alexander Medwedew, der Präsident des Meisters und einsamen Tabellenführers Zenit St. Petersburg, glaubte vergangene Woche noch: "Wir beginnen mit zehn Prozent der Tickets, aber wir sind ganz zuversichtlich, dass wir nach zwei Runden auf zwanzig Prozent erhöhen können." Zenit gewann sein eigenes erstes Spiel bei ZSKA Moskau souverän, 4:0.

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Was die Zuschauer angeht, gab es vorerst auch noch keine schlechten Nachrichten am ersten Spieltag nach der Pause. Abstandsregeln wurden weitgehend beachtet und durchgesetzt. Ob die Ansammlungen Covid-19-Ansteckungen nach sich ziehen, wird man erst nach der Inkubationszeit von circa zehn Tagen beurteilen können. In St. Petersburg darf Zenit 6000 Zuschauer und 1000 Logen-Besucher einlassen.

Da gleich zwei Teams zum Neustart an Corona-Fällen im Team strauchelten, dürfte es nun aber viel Wirbel geben. Russland erlebte zuletzt einen fast dreimonatigen Lockdown des Landes, mit wesentlich strengeren Ausgangsbestimmungen als in Deutschland. In den beiden Megastädten Moskau und St. Petersburg sinken die Corona-Fallzahlen inzwischen deutlich.

Trotzdem meldet das Land weiterhin Tag für Tag um die 8000 neue Infektionen, fast 600 000 bislang insgesamt, mehr als jedes andere Land in Europa, und offiziell über 8200 Corona-Todesopfer. Trotz dieser Zahlen hatte sich die Liga, wenige Tage nach der Aufhebung der allgemeinen Restriktionen, zu einem schnellen Neustart entschlossen. Besondere Quarantäne-Vorschriften für die Profis gab es nicht, alle Spieler blieben bei ihren Familien. Möglicherweise wird die Liga in diesem Punkt nun nachbessern müssen.

Ähnlich wie in anderen Ländern wollte man auch Russland mit dem Neubeginn des Profifußballs ein gesellschaftliches Zeichen setzen. Zenit-Chef Medwedew, langjähriger Topmanager des Sponsors Gazprom, sagte unumwunden: "Fußball ist wichtig in Russland. Wenn wir wieder spielen, hat das eine Signalwirkung für das ganze Land. Das ist ein Stück Rückkehr in die Normalität." Auch in der Bundesliga wurde dieses Argument gespielt, auch in Deutschland ermöglichten enge Drähte zwischen Fußball und Politik die Genehmigung. Und auch die deutsche Liga möchte so schnell wie möglich wieder Zuschauer in die Stadien lassen. Nicht zuletzt aus finanziellen Gründen.

Anders als in Deutschland ist die russische Premier League allerdings kaum von Fernsehgeldern abhängig. Für die ganze Saison sollen die Klubs zusammen nur etwa 40 Millionen Euro kassieren. Für die Bundesliga ging es in der Geisterspiel-Debatte jüngst um rund 350 Millionen Euro, allein für die zuletzt noch ausstehenden neun Spieltage.

Man wolle in Russland "sportlich die Saison zu Ende bringen", sagt Zenits Medwedew. Der Plan umfasst auch, dass die laufende Saison bis zum letzten Juli-Wochenende andauert, und dann schon eine Woche später die Saison 2020/21 beginnt. Ein Novum. Den Russen ist es wichtig, international, vor allem in Europas Fußball-Verband (Uefa), eine gute Figur abzugeben.

Es machen allerdings nicht alle mit. Benedikt Höwedes, 32, deutscher Weltmeister von 2014 in Brasilien, hat gerade seinen Vertrag beim Tabellenzweiten Lokomotive Moskau aufgelöst. Höwedes hatte sich schon früher kritisch über die Lage geäußert. Bei Lok gab es bereits im März Corona-Fälle im Team und Einzel-Quarantäne für Spieler, während der Spielbetrieb zunächst noch mit vollen Stadien weiterlief, bis dann Präsident Wladimir Putin die Nation in einen strengen Lockdown schickte. Auch Weltmeister André Schürrle hat sich bei Spartak Moskau abgesetzt. Er war zuletzt verletzt und ist von Borussia Dortmund an Spartak nur ausgeliehen, wo ihn bis zuletzt Domenico Tedesco betreute - bis zur Vorsaison Coach bei Schalke 04.

Wie es für Rostow und Dinamo Moskau weitergeht, ist offen. Rostow hat bereits erklärt, über künftige Spielverlegungen nicht mehr zu verhandeln, sondern die Verantwortung allein dem Verband überlassen zu wollen. Dinamo ist ein prestige- und einflussreicher Hauptstadtklub, der Mittel finden wird, sich gegen Spiele wie das 1:10 von Rostow in Sotschi zu wehren. Man darf davon ausgehen, dass die Frage in Russland politisch genug ist, um sie nicht dem Verband, den Vereinschefs und den Sponsoren allein zu überlassen.

© SZ vom 23.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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