Russland - England:Mit Hilfe der Halme

England muss gegen Russland in Moskau auf Kunstrasen antreten. Der ungewohnte Untergrund könnte den Heimvorteil der Russen deutlich verstärken.

Johannes Aumüller

Wenn die Verantwortlichen von Tennis-Davis-Cup-Teams über den Austragungsort ihrer Heimpartien nachdenken, spielt der Bodenbelag eine entscheidende Rolle. Was liegt meinen Spielern eher, mit welchem Belag kommt die gegnerische Nummer eins nicht zurecht? Im Tennis ist solch ein Denken ein legitimes taktisches Mittel.

Im Fußball spielt das noch keine Rolle. Noch nicht. Denn ausgerechnet das für die EM-Qualifikation fast schon entscheidende Spiel der Gruppe E zwischen Russland und England (Mittwoch, 17 Uhr, Luschniki-Stadion Moskau) wird als die erste Pflichtpartie zweier europäischer A-Nationalmannschaften auf einem Kunstrasenplatz in die Fußball-Historie eingehen. Ein Schelm, wer dabei denkt, dass die russische Seite mit dieser Entscheidung nicht nur auf die Unterstützung einer stimmgewaltigen Kulisse (78.000 Plätze), sondern auch auf die Unterstützung des für die Engländer ungewohnten Untergrundes hofft.

Die WM 2010 soll der große Durchbruch des Kunstrasens werden

Für die Kunstrasen-Befürworter in den Reihen der Uefa und der Fifa ist dieses Spiel nur ein logischer Schritt. Internationale Jugend-Turniere auf Kunstrasen hat es schon gegeben, seit dem Jahr 2004 dürfen alle Pflichtspiele auf dem Plastikuntergrund ausgetragen werden, im vergangenen Jahr war das auch schon in der Champions League der Fall - und die WM 2010 soll ohnehin der große Durchbruch des Kunstrasens werden.

Doch die meisten Akteure schließen sich den Lobeshymnen der Funktionäre nicht an. Fußball auf Kunstrasen ist für sie etwas anderes als Fußball auf Naturrasen: Der Ball rolle schneller, springe anders ab, müsse mehr in den Fuß als in den Raum gespielt werden, verändere also unter Umständen die gesamte Spielanlage einer Mannschaft. Das sagen sowohl Spieler, die wie die Bayern in der vergangenen Champions-League-Saison nur einmal darauf spielten, als auch Akteure, die wie Spartak Moskaus ehemaliger Bundesligaprofi Martin Stranzl jedes zweite Wochenende darauf kicken.

Offiziell spielt der Kunstrasen für die Entscheidung der russischen Seite natürlich keine Rolle. Aber immerhin vier Spartak-Akteure kennen den Untergrund bestens. Die anderen erleben ihn das ein oder andere Mal im Verlauf einer Saison und absolvieren zudem seit gut einer Woche jeden Tag dort ihre Übungseinheiten. "Die Engländer können doch auch auf Kunstrasen trainieren", entgegnet Russlands Trainer Guus Hiddink. Stimmt, immerhin eine Einheit konnten sie am Dienstag im Luschniki einlegen. Dieser Unterschied mache zumindest einen "psychologischen Vorteil" aus, schätzt Spartak-Trainer Stanislaw Tschertschessow aus eigener Erfahrung.

Offensichtlich wird der Wunsch nach einem Kunstrasen-Spiel auch an einer anderen Stelle. Als der Gedanke aufkam, man könne doch für ein Spiel den Kunst- gegen einen Naturrasenplatz auswechseln, erklärte die Stadionverwaltung, das sei in der kurzen Zeit nicht möglich. Interessanterweise aber tritt im Mai des kommenden Jahres genau dieser Fall ein, wenn Moskau das Finale der Champions League austrägt. Dann kommt der Kunstrasen rund vier Wochen vorher raus und ein Naturrasen rein. Das in diesem Zeitraum anstehende Heimspiel von Spartak muss eben in einem anderen Stadion stattfinden.

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