Russische Sportler:Zwischen Wunsch und Willkür

Russische Sportler: Bei den Spielen in Peking hütete Iwan Fedotow noch das Tor der russischen Auswahl - jetzt hat ihn das Militär eingezogen.

Bei den Spielen in Peking hütete Iwan Fedotow noch das Tor der russischen Auswahl - jetzt hat ihn das Militär eingezogen.

(Foto: Alexey Filippov /SNA/Imago)

Der Fall des verschleppten russischen Eishockey-Torhüters Iwan Fedotow zeigt, wie wichtig es ist, dass der Sport politisch Stellung bezieht.

Kommentar von Johannes Schnitzler

Der Dienstag war ein Feiertag im Hause Grier. Mit 47 wurde Mike Grier zum General Manager der San Jose Sharks ernannt. Als erster Schwarzer ist er nun der Boss in einem Klub der nordamerikanischen Eishockeyliga NHL. Lange hat es gedauert: Seit 105 Jahren gibt es die NHL, aber noch immer gilt Eishockey als "weißer" Sport, mehr als 90 Prozent der Profis sind hellhäutig. Fun fact: Griers Bruder Chris, 52, ist seit Januar General Manager der Miami Dolphins in der deutlich ausgeglichener besetzten Footballliga NFL.

Sollte es im Grunde nicht längst normal sein, dass auch im Sport unabhängig von Hautfarbe, sexueller Orientierung und Religion jeder und jede... Sollte es. Ist es aber nicht.

So gerne der Sport unpolitisch wäre - er ist es nicht. Der Hinweis auf Menschenrechtsverletzungen im WM-Gastgeberland Katar ist ein Muss - nicht nur, aber umso mehr - für den geschäftlich mit dem Emirat verbandelten FC Bayern, die mit saudischen Milliarden aus dubiosen Quellen vollgepumpte Golf-Turnierserie LIV ist ein globales Politikum. Und das ist richtig so. Weil der Sport jenseits von Schwarz und Weiß sehr anschaulich plakatiert, wie hart wünschenswerte Normalität und schockierende Willkür kontrastieren. Das beste schlechte Beispiel liefert gerade wieder einmal die Kriegspartei Russland.

Nach der Inhaftierung der amerikanischen Basketballspielerin Brittney Griner wegen angeblichen Drogenbesitzes, die sogar das Weiße Haus beschäftigt, verstört die Verschleppung des russischen Eishockey-Nationaltorhüters Iwan Fedotow. Der 25-Jährige, der das Team der russischen Athleten im Februar zu Olympia-Silber führte, wollte nach dem Ablauf seines Vertrags mit dem Armeesportklub ZSKA Moskau in die NHL wechseln.

Weil er aber seinen Wehrdienst noch nicht abgeleistet hat, wurde Fedotow am vergangenen Freitag nach dem Training von Unbekannten abgepasst, in einen Transporter gesteckt und quasi durch die Schiebetür zwangsrekrutiert. Laut Fedotow befindet er sich im nordrussischen Seweromorsk in der Nähe von Murmansk, statt in Philadelphia, der Stadt der Freundschaft, auf einem Marinestützpunkt nördlich des Polarkreises. Es klingt wie ein Agententhriller aus der Zeit des Kalten Krieges.

"Viele von uns sind besorgt", sagte Todd MacLellan, General Manager des NHL-Klubs Washington Capitals. In der NHL sind mehr als 40 russische Profis unter Vertrag. An diesem Donnerstag und Freitag könnten weitere folgen, wenn die NHL-Klubs in der Draft die besten Talente weltweit auswählen.

Umso interessanter ist es, was der russische NHL-Star Alexander Owetschkin, Profi in Washington und größte Sportikone seines Landes, zum Fall Fedotow sagt: nichts. "Nein, wieso", antwortete er am Rand eines Fußballspiels mit Dynamo Moskau auf die Frage, ob er sich zum Fall äußern wolle. Noch im März hatte Owetschkin sein Schweigen zum russischen Überfall auf die Ukraine damit erklärt, dass er Familie in Russland habe, es sei "schwierig". Während des fröhlichen Kicks wirkte er alles andere als besorgt. Zumal Owetschkin ein Freund von Staatspräsident Wladimir Putin ist.

Stimmt schon: Von Albert Einstein hat auch nie einer verlangt, dass er die Abseitsregel für Fußballlaien auslegt. Wie der Putin-Intimus Owetschkin den Tumben zu spielen, ist aber schäbig. Niemand hat einen "Free Fedotow"-Appell vor den Vereinten Nationen von ihm verlangt. Ein schlichtes kollegiales Bekenntnis zur Mitmenschlichkeit hätte fürs Erste völlig genügt.

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