Vier-Jahres-Sperre gegen Russland:Ein Urteil, das alle Klarheiten beseitigt

Vier-Jahres-Sperre gegen Russland: Das IOC verurteilt den russischen Angriff auf die Ukraine scharf.

Das IOC verurteilt den russischen Angriff auf die Ukraine scharf.

(Foto: Jean-Christophe Bott/dpa)
  • Nach dem Bannspruch gegen Russlands Sport sind noch viele Folgen ungewiss.
  • Welche russischen Athleten dürfen künftig starten, etwa bei den Olympischen Spielen 2020 und 2022? Und was passiert mit anderen Großevents?
  • Entscheidend ist zunächst, ob Moskau das Urteil akzeptiert.

Von Johannes Aumüller

Große Ungewissheit herrscht in diesen Tagen in der Welt der Rennrodler. Für Mitte Februar haben sie in Sotschi ihre nächste WM angesetzt. Es sind die nächsten Weltmeisterschaften eines olympischen Verbandes, die in Russland stattfinden sollen - wo nach dem Verdikt der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) aber nun Großveranstaltungen für vier Jahre untersagt sind. Aber das heißt nicht automatisch, dass die Rodel-WM nicht am Schwarzen Meer ausgetragen wird. "Das können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen", sagt Christoph Schweiger, Exekutivdirektor des Weltrodelverbandes (Fil). Es ist sogar wahrscheinlicher, dass die WM trotz des Bannes in Sotschi verbleibt.

Die Rennrodler sind mit ihrer Ungewissheit nicht alleine. Am Montag hatte die Wada-Exekutive mitgeteilt, dass Russland wegen der fortgesetzten Datenmanipulation im Staatsdoping-Skandal vier Jahre lang nicht an Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften teilnehmen und auch keine Weltmeisterschaften ausrichten darf. Allerdings dürfen russische Athleten unter bestimmten Voraussetzungen starten.

Klar ist, dass das Verdikt viel weniger streng ist, als es zunächst klingt, weil es viele Schlupflöcher bietet. Nicht so klar ist noch in vielen Fällen, was das nun konkret für die einzelnen Verbände und Athleten bedeutet. Abwarten, erst mal mit der Wada reden - so lauten gerade viele Antworten in den sportpolitischen Führungsetagen.

Es wird mindestens 42 Tage dauern, bis Klarheit herrscht

Die Ungewissheit liegt zunächst daran, dass das Wada-Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Die russische Seite kann den Fall vor den Internationalen Sportgerichtshof (Cas) zerren. Aber das Prozedere ist kompliziert. Gemäß den Regeln hat nach der Bekanntgabe des Bannes Russlands Anti-Doping-Agentur (Rusada) als erste Partei 21 Tage Zeit, Einspruch einzulegen. Falls sie darauf verzichtet, hätten alle vom Entscheid betroffenen Organisationen noch mal 21 Tage Zeit, das Urteil anzufechten - also etwa die internationalen Fachverbände oder Russlands Olympia-Komitee.

Es wird also mindestens 42 Tage dauern, bis Klarheit herrscht, ob der Entscheid gilt. Viele Vertreter von Anti-Doping-Organisationen appellieren nun an Russland, das jetzige Urteil anzuerkennen. Wahrscheinlicher ist aber, dass der Cas angerufen wird - dann kann sich das Verfahren lange hinziehen, womöglich sogar über die Sommerspiele in Tokio hinaus. Laut Rusada-Chef Jurij Ganus soll sich auf einer Aufsichtsratssitzung am 19. Dezember entscheiden, ob seine Organisation das Urteil akzeptiert. Staatspräsident Wladimir Putin selbst gab indes schon zu verstehen, man habe "alle Gründe, Einspruch einzulegen": Das Urteil sei "politisch motiviert".

Doch selbst für den Fall, dass der Cas außen vor bleibt und der Wada-Spruch gilt, offenbart er genügend Unklarheiten. Dabei ist ein wichtiger Punkt, dass sich der Entscheid wirklich nur auf Olympische Spiele und Weltmeisterschaften bezieht, und nicht auf andere Events wie Europameisterschaften oder Weltcups.

"Das ist komplett offen, wie die Wada das handhabt"

Selbst für bereits nach Russland vergebene Weltmeisterschaften lässt das Wada-Urteil eine Hintertür offen, dass diese doch dort stattfinden - wenn es nämlich "rechtlich oder praktisch unmöglich ist", Russland das Event zu entziehen und an ein anderes Land zu vergeben. Es wäre nicht überraschend, wenn sich etwa die Rennrodler auf diesen Punkt stützen. Eine WM-Verlegung sei "vom Praktikablen her eigentlich nicht so einfach darstellbar", sagt der Fil-Exekutivdirektor Schweiger. Ähnlich zurückhaltende Töne sind von den Vertretern im Eishockey zu vernehmen, wo der Weltverband die WM 2023 nach Sankt Petersburg vergeben hat.

Ebenfalls unklar ist die Frage, wie genau es mit den russischen Athleten bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften weitergeht (bei anderen Wettbewerben dürfen sie ja ohnehin ganz normal starten). Laut Wada müssen Interessenten nachweisen, "in keiner Weise" vom Manipulationssystem profitiert zu haben. Einen konkreten Mechanismus dafür gibt es noch nicht. Er werde von ihr "zu gegebener Zeit" entwickelt, teilte die Wada mit. Die für Mitte Januar in Lausanne geplanten Olympischen Jugendspiele nahm die Agentur davon schon aus - mit Verweis auf die knappe verbliebene Zeit. Zudem kann der Prüfmechanismus frühestens nach Ende der Einspruchsfristen beim Cas beginnen; in 42 Tagen also, kurz bevor in vielen Wintersportarten von Biathlon bis Rennrodeln Weltmeisterschaften stattfinden. "Das ist komplett offen, wie die Wada das handhabt", sagt der Funktionär Schweiger.

Schon vor den beiden jüngsten Olympischen Spielen gab es ähnliche Athletenprüfungen, die damals viel Chaos und Unverständnis produzierten. Vor Rio 2016 überließ das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Entscheidung, welche Athleten mitmachen dürfen, den jeweiligen Fachverbänden; nur die Gewichtheber und Leichtathleten reagierten ganz streng, insgesamt starteten 282 russische Athleten. Vor den Winterspielen 2018 in Pyeongchang wiederum bestimmte eine vom IOC benannte Gruppe zentral, wer teilnehmen durfte und wer aus Integritätsgründen ausgeschlossen wurde. Das führte dann dazu, dass das russische Kontingent 168 Starter umfasste. Und dass das IOC teilweise Sportler ausschloss, die von den jeweiligen Fachverbänden in den Weltcups ein Startrecht erhielten und deren Sperren der Sportgerichtshof später aufhob.

Nun findet das Verfahren formal unter Aufsicht der Wada statt. Aber es ist wahrscheinlich, dass sich auch diesmal noch einige bemerkenswerte Fälle entspinnen werden, wenn es um das konkrete Startrecht einzelner Athleten geht.

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