Thomas Bach gab sich recht zerknirscht, als er am Dienstagabend in Lausanne über die russische Staatsaffäre sprach. "Als Athlet", erklärte der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), "bedaure ich alle Athleten, die unter diesem Betrug gelitten haben!" Weshalb es neben den üblichen Medaillen-Zeremonien bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang eine große Plaketten-Umtauschaktion für alle Sportler geben wird, die in Sotschi 2014 um die Früchte ihres Trainingseifers gebracht wurden. Sie sind Opfer einer Dopingverschwörung, die der Doping-Sonderermittler Richard McLaren bereits im Sommer 2016 in den schlimmsten Farben ausmalte - und die das IOC am Dienstag so listig sanktionierte, dass die befürchtete große Kollision mit Russlands Regenten im Kreml wohl vermieden werden kann.
Das IOC hat es nicht riskiert, Russlands Olympia-Team auszuschließen. Wladimir Putins umstrittene Winter-Armada darf in Pyeongchang an den Start, unter neutraler Flagge und ohne Nationalhymne. Mag das Verdikt auf den ersten Blick schmerzhaft wirken, zeigt der zehn Punkte umfassende Sanktionskatalog des IOC in der Feinanalyse: Jede Menge weiche Bestimmungen, riesige Schlupflöcher - und gleich zwei Hinweise darauf, dass Russlands Team keineswegs als so neutral behandelt wird, wie es wirken soll.
Härter als die Sanktionen waren die Töne in Lausanne
So werden die Sportler in Kleidung mit der Beschriftung "Olympische Athleten aus Russland" antreten, wofür das Kürzel OAR stehen soll: Russland ist dabei. Sollte alles gut ablaufen, hat sich das IOC sogar schon vorbehalten, den russischen Olympiatross in seiner Originalerscheinung durch die Spielstätte marschieren zu lassen - und zwar "ab Beginn der olympischen Schlussfeier", so Punkt neun der Entscheidung des IOC-Exekutivkomitees. Dann könne der nun verhängte Bann gegen Russlands Olympiakomitee (ROC) "teilweise oder vollständig aufgehoben" werden. Und die russische Flagge munter im koreanischen Winterwind flattern.
Damit hat der Ringe-Clan die Tür weit aufgestoßen. Auch für die Athleten des Landes, die nun wieder in großer Zahl teilnehmen können. Sie müssen nur nachweisen, dass sie nicht Teil des Dopingsystems waren. Die letzte Entscheidung hierzu trifft ein Gremium um eine neue Behörde für Doping-Testverfahren namens ITA. Sie ist angeblich unabhängig, aber überwiegend mit olympischen Akteuren besetzt.
Viel klarer als die Sanktionen waren die Töne in Lausanne. Das IOC sah es als erwiesen an, dass Russland in Sotschi 2014 ein staatlich gelenktes Dopingsystem aufgesetzt hatte. Der frühere Schweizer Bundesrat Samuel Schmid hatte ermittelt, inwiefern russische Polizei und Geheimdienste beteiligt waren. Bach konstatierte "eine nie dagewesene Attacke" auf die Integrität Olympias - auf welche man "mit angemessenen Strafen reagiert" habe.
Das klang geradezu beschwörend. Den ganzen Sitzungstag hatte ja auch die Frage begleitet, wie Russland auf Sanktionen reagieren würde - zumal Putin für Mittwochmorgen eine Erklärung im Fernsehen angekündigt hat. Die staatlichen Sender erklärten gleich nach der IOC-Verkündigung über ihre Moskauer Fernsehholding WGTRK, dass sie die Winterspiele nicht übertragen wollen. Parallel dazu wusste die Agentur Tass Beunruhigendes zu vermelden: Russlands Olympia-Sportler sollen am 12. Dezember selbst entscheiden, ob sie nach Südkorea fahren oder nicht. Dies habe ROC-Präsident Alexander Schukow angekündigt - was bereits einen ersten Bruch der IOC-Entscheidung darstellte. Das ROC ist ja suspendiert, darf also in keiner Form auf die Spiele einwirken. Und suspendiert ist auch Schukow selbst, der über sein ROC-Amt ins IOC gelangt ist.
Die Olympier vermieden klare Schuldzuweisungen an die Kreml-Herren. Ihre Sanktionsliste sieht zwar Ausschlüsse, teils lebenslange Sperren für Funktionäre und Behördenvertreter vor, allerdings liest sich das Ganze so, als habe sich bei den sündigen Sotschi-Spielen das russische Sportministerium allein verselbstständigt. Immerhin nutzte das IOC die Gelegenheit, den Verbandsbrüdern im Fußball-Weltverband Fifa einen scharfen Torpedo ins Boot zu legen: Auf Lebzeiten gesperrt von allen olympischen Events wurde Witalij Mutko, seinerzeit russischer Sportminister, heute Vize-Premier - und Verbandspräsident sowie Organisationschef im Veranstalterland der Fußball-WM 2018. Das bringt die Fifa in die Bredouille, deren affärengestählter Boss Gianni Infantino freilich vor einigen Monaten vorausblickend die unbeugsamen Spitzen seines Ethikkomitees gegen umgänglichere Leute ausgetauscht hatte. Eben jenes Ethikkomitee, teilte die Fifa am Dienstag mit, sei nun für etwaige Sanktionen gegen Mutko zuständig.