Russland bei der Fußball-WM:Sie laufen und laufen und laufen

World Cup - Group A - Russia vs Egypt

Die Laufleistung der Sbornaja sucht bei der WM ihresgleichen.

(Foto: Michael Dalder/Reuters)
  • Die russische Mannschaft steht bei der WM im Achtelfinale und fällt in den bisherigen zwei Spielen mit einer hohen Laufleistung auf.
  • Der Verdacht besteht, dass die Fifa Dopingverdächtigungen vor dem Turnier nur halbherzig nachgegangen ist.
  • Hier geht es zu allen Ergebnissen und Tabellen der WM.

Von Johannes Aumüller, Samara, und Thomas Kistner

Stanislaw Tschertschessow hält inne. Er muss sich sortieren bei der heiklen Frage - es geht um die exorbitanten Leistungsdaten seiner Elf. Dann greift er zu einem Scherz. "Wenn Ihnen außer dem Laufen nichts auffiel, heißt das, dass wir in anderen Bereichen noch zulegen müssen", sagt der Trainer der russischen Auswahl.

Tschertschessow macht gern Witze, zumal in diesen Tagen, in denen es sportlich erstaunlich gut läuft für seine Sbornaja. In Samara, Raumfahrt- und Bier-Kapitale des Landes mit dem wohl schönsten Wolga-Strand, steigt am Montag (16 Uhr im SZ-Liveticker) das dritte Gruppenspiel des Gastgebers. Der ist bereits fürs Achtelfinale qualifiziert, gegen Uruguay geht es um den Gruppensieg. Neben allgemeinen Fragen zur Befindlichkeit müssen Tschertschessow und die Sbornaja auch ein paar andere Themen erdulden. Solche, die höchst unangenehm sind.

Das liegt auch an den außergewöhnlichen Leistungen, die die Sbornaja in den zwei Partien zeigte. Erstaunlich war nicht nur, dass just dem Gastgeber eine angenehm leichte Gruppe zugelost worden war, sondern auch, dass sich die Gegner aus Saudi-Arabien (5:0) und Ägypten (3:1) gegen Russland so kraftlos präsentierten; deutlich schwächer als in ihren Spielen gegen Uruguay (jeweils 1:0). Die Russen wiederum fielen gegen die abwehrschwachen Teams nicht nur mit der bisher deutlich höchsten Effizienz aller Teilnehmer auf: Acht Treffer aus 26 Torschüssen ergibt eine Quote von 3,25; die DFB-Elf kam auf zwei Tore bei 43 Schüssen (21,5). Erstaunlich sind auch die furchteinflößenden Laufleistungen. Gegen die Saudis liefen die Russen 118 Kilometer, 15 mehr als der Gegner. Gegen Ägypten schafften sie 115, noch 5,5 mehr als die Widersacher. Niemand im Turnier rannte bislang nur annähernd so viel.

"Zwangsläufig hängt eine dunkle Wolke über solchen russischen Leistungen"

Interessant ist auch die Einzelwertung: Die Top Ten des ersten Spieltages führten in Golowin, Samedow and Gasinskij gleich drei laufstarke Russen an, auch Sobnin schaffte es unter die Besten. Vier Akteure unter den energetischsten Zehn, aus insgesamt rund 480 Aktiven: Das ist auffallend. Erst recht für ein Team, das vor der WM von zehn Länderspielen nur eines gewann, 4:2 im Test gegen Südkorea.

All das führt angesichts der jüngeren Dopingvergangenheit des russischen Sports zu vielen Fragen in der globalen Anti-Doping-Bewegung. Etwa bei Travis Tygart, Chef von Amerikas Anti-Doping-Agentur (Usada), der einst Lance Armstrong zur Strecke brachte. "Die Welt kennt das staatliche Doping in Russland, und diese Fragen sind Ergebnis dieser Korruption", sagt er der SZ: "Zwangsläufig hängt eine dunkle Wolke über solchen russischen Leistungen, bis sie transparent und die Fragen mit wahrhaftigen Fakten beantwortet sind."

Russlands Coach hört solche Zweifel nicht gern, schon gar nicht aus der internationalen Betrugsbekämpfung. Er spürt, dass Scherze allein nicht weiterhelfen. Also begründet Tschertschessow die Pferdelungen seiner Jungs damit, dass die schon beim Confed Cup 2017 gut in Schuss waren - und seitdem "noch einige Korrekturen" im Training erfolgt seien. Hinzu komme die Motivation, dass sie zu Hause spielen.

Dopingexperte Tygart sagt, dass auffällige Leistungssprünge nach den Regeln zu intensiveren Tests führen sollten. Doch passiert das? Als sich ein Journalist erkundigt, kontert Tschertschessow: "Ist das eine Frage zum Spiel oder Philosophie? Ich bin Trainer, nicht der Doktor." Konkretes dazu gibt es nicht von russischer Seite. Der Teamarzt sagte vor dem Turnier auf SZ-Anfrage, seit 2012 sei jeder Spieler aus dem Kader 30 bis 40 Mal getestet worden - und der potenzielle WM-Kader im Jahr vor dem Turnier insgesamt über 500 Mal.

Der Weltverband? Verweigert beharrlich jede Aussage, wie oft er die Russen während des Turniers testet. Für Usada-Boss Tygart ein Unding; er sieht speziell die Fifa wegen Russlands Staatsdoping-Affäre in besonderer Verpflichtung. "Die Tests mit Geheimhaltung zu umhüllen, ist inakzeptabel", sagt er. Angesichts der etablierten Korruption im russischen Sport, "die das Vertrauen der Fans weltweit erschüttert hat, ist die Veröffentlichung der Test-Zahlen das Mindeste, was sie tun können". Es sei sowieso "ein Witz", dass ausgerechnet bei der Fußball-WM die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) nicht testen dürfe.

"Milliarden Dollar stehen auf dem Spiel"

Das fügt sich ins düstere Gesamtbild. Nach Aktenlage haben russische Kicker stark vom jahrelangen Dopingsystem profitiert. In einem Fall ist das nun sehr konkret. Ruslan Kambolow stand im WM-Kader, wurde kurzfristig gestrichen; er sei verletzt, hieß es. Der Mittelfeldspieler von Rubin Kasan wurde 2015 positiv getestet, auf Dexametason. Und Wada-Ermittler Richard McLaren stieß früh auf Hinweise, dass es im Umgang mit der Probe Ungereimtheiten im Moskauer Labor gab.

Jüngst erklärte der Doping-Kronzeuge Grigorij Rodtschenkow, viele Jahre Laborchef in Moskau, der ARD, Kambolows Probe sei gegen sauberen Urin ausgetauscht worden - anlässlich des Besuchs von Geheimdienstmitarbeitern im Labor. Details dazu verriet der Ermittler McLaren jetzt in der englischen Zeitung Mail on Sunday: "Es gab keinen sauberen Urin von Kambolow." Dessen schmutziger Urin sei mit einer sauberen Probe eines anderen ersetzt worden, dessen Profil am ähnlichsten war.

Das härtet den Verdacht, dass in dem Fall bis kurz vor der WM gelogen wurde. Die Fifa hatte ihre Russland-Untersuchung just vor Turnierbeginn beendet, aus Mangel an Beweisen. "Es geht um eine reibungslose WM", vermutet der Sportpolitiker Richard Pound jetzt, "Milliarden Dollar stehen auf dem Spiel."

In dieser Gemengelage absolviert die Sbornaja also ihre dritte Partie. "Jetzt streben wir das Maximum an. Und wer weiß, wo das liegt?", sagt Artjom Dsjuba. So weckt diese Auswahl allmählich Erinnerungen an den Auftritt bei der EM 2008, als sie mit verdachtsumwitterten Laufleistungen bis ins Halbfinale stürmte. Oder an die WM 2002, als Co-Gastgeber Südkorea mit umraunten Kraftakten ins Halbfinale kam. Damals halfen auch die Referees tüchtig mit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: